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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 47.1931-1932

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Der Bildhauer Johannes Knubel
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Abels, Hermann: Ein Besuch beim alten Hagemeister
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https://doi.org/10.11588/diglit.16479#0025

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..Erschreckenden" wurde bereits an anderer
Stelle in dieser Schrift hervorgehoben. (Juli-
heft 1928.)

Schon die wenigen hier gezeigten Arbeiten des
Künstlers geben einen Einblick in seine Schaf-
fensweise. Fußend auf der materialgerechten

Behandlung des A\ erkstoffs erhebt er seine Ge-
stalten zu statuarischer Festigkeit und Groß-
zügigkeit. In \ erbindung damit verleiht eine
übersichtliche Klarheit seinen plastischen Er-
scheinungen den Ausdruck gesammelter Kraft.

E-r

EIN BESUCH BEIM ALTEN HAGE MEISTER*)

Der Personenzug nach Magdeburg brachte mich
in dreiviertel Stunden vom Potsdamer Bahnhof
nach dem durch seine Baumblüte bekannten
Werder an der Havel.

Als einziger Fahrgast entsteige ich dem fast leer
fahrenden Zug. Eine Wegetafel an der nächsten
Straßengabelung gibt Auskunft, daß die Kirch-
straße draußen auf der Insel liegt und 2,9 km
entfernt ist.

Nach halbstündigem Marsch durch den sich lang
hinziehenden Ort stehe ich vor einem kleinen
Bauernhause. Zwei winzige Fenster zu ebener
Erde und eine schmale Tür ohne Xamen und
Klingel bilden die bescheidene Hausfront.
Auf mehrfaches Klopfen öffnet Marta, die Wirt-
schafterin. «Sie werden erwartet", sagt sie.
„aber der Herr Professor hat heute keinen guten
Tag." Eine kleine Stiege führt von dem kalten,
mit roten Ziegeln belegten Gang in die Stube.
In der Mitte ein Tisch, den größten Teil der
Stube ausfüllend, dahinter ein Sofa, auf dem
zwischen Kissen und Decken ein Männlein ruht.
Eine früher schwarze Hose, eine graue Strick-
Jacke, darunter eine Weste mit Spuren seiner
Farbenskala aus früherer Schaffenszeit, ein dickes
wollenes Halstuch und auf dem Kopfe ein ge-
häkelter Kopf- und Ohrenschützer, wie die Sol-
daten solche während des Krieges zur Winters-
zeit in Rußland trugen. — das ist die Kleidung
von Karl Hagemeister.

Mühsam erhebt sich der Maler Karl Hagemeister
und erwidert mürrisch meinen Gruß, ungehal-
ten darüber, daß jemand seine Ruhe stört. (Es ist
1:2i2 Uhr Vormittag). Meine einleitenden Worte
über die schöne Winterlandschaft, die Kälte
draußen und die wohltuende Wärme drinnen,
finden kein Gehör. „Ich steh' mit meiner Kunst
allein!" — ein kurzer, unvermittelter Ausspruch
des Künstlers. Ich weise auf ein prachtvolles
Gemälde über dem Sofa hin, eine ..Welle'" dar-
stellend, und frage nach dem Preis. „Ja", sagt er.

*) Siehe auch unsern illustrierten Aufsatz im Dezemberheft 1924.

„das ist Kunst! Alles vor der Natur gemalt, in
drei Stunden! Habe nie in meinem Leben ein
Atelier gehabt!" — Eine verstaubte Mappe mit
Kohlezeichnungen wird von mir durchgeblättert,
während er wieder apathisch auf sein Sofa zu-
rückgesunken ist. Schöne Studienblätter aus
Rom und Venedig, entstanden in den 80er Jahren.
Dann Kohlezeichnungen aus Lohme an der Ost-
see, wo er jahrelang das Meer belauscht, geliebt
und gemalt hat. Sie reichen bis 1925. Aus spä-
terer Zeit sah ich kein einziges Blatt.
Dann kommt die Wirtschafterin mit einer Kerze,
um die im Keller aufbewahrten Bilder zu zeigen,
begleitet von einem schnurrenden Kätzchen.
Obschon der zweiundachtzigjährige Künstler
über ein Jahr im Krankenhaus gewesen und
sichtbar malt ist, — seine Schätze will er doch
selber zeigen. Ist er ja überaus begierig, ein
lobendes Wort über seine Werke zu hören, und
für sie die erhoffte Anerkennung persönlich zu
ernten, die „man'" diesem großen Zeitgenossen
von Schuch und Trübner bisher versagt hat. Ich
entsinne mich eines Briefes, in dem er u. a. Fol-
gendes schreibt: ... . . Ist es nicht merkwürdig,
daß ich schon vor der Zeit, als van Gogh hier
eingeführt wurde, so etwas malte! Ich habe
noch viele Bilder in demselben Sinne weiter-
geführt bis zur kosmischen, schöpferischen Ge-
staltung, als Ganzes. Das Höchste sind meine
Seebilder!"

Da stehen sie nun. seine Werke, seine Lieblinge
und sein Kapital! Zwanzig Gemälde und ebenso
viele Pastelle großen Formates, betreut von einer
Reihe Dauerwürsten, welche die sorgsame Wirt-
schafterin als Wintervorrat an dürrem Ast unter
der niedrigen Decke angebunden und hier auf-
bewahrt hat. Obschon der kleine Lichtstrahl, den
die Fensterluke von der Straße hereinschauen läßt,
selbst durch die Verstärkung des Kerzenlichtes,
kaum die Möglichkeit gibt, die hier im Dunkel
aufbewahrten Gemälde zu sehen, viel weniger
zu genießen, so steht für ihn, den Meister und
Schöpfer dieser Kunstwerke, doch unumstößlicli

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