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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 47.1931-1932

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Wolf, Georg Jacob: Willi Reue
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Heimeran, Ernst: Bilderbriefe, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16479#0200

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niederen Vorstadthäuschen mit ruinösem, heiß
von der Sonne beschienenem., grell bemaltem
Mauerwerk, mit Gärtnereien. Telephonstangen,
einem ungepflegten Kiesweg und protzig in diese
Idylle herüberschielenden Großstadtbauten. Es
ist erstaunlich, was Reue aus diesen Ingredienzien
eines an sich gewiß nicht neuen Motivs auf sei-
nen Gemälden zusammenbaut. Ich verstehe dies
nicht ausschließlich im Sinn der Stimmung, ob-
wohl die Serie der Angermayrstraße-Bilder wie
eine gemalte Chronik der Vorstadt (wohlver-
standen : ohne die Kreatur, nur dem Mauerwerk
und der \ egetation gewidmet) anmuten muß:
den Tanz der Hören in der Vorstadt könnte man
vielleicht den sicherlich noch nicht abgeschlos-
senen Zyklus taufen. Ebenso wichtig ist, daß die
Gemälde in ihrer Faktur weit von dem abweichen ,
was heute von der überwiegenden Mehrzahl der
in kollektivistischer Auffassung der künstleri-

schen Mission befangenen Maler gegeben wird,
wenn sie das Thema „Vorstadtstraße" zu behan-
deln haben. Sehe ich Reues Bilder, so muß ich
unwillkürlich an Menzels Straßenbilder aus dem
alten Berlin, an diese Abschilderungen von Wegen
an Zäunen hin, unter überhängenden Y\ eiden.
am alten Landwehrkanal oder an seine Fenster-
ausblicke auf Höfe und in Gärten denken. Es ist
keine stoffliche oder technische Bindung. End
natürlich ist das Qualitätsniveau nicht gleich.
Aber ich fühle hier den verwandten Geist, die
gleiche innere Ehrlichkeit, das schönste Können.
Reue zeigt eine Reinheit der Palette, eine Kultur
in derBehandlunsrder Bildfläche, ein malerisches
Gestalten auf der Grundlage scharfen Sehens und
inneren Schauens, daß man seine Absichten, wie
das Gelingen dieser Absichten nur an dem Bei-
spiel der Besten messen kann.

Georg Jacob TV oll

BILDERBRIEFE

(Fortsetzung von, Seite 178)

Des einsamen, verkannten und doch so uner-
schütterlichen Van Gogh leidenschaftliches Be-
dürfnis, sich mitzuteilen, wird in über sechshun-
dert Briefen offenbar, die er an seinen geliebten
Bruder Theo gerichtet hat. Hier ist alles ver-
bissener Ernst, immerwährendes Denken an die
Arbeit, unablässige Anschauung; Hunderte von
Biklgedanken. von lebendigsten Eindrücken des
Malerauges sind hier mit wenigen Strichen so
gebannt, daß manche Galerie froh währe, einen
dieser Briefe zu besitzen. Es sind darunter voll-
endete Kunstwerke nach unseren Begriffen ;
nach den seinen waren sie nichts als Anhalts-
punkte für den teilnahmsvollen Vertrauten.
Die Zeit, in der man den Posttag zu nützen
lange Briefe schrieb, ist vorbei. Wir schreiben
kurze Briefe und selbst die immer weniger mit
der Hand. FJnterschieden unsere Großväter noch
vornehmlich nach zärtlich geschnittenen Liebes-,

nach großbüttenen Gratulations-, nach umständ-
lich gesiegelten Empfehlungsbriefen, so werden
unsere Söhne vor allem nach Eil-, Einschreib-
und W ertbriefen rechnen. Wir sind sachlicher
geworden. Wir erfahren und sagen weniger
über uns. Unsere Briefe ähneln sich in ihrem
Inhalt wie die Formeln eines Morse-Code. In
ihrer Form aber normt sie die Schreibmaschine
und es war ein kurioser W itz. als ein Magazin
für Schreibmaschinen - Zeichnungen, also für
Kunstgebilde aus genormten Buchstaben, Preise
aussetzte.

Solange jedes Bleistiftspitzen als ein künst-
lerischer Entwurf ausgegeben wird und jeder
Entwurf nach praktischer Verwertung verlangt,
ist es an der Zeit, den noch wenig genannten
absichtslosen Bilderbrief als eine letzte, reine
Quelle von Persönlichkeit zu preisen.

Dr. Ernst Heimeran

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