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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 47.1931-1932

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Federmann, Arnold: Wie München um die Parthenon-Skulpturen kam, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16479#0067

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WIE MÜNCHEN
UM DIE PARTHENON-SKULPTUREN KAM

Was König Ludwig I. für München als Kunst-
stadt bedeutet, ist so bekannt,, daß es keiner
vielen Worte bedarf. Der ganze Stadtteil von
der Feldherrnhalle und Residenz bis zum Sie-
gestor und von da bis zu den Pinakotheken, der
Glyptothek und bis zum Stachus ist ein einziges
Zeugnis seiner Liebe zur Stadt München und
zur Kunst. Unbekannt aber bis heute blieb es
in Deutschland, daß es dem König fast gelun-
gen wäre die Parthenonskulpturen, die jetzt den
Ruhm des Rritischen Museums in London aus-
machen, zu erwerben.

Schon in Rom 1805 hatte Kronprinz Ludwig
mit der Sammlung antiker Kunstwerke begon-
nen, die dann später in der 1816 begonnenen
Glyptothek ihre Aufstellung gefunden haben.
Als getreue und spürige Agenten halfen ihm
Georg v. Dillis und Martin Wagner. Aber es
wird ewig der Ruhm des Königs bleiben, daß er,
als 1811 Haller v. Hallerstein und Cockerell in
Ägina die Tempelskulpturen gefunden hatten,
sofort zugriff und durch Wagner 1813 die
Skulpturen um 70000 Gulden kaufen ließ,
zu einer Zeit, wo die frühe griechische Kunst
sich keiner Schätzung erfreute und Künstler
und Kenner für die späthellenistischen W erke
schwärmten. Ohne den schnellen Entschluß des
Königs wären wahrscheinlich auch diese Werke
— wie der 1812 gefundene Fries vom Tempel
zu Phigalia — nach England gekommen. Denn
Cockerell bemühte sich vergeblich, den Ankauf
in England zu erwirken. Auch der französische
Konsul Fauvel in Athen hatte die Absicht, die
„Ägineten" für Frankreich zu erwerben. Im
Jahre 1815 nun wurden die Parthenonskulptu-
ren, die von Lord Elgin 1806/07 nach England
in Sicherheit gebracht waren — die Türken be-
nutzten alte Statuen gern zum Kalkbrennen und
Reisende brachen Arme und Nasen als „Erin-
nerungen an Athen"' ab — der englischen Re-
gierung zum Kauf angeboten.
Die Hochschätzung der heute so berühmten
Statuen war damals noch keineswegs eine all-
gemeine. Die tonangebenden Kreise in London
sprachen sich sogar meist gegen sie aus. Künst-
ler und Kenner überboten sich, den „Unwert"

dieser Skulpturen zu verkünden. Payne Knight
nennt sie „armselige Sachen" (poor things);
Lord Landsdowne's Venus oder Merkur wären
jede einzeln so viel wert wie zwei Stück in Elgin's
Sammlung; der Theseus sei „unecht" (spurious)
und der ganze Rest wirklich armselige Dinge,
augenscheinlich Arbeiten von Gesellen, denen
der Name Künstler überhaupt nicht zukomme.
Flaxman nennt sie zwar „excellente Sachen",
aber er zöge den Apoll von Relvedere dem The-
seus vor. Westmacott meinte: „Gute Sachen"';
einige erklärten die Parthenonskulpturen für
römische /Arbeit aus Hadrians Zeit. Der erste
nun, der für die Skulpturen in Feuer geriet und
ihren Wert voll erkannte, war der Maler Havdon.
Seine Autobiographie und Tagebuch*) zeigen ihn
wie berauscht vom Erlebnis des ersten Anblicks
der Statuen, so daß er tagelang bis in die späte
Nacht hinein nach ihnen zeichnete. Diese Zeich-
nungen nach den Skulpturen befinden sich heute
im Print Room des Rritish Museum und gehö-
ren zum Schönsten, was man von „Reproduk-
tionen" der Skulpturen sehen kann; zwei von
ihnen fanden sogar ihren Weg zu Goethe und
hängen heute im Goethehaus in Weimar.
Auch Canova sah die Statuen bei seinem Auf-
enthalt in London und meinte, daß durch ihr
Rekanntwerden eine völlige Wendung im Kunst-
geschmack der Zeit eintreten würde. Ebenso war
Lawrence begeistert. Nun, nicht diese Künstler
— sondern die Kenner und Akademisten be-
stimmten die öffentliche Meinung und diese
wandte sich gegen den Ankauf. Das Parlament
und Elgin ernannten eine Kommission, in die
Elgin Havdon wählte. Als dieser aber nicht ge-
hört wurde, schrieb er einen scharfen Artikel
gegen den Unverstand der Ablehnenden. Dieser
Artikel hat die Skulpturen für England gerettet,
aber — wie Lawrence richtig voraussah — Hav-
don ruiniert. Denn fortab verfolgt ihn der Haß
der Kenner und der Akademie, und Haydon ist
niemals an einem öffentlichen Auftrag beteiligt

*) Neu herausgegeben von Huxley, New York 1927, Bd. I. 66 fg.
(Fortsetzung S. 64)

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