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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 47.1931-1932

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Wolf, Georg Jacob: Wert und Unwert heutiger Kunstausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.16479#0114

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ist häufig nichts als ein Zerrbild. Denn mag die
deutsche Kunst sich auch in einer Entwicklungs-
krisis befinden, mögen im Zwang unklarer Vor-
bilder und unter der Einwirkung hemmungs-
loser Neuerungssucht, vielleicht auch unter
sozialen und wirtschaftlichen Einwirkungen
zahlreiche Künstler nicht mehr wissen, was sie
malen und modellieren sollen: wir wissen, daß es
trotzdem noch genug tüchtige, zielbewußte, cha-
raktervolle und von der Konjunktur unbeein-
flußte Künstler gibt. Es ist Schuld der Jury,
der Maßgebenden, daß sie Minderleislungen be-
reitwillig hingehen läßt. Wissen denn die dafür
verantwortlichen Leute, was sie — zusammen
mit einer aus Angst vor Rückständigkeit jede
Neuerung, ob gut, ob schlecht, himmelhoch er-
hebenden Kritik — damit anrichten?
Die jungen Menschen, die nach gesteigerteren
Gefühlsbetätigungen suchen, als Sport und
Film zu geben in der Lage sind, die noch für
die Dinge der Kunst Interesse oder gar Be-
geisterung haben, sollte man nicht mit Gewalt
dem Zeitrummel in die Arme treiben.
Natürlich ist ein Teil der Künstlerschaft an diesen
Zuständen selbst schuld. Viele schämen sich
ihres Könnens und verfallen nur deshalb in in-
fantiles Gestammel, weil sie andernfalls als
„Könner" angesprochen werden könnten, wras
ihnen gleichbedeutend wäre mit „Kitscher". Das
Rezept, nach dem sie verfahren, ist nicht schwer
zu durchschauen. Es besteht darin, über die grob
andeutende Skizze nicht hinauszugehen und eine
ihnen aufdämmernde oder auch gewaltsam
heraufbeschworene künstlerische Idee so neben-
sächlich als möglich zu behandeln, sie aber nicht
in eine Form zu gießen, die sie auch den Außen-
stehenden, denen, die gerne Kunstfreunde sein
möchten, aber unter diesen Umständen unsicher
werden, verständlich und beglückend zu machen
vermöchte. Es kommen noch jene Unverantwort-
lichen dazu, die wenige Tage vor dem Einsen-
dungsschluß der Ausstellung ein Bild „zusam-
menhauen'-', wie es in ihrem Jargon heißt, ohne
Überlegung, ohne Abklärung und ohne Selbst-
kritik, deren Werke aber doch ausgestellt werden,
weil sie Namen und Beziehungen haben, weil sie
„eingeladen "' wurden und weil deswegen ihre
YYerkenachAusstellungsgebrauch garnichtmehr
abgelehnt werden können. Schließlich sind noch
jene mystischen oder sich mystisch gebärdenden
Spintisierer da, die den Bildgedanken verwischen,
die irgendwelche philosophischen und mathe-

matischen Probleme mit Hilfe von ausgedüftel-
ten Gobelinmustern in die bildende Kunst ein-
schmuggeln und die sauber gezogenen Grenzen
der Ästhetik verwischen, jene Leute, die es sich
zwar verbitten, Maler genannt zu werden, aber
die Konsequenz daraus nicht ziehen, sondern
ihre Ware gleichwohl auf Ausstellungen zu
Markte tragen. Aus solchen Elementen setzen
sich heute die meisten der deutschen (freilich
auch der ausländischen) Kunstausstellungen zu
einem nicht geringen Teil zusammen. Ihr Bild
ist ein unerfreuliches, es verwirrt, wo es klären,
es zieht herab, wo es erheben, es verstimmt, wo
es beglücken sollte.

Hat denn — auch dies ist ein Argument — noch
nie jemand darüber nachgedacht, warum auf
unseren heutigen Ausstellungen die ab und zu
auftauchenden retrospektiven Abteilungen,Nach-
lässe eines betagt gestorbenen Künstlers, Ver-
anstaltungen aus Anlaß eines Jahrhunderttages
usw. so starken Anklang finden? Yor den Wer-
ken in diesen Ausstellungssälen sammeln sich
die geschmackvollen Menschen: hier finden
sie Klarheit, Ziel, Glück, die ihnen die zeit-
genössischen Aussteller mit ihren chaotischen
Experimenten, mit ihren verwirrenden Gebilden
nicht geben können, die aber unerläßlich sind
und unlösbar verbunden mit dem Begriff der
Kunst.

Aber die Künstler sind es nicht allein. In glei-
chem Maße muß man die Ausstellungsleitungen,
die Jury, und die staatlichen und städtischen
Kunstbehörden, die zu solchen Kommissionen
ihre Leute abordnen, verantwortlich machen.
Sie dürften, wie ich sagte, nicht alles leichtfer-
tig gemachte Zeug aufnehmen und fördern,
sondern müssen den Mut aufbringen, unzwei-
deutig das Schund zu nennen, was Schund ist.
In ein paar Jahren würden unsere Ausstellungen
ein anderes, ein besseres und schöneres Gesicht
bekommen und die große Öffentlichkeit würde
der Kunst wrieder gewonnen.
Endlich müßten die Künstler mit dem Besten
herausrücken, das sie haben und das sie vermö-
gen. Aber dessen habhaft zu werden, zu dem sie
anzuregen und aufzureizen, ist gerade Pflicht und
Aufgabe, ist einzige Bekundung der Existenz-
berechtigung von Ausstellungsleitungen, die sich
eher dazu entschließen müßten, eine Ausstellung
in ihrem Umfang zu verringern oder sie ganz
abzusagen, statt sie zum Zerrbild der deutschen
Kunst zu erniedrigen. Georg Jacob Wolf

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