Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 47.1931-1932
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https://doi.org/10.11588/diglit.16479#0123
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Birkle, Albert: Vom Erlebnis des Malers
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B Kunstbibliothek
Staatliche Museen
ALBERT BIRKLE. SCHLACKEN HALDEN IN OBER SCHLESIEN
langen Schächten und Gräben Hunderte von
Menschen in dumpfer Hitze unter unsäglichen
Mühen und Gefahren verzweifelt ein kümmer-
liches Brot verdienen. \\ ie liegt da die Luft vol-
ler Schicksal und Ereignis! W ie stürmt von
überall das Erlebnis ein, wenn müde und bei
sinkender Nacht der ganze Trubel ratternder
Wagen, kläglicher Pferde, schrill huppender
Autos, deren Scheinwerfer jäh die Dämmerung
zerteilen, in Lumpen gehüllter, farblos schwarzer
Menschenmassen, über die leidtragende Straße
der Stadt zu zieht.
Da sind verrußt und verräuchert im Osten Städte,
in denen die unglaubhaftesten Bilder greifbar
werden, wenn merkwürdig irgendwo die Lichter
im träg dahinfließenden Y\ asser glitzern, die
Luft diesig ist, und wenn schwer, als wollte sie
sie erdrücken, die Silhouette der gewaltigen
Festung über der scheu sich duckenden Stadt
erscheint. Straßen und Plätze sind da in der
dürftig erleuchteten Vorstadt, von der aus man
herabblickt, die so geladen sind von Stimmungen,
daß sie die Spannung ganz großer mittelalter-
licher Gemälde auslösen.
Oder ich erinnere mich eines einsamen Winters
in den dünn besiedelten Bergen, nicht des hei-
teren, sonnigen, sondern des einschneidend bit-
teren, der Beben und Zittern macht durch Eis
und Frost. Aber er dringt nicht ein in das Wohn-
haus auf der Höhe, von dem aus man, geborgen
wie im Innern eines Schiffes bei Sturm, weit
über die V\ ogen der Berge in die immer wech-
selnden Stimmungen des Winters hinabblickt.
Er hält die Menschen fern und läßt die klaren,
ursprünglichen Formen des Lebens ahnen. Er
zwingt, einfach zu sein. Alles Überflüssige der
Zivilisation wird klein : eisern und überwältigend
wirkt die Natur.
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Staatliche Museen
ALBERT BIRKLE. SCHLACKEN HALDEN IN OBER SCHLESIEN
langen Schächten und Gräben Hunderte von
Menschen in dumpfer Hitze unter unsäglichen
Mühen und Gefahren verzweifelt ein kümmer-
liches Brot verdienen. \\ ie liegt da die Luft vol-
ler Schicksal und Ereignis! W ie stürmt von
überall das Erlebnis ein, wenn müde und bei
sinkender Nacht der ganze Trubel ratternder
Wagen, kläglicher Pferde, schrill huppender
Autos, deren Scheinwerfer jäh die Dämmerung
zerteilen, in Lumpen gehüllter, farblos schwarzer
Menschenmassen, über die leidtragende Straße
der Stadt zu zieht.
Da sind verrußt und verräuchert im Osten Städte,
in denen die unglaubhaftesten Bilder greifbar
werden, wenn merkwürdig irgendwo die Lichter
im träg dahinfließenden Y\ asser glitzern, die
Luft diesig ist, und wenn schwer, als wollte sie
sie erdrücken, die Silhouette der gewaltigen
Festung über der scheu sich duckenden Stadt
erscheint. Straßen und Plätze sind da in der
dürftig erleuchteten Vorstadt, von der aus man
herabblickt, die so geladen sind von Stimmungen,
daß sie die Spannung ganz großer mittelalter-
licher Gemälde auslösen.
Oder ich erinnere mich eines einsamen Winters
in den dünn besiedelten Bergen, nicht des hei-
teren, sonnigen, sondern des einschneidend bit-
teren, der Beben und Zittern macht durch Eis
und Frost. Aber er dringt nicht ein in das Wohn-
haus auf der Höhe, von dem aus man, geborgen
wie im Innern eines Schiffes bei Sturm, weit
über die V\ ogen der Berge in die immer wech-
selnden Stimmungen des Winters hinabblickt.
Er hält die Menschen fern und läßt die klaren,
ursprünglichen Formen des Lebens ahnen. Er
zwingt, einfach zu sein. Alles Überflüssige der
Zivilisation wird klein : eisern und überwältigend
wirkt die Natur.
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