i. Das Rahmenbild an der Wand:
In seinem im Jahre 1925 erschienenen Buch
..Die neue Wohnung", das sich an die ..Frau als
Schöpferin" dieser Wohnung — wenn man so
sagen darf: des wohnlichen Teils dieser Woh-
nung — wandte, hatte Bruno Taut geraten, alles,
..was die Wand in ihrer Eigenschaft vernichte", also
in der Hauptsache Bilder, Spiegel und plastischen
Schmuck, zu entfernen. Jetzt gibt er hierzu eine
Erläuterung, die den Künstlern annehmbarer
klingen mag. Die Grenze zwischen bewußter
und unbewußter Einwirkung der Gemälde auf
den Raumbenutzer sei schwer zu ziehen: die un-
bewußte Einwirkung sei bedenklicher, wahr-
scheinlich weil sie leichter zur gewohnheits-
mäßigen Abnützung führen kann. Auf jeden
Fall hätten Malerei und Plastik ihre eigenen
Lebensrechte und sollten den Beschauer aus der
Sphäre des ..Augenblicksgenusses" in die der
ernsthaften Auseinandersetzung und Beziehung
erheben. „Es kommt alles auf die Beziehung
zwischen Bild und Mensch an, aber nicht auf
die zwischen Bild und Raum. Vielmehr ergibt
sich die Harmonie zwischen Bild und Raum erst
dann, wenn die Beziehung zwischen Bild und
dem den Raum benutzenden Menschen in Ord-
nung ist." Hiernach ist also der Vorwurf besei-
tigt, daß jedes Bild „die Wand in ihrer Eigen-
schaft vernichte".
Ebensowenig versteift sich der Herausgeber der
„Form", Dr. Walter Riezler, länger auf einen
grundsätzlichen Widerstand gegen das Rahmen-
bild. ;Er nennt es ..Staffeleibild", was eine un-
beabsichtigte, aber doch mit Vorbedacht auszu-
schaltende Erinnerung an die Makartzeit er-
wecken könnte, die im Raum das Rahmenbild
für sich und von allem gesondert auf eine Staffelei
setzte.) In der Bauausstellung, in den Räumen
von Mies van der Rohe, hätten, so schreibt Dr.
Riezler, an der Wand „richtige Staffeleibilder"
von Kandinsky und Picasso gehangen, „und man
empfand es nicht als Dissonanz, nicht als Reak-
tion, sondern als eine sehr natürliche Sache (!),
als wenn es nicht Bilder, sondern Wandteppiche
wären, die ja nie verboten (!) waren''. Man
braucht es wohl nicht zu beachten, daß Dr. Riez-
ler sich hier eine Hintertür offen läßt, zumal er
wenige Zeilen später betont, daß es „der augen-
blicklichen Lage" entspräche, das Bild nicht in
eine feste Bindung einzufügen, die ihm nicht
gemäß sei, sondern ihm in höchstem Maße „sein
Eigenleben zu lassen".
Man darf feststellen, daß der Besitzer des Bildes
resp. Bewohner des Raumes — als ein nicht
ganz unwichtiger Faktor — in die Wechselbe-
ziehungen der Kunst im Raum wieder einge-
schaltet wird. „Wir alle, die wir einmal den
Glauben an das Staffeleibild verloren hatten und
alles Heil von der Wand erwarteten, müssen
vielleicht umlernen", so steht es jetzt in der
„Form", dem Organ des Deutschen Werkbundes,
zu lesen. Alles scheint jetzt dem Takt des Be-
wohners überlassen werden zu „dürfen".
2. Die bemalte Wand:
Sehr viel schwieriger ist hier die Prophezeiung
für die Zukunft. Allseitig wird zunächst noch
mit Negation operiert. Einstimmig ist man in
der Forderung, daß eine künstlerische Zusam-
menfassung der Malerei und Bildhauerei mit der
Raumkunst nicht mehr im alten „dekorativen"
Sinne (der ja stets erst im Ausklang einer Stil-
periode stattfindet) erfolgen dürfe. „Es muß für
alle drei Künste ein anderer als jener Oberflächen-
begriff des Dekorativen entstehen", verlangt
Bruno Taut und wendet sich gegen die Mitläufer
der neuen Baukunst, weil sie „die befrehe Ober-
fläche nun selbst als etwas Dekoratives nehmen":
..in der Uberbetonung der architektonischen
Glätte, des reinen Vi eiß, des Nickels, des Stahl-
rohrs, im konstruktivistischen Spiel, als Selbst-
zweck wie überhaupt, in dem kostspieligen
Umbiegen des Zweck- und Materialbegriffs"
müsse man „ebenfalls schon eine Einengung
des neu gewonnenen Begriffs über das Bauen
sehen".
In der „Oberfläche" verteidigt jeder Architekt
allerdings sein eigenstes Gebiet. Mies van der
Rohe betonte auf der letzten Werkbundtagung,
daß mit der Remalung einer Wand „kein Bau-
problem gelöst" werde, und Poelzig verlangt des-
halb eine freie, und auf sich allein gestellte,
künstlerisch-seelische Auswirkung von Plastik
und Malerei in und an der Architektur. ..Selbst
der Kontrast der Wirkung ist besser als die ge-
schickt modernierte Anbiederung an das, was sie
(die Maler und Bildhauer) sich als moderne
Architektur vorstellen."
Die Verwendung des gerahmten Wandbildes ist
nun also von den zur Einsicht gekommenen
schärfsten Vertretern der neuen Bichtung wieder
in die Hände des allein zuständigen Besitzers und
Bewohners zurückgegeben worden, und man muß,
entsprechend der früheren Gegenpropaganda,
diese Tatsache zur w eitesten Aufklärung des Pu-
blikums benützen.
Dagegen steht das Problem einer dem Geist der
neuen Bauweise entsprechenden Mitwirkung von
Plastik und Malerei an der inneren und äußeren
Oberfläche des Baukörpers noch ganz offen: wie
es scheint, soll den bildenden Künstlern die Be-
antwortung und Lösung durch die Tat zuge-
schoben werden. Fritz Hellwag
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In seinem im Jahre 1925 erschienenen Buch
..Die neue Wohnung", das sich an die ..Frau als
Schöpferin" dieser Wohnung — wenn man so
sagen darf: des wohnlichen Teils dieser Woh-
nung — wandte, hatte Bruno Taut geraten, alles,
..was die Wand in ihrer Eigenschaft vernichte", also
in der Hauptsache Bilder, Spiegel und plastischen
Schmuck, zu entfernen. Jetzt gibt er hierzu eine
Erläuterung, die den Künstlern annehmbarer
klingen mag. Die Grenze zwischen bewußter
und unbewußter Einwirkung der Gemälde auf
den Raumbenutzer sei schwer zu ziehen: die un-
bewußte Einwirkung sei bedenklicher, wahr-
scheinlich weil sie leichter zur gewohnheits-
mäßigen Abnützung führen kann. Auf jeden
Fall hätten Malerei und Plastik ihre eigenen
Lebensrechte und sollten den Beschauer aus der
Sphäre des ..Augenblicksgenusses" in die der
ernsthaften Auseinandersetzung und Beziehung
erheben. „Es kommt alles auf die Beziehung
zwischen Bild und Mensch an, aber nicht auf
die zwischen Bild und Raum. Vielmehr ergibt
sich die Harmonie zwischen Bild und Raum erst
dann, wenn die Beziehung zwischen Bild und
dem den Raum benutzenden Menschen in Ord-
nung ist." Hiernach ist also der Vorwurf besei-
tigt, daß jedes Bild „die Wand in ihrer Eigen-
schaft vernichte".
Ebensowenig versteift sich der Herausgeber der
„Form", Dr. Walter Riezler, länger auf einen
grundsätzlichen Widerstand gegen das Rahmen-
bild. ;Er nennt es ..Staffeleibild", was eine un-
beabsichtigte, aber doch mit Vorbedacht auszu-
schaltende Erinnerung an die Makartzeit er-
wecken könnte, die im Raum das Rahmenbild
für sich und von allem gesondert auf eine Staffelei
setzte.) In der Bauausstellung, in den Räumen
von Mies van der Rohe, hätten, so schreibt Dr.
Riezler, an der Wand „richtige Staffeleibilder"
von Kandinsky und Picasso gehangen, „und man
empfand es nicht als Dissonanz, nicht als Reak-
tion, sondern als eine sehr natürliche Sache (!),
als wenn es nicht Bilder, sondern Wandteppiche
wären, die ja nie verboten (!) waren''. Man
braucht es wohl nicht zu beachten, daß Dr. Riez-
ler sich hier eine Hintertür offen läßt, zumal er
wenige Zeilen später betont, daß es „der augen-
blicklichen Lage" entspräche, das Bild nicht in
eine feste Bindung einzufügen, die ihm nicht
gemäß sei, sondern ihm in höchstem Maße „sein
Eigenleben zu lassen".
Man darf feststellen, daß der Besitzer des Bildes
resp. Bewohner des Raumes — als ein nicht
ganz unwichtiger Faktor — in die Wechselbe-
ziehungen der Kunst im Raum wieder einge-
schaltet wird. „Wir alle, die wir einmal den
Glauben an das Staffeleibild verloren hatten und
alles Heil von der Wand erwarteten, müssen
vielleicht umlernen", so steht es jetzt in der
„Form", dem Organ des Deutschen Werkbundes,
zu lesen. Alles scheint jetzt dem Takt des Be-
wohners überlassen werden zu „dürfen".
2. Die bemalte Wand:
Sehr viel schwieriger ist hier die Prophezeiung
für die Zukunft. Allseitig wird zunächst noch
mit Negation operiert. Einstimmig ist man in
der Forderung, daß eine künstlerische Zusam-
menfassung der Malerei und Bildhauerei mit der
Raumkunst nicht mehr im alten „dekorativen"
Sinne (der ja stets erst im Ausklang einer Stil-
periode stattfindet) erfolgen dürfe. „Es muß für
alle drei Künste ein anderer als jener Oberflächen-
begriff des Dekorativen entstehen", verlangt
Bruno Taut und wendet sich gegen die Mitläufer
der neuen Baukunst, weil sie „die befrehe Ober-
fläche nun selbst als etwas Dekoratives nehmen":
..in der Uberbetonung der architektonischen
Glätte, des reinen Vi eiß, des Nickels, des Stahl-
rohrs, im konstruktivistischen Spiel, als Selbst-
zweck wie überhaupt, in dem kostspieligen
Umbiegen des Zweck- und Materialbegriffs"
müsse man „ebenfalls schon eine Einengung
des neu gewonnenen Begriffs über das Bauen
sehen".
In der „Oberfläche" verteidigt jeder Architekt
allerdings sein eigenstes Gebiet. Mies van der
Rohe betonte auf der letzten Werkbundtagung,
daß mit der Remalung einer Wand „kein Bau-
problem gelöst" werde, und Poelzig verlangt des-
halb eine freie, und auf sich allein gestellte,
künstlerisch-seelische Auswirkung von Plastik
und Malerei in und an der Architektur. ..Selbst
der Kontrast der Wirkung ist besser als die ge-
schickt modernierte Anbiederung an das, was sie
(die Maler und Bildhauer) sich als moderne
Architektur vorstellen."
Die Verwendung des gerahmten Wandbildes ist
nun also von den zur Einsicht gekommenen
schärfsten Vertretern der neuen Bichtung wieder
in die Hände des allein zuständigen Besitzers und
Bewohners zurückgegeben worden, und man muß,
entsprechend der früheren Gegenpropaganda,
diese Tatsache zur w eitesten Aufklärung des Pu-
blikums benützen.
Dagegen steht das Problem einer dem Geist der
neuen Bauweise entsprechenden Mitwirkung von
Plastik und Malerei an der inneren und äußeren
Oberfläche des Baukörpers noch ganz offen: wie
es scheint, soll den bildenden Künstlern die Be-
antwortung und Lösung durch die Tat zuge-
schoben werden. Fritz Hellwag
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