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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 47.1931-1932

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Heimeran, Ernst: Bilderbriefe, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16479#0192

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zeilen, Karikaturen und Architekturzahlen ver-
merkt worden sind., ein sichtbarliches Zeichen
dafür, wie ..zweierlei" es diesen Meistern oft
znmute gewesen.

W ir wenden uns nun einer besonderen Form
solcher schreibbildnerischen Lust zu: dem
Briefe. „Ich hätte gerne die Briefform gewählt,
um meine Gedanken vorzutragen, wenn ich je-
mand gewußt, an den ich meine Briefe hätte
richten können. Ich wäre aufmerksamer und
zutraulicher gewesen, hätte ich eine freund-
schaftliche Adresse gehabt, als die unendlich
verschiedenen Gesichter des Publikums.'1 So
gesteht Montaigne, der große Essayist. Er gibt
uns damit zu bedenken, daß zum Exempel
eigentlich Goethes Italienische Beise nicht an-
ders zu betrachten sei als ein Brief und um der
damit verbundenen Zeichnungen als ein Bilder-
brief also. Lassen wir aber alles, was mehr sein
will, als eine vertrauliche Mitteilung von Mensch
zu Mensch, was Literatur sein will oder wird,
außer Anschlag.

Wie entstehen also die ersten Bilderbriefe und
woher kommen sie ?

Sie kommen bei uns täglich vor unter guten
Bekannten und es bedarf dazu weniger der Zei-
chenkunst, als mehr eines guten Humors. Sie
rechnen in der Mehrzahl zu einem ungeschrie-
benen Kapitel Kulturgeschichte, ein Teil freilich
auch zu einem ungeschriebenen Kapitel Kunst-
geschichte.

Da stoßen wir auf eine Karte eines Münchner
Schriftstellers. Ein echtes und deutliches Stück
ohne Zweifel, die Kritzel ganz im Duktus der
Handschrift, kein Kunstwerk, aber ein klares
Sichtbarmachen des Textes. Für die Gattung
des Bilderbriefes ist ja nicht der Kunstwert
ausschlaggebend, sondern die spielerische Ab-
sich tslosigkeit.

Dagegen nun eine Künstlerbilderkarte von Olaf
Gulbransson. Hier ist die Schrift ganz dem Cha-
rakter der linearen Zeichnung anheimgefallen
und es ist natürlich, daß beim Künstler sich
die Schrift mehr dem Bilde, beim Schriftsteller
das Bild mehr der Schrift fügt.
Rührend ist oftmals zu beobachten, wie eine
geistig bedeutende Persönlichkeit Freude hat
am harmlosen Kritzeln. So gibt es etwa von der
Bettina Brentano ausführliche Schreiben, die in
der Literatur eine Bolle spielen, die aber mit
Männchen geschmückt sind, wie sie ein Kind
auf der Tafel ebensogut fertigt.

Häufig wird das Selbstporträt in karikaturisti-
scher Art angetroffen. Von Ernst Penzoldt ist da
eine bilderblühende Briefseite vorzulegen und
der Flieger Udet läßt es genug geschrieben sein,
wenn er sich selbst auf einem Hotelbriefbogen
karikierend ohne weitere Zusätze übersendet.
Als Meister des Bilderbriefes sollen hier, um
nicht durch die Vielfalt von Beispielen müde
zu machen, zwei Männer besonders ausgerufen
sein : Georg Christoph Lichtenberg, der große
Denker, Satiriker und Naturwissenschaftler
unserer Klassikerzeit, und\incent van Gogh.
Eine merkwürdige Zusammenstellung, wie man
zugeben wird, dieser Professor der Physik im
Göttingen des 18. Jahrhunderts und dieser Bra-
banter Koloß unserer heutigen Kunst! Allein
beiden ist gemeinsam jenes eigensinnige Per-
sönlichkeitsgefühl, das nicht nur die Mutter
hervorragender Taten ist, sondern auch in so
menschlichen Zeugnissen wie in Briefen trium-
phiert.

Lichtenberg kann nicht zeichnen. Aber die
Schärfe seiner Beobachtung führt ihn dennoch
zu einer Lnzahl von oft schlagenden Bildnotizen.
Dieser Mann, der die köstliche Bemerkung ge-
tan hat: „er las immer Agamemnon statt ange-
nommen, so sehr hatte er den Homer gelesen",
durchsetzt alle seine Briefe nicht nur mit ge-
lehrten naturwissenschaftlichen\ ersuchsskizzen,
sondern überall mit dem Ausrufezeichen von
drastischen Köpfen, Gestalten, Dingen. „Potz
und alle Hagel, sind denn Mädchenherzen Putz-
bliimchen, die man eine Stunde trägt, und her-
nach wegwirft?" zürnt er etwa fröhlich einem
allzeit neuverliebten Freunde und malt neben
Herzen, Blümchen und Uhr auch gleich den „Potz
und alle Hagel" in Gestalt von Blitz und Teufel
an den Rand. Oder ..Die Spatzen auf dem Dache
stehen gerade so da, wie man sie auf die Schul-
bücher gekleckst findet." So schreibt er und
kleckst sie hin. Von einem Manne sagt er aus:
„Er schreibt auch aus Liebe zum Staat gern
dicke Bücher" — und der Empfänger dieses
Briefes bekommt gleich das Porträt dieses
Mannes und seiner Bücher mit. Ja Lichtenberg
zeichnet sogar den Nachtwächter, der draußen,
während er innen schreibt, im Finstern tutet; er
stellt sich ihn auf Grund des Tutens physiogno-
misch vor. Er malt bei dem geringsten Anlaß
den großen Fritz mit Schwertern und Kanonen
oder das böse Knie, das ihm wehtut.

(Fortsetzung Seite 186)

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