Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 47.1931-1932

DOI article:
Renner, Paul: Moderne Photographie: Arbeiten von Max Burchartz
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.16479#0230

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
MODERNE PHOTOGRAPHIE

L ARBEITEN VON MAX BURCHARTZ

Manchen Freunden der Photographie kann man
nichts Angenehmeres antun, als daß man ihnen
zugibt, die Photographie sei eine Kunst. Sic
würden sich, glaube ich, ebenso von Herzen
darüber freuen, wenn in einem chemischen
Laboratorium ein greulicher Homunkulus die
Augen aufschlüge.

Andere werden wieder ernstlich böse, wenn man
von einer künstlerischen Photographie spricht.
Eigentlich hat es ja nicht sehr viel Sinn, ein
handgreifliches Ding, das wir alle kennen, auf
einen allgemeinen Begriff zurückzuführen, den
niemand kennt. Was Photographie ist, wissen
wir oder glauben es doch zu wissen: aber wer
sagt uns genau, was Kunst ist?
Kunst, heißt es, kommt von Können, wie Brunst
von Brennen. Wenn jedermann mit Kunst nur
das Können meinte, würde niemand bestreiten,
daß das Photographieren eine Kunst sei. Die
Parteigänger der modernen Photographie ver-
stehen aber unter Kunst bildende Kunst; etliche
behaupten sogar, daß die mechanische Photo-
graphie als das bessere und modernere Ver-
fahren das Handwerk der Zeichner vollauf er-
setze, wie die mechanischen Pferdekräfte das
Pferd ersetzt hatten. Man darf sich nicht darüber
wundern, daß Malerei und Zeichnung diesen
Anspruch der Photographie, Kunst oder Kunst-
ersatz zu sein, nicht anerkennen wollen und
verächtlich auf sie herabsehen wie die Butter
auf die Margarine.

Es gibt wenige Dinge auf dieser Welt, die ein-
ander so ähnlich und die im Wesen doch so
verschieden sind wie Zeichnung und Photo-
graphie.

Ich spreche nicht von der unkünstlerischen, rea-
listischen Zeichnung, die mit der Photographie
in Wettbewerb treten will und sehr oft auch
unmittelbar auf photographische \ orlagen zu-
rückzuführen ist.

Ich meine die künstlerische Zeichnung, in wel-
cher jeder Strich eine Aussage ist über eine
geistig erfaßte, verstandene Form. Eine solche
durchgeistigte Zeichnung schöpft aus dem un-
endlichen Meer der ewig transzendenten natura

extensa in die begrenzte \ orstellungswelt der
natura cogitata; während die Photographie
immer unerschöpflich bleibt wie die natura
extensa selbst.

Und doch gibt es auch Photographien, die per-
sönlich und durchgeistigt wirken, obwohl sie
mechanisch entstanden sind ; die nicht nur ge-
konnt sind, sondern es auch verdienen, im Sinne
der bildenden Kunst künstlerisch genannt zu
werden.

Ich meine nicht die interessanten \ ersuche, die
mit den reichen alten und neuen photographi-
schen Mitteln um Schwarz-Y\ eiß-Wirkungen im
Sinne abstrakter Malerei bemüht sind.
Ich meine vielmehr gewisse realistische Photos,
ohne jede \erzerrung, ohne jede Umkehrimg
des Hellen ins Dunkle, oder ähnliche Tricks;
sie zeigen oft unverkennbar, trotz ihrer Ent-
stehung durch mechanische Mittel, die beson-
dere Sehweise ihres menschlichen Urhebers.
Ja mehr noch, sie zeigen eine eigentümliche
Schöpfung, von der man nur durch diese Photos
Kunde erhält.

Das geschieht aber nicht durch die Auswahl der
photographierten Gegenstände allein, sondern
durch die eigentümliche Art, wie sie gesehen,
man darf wohl sagen, wie sie erlebt sind; denn
diese Photos kommen, wenngleich auf mecha-
nischem W ege, aus einer geistigen Schicht, aus
einer Erlebnissphäre, in der die Schöpfung
schon als eine eigentümlich vorgeformte Welt
erlebt worden ist.

Und weil diese geistige Schicht, aus der diese
Photos stammen, der Erlebnissphäre, aus der die
bildende Kunst geschöpft ist, aufs nächste ver-
wandt ist, hat man, dünkt mich, doch ein Recht,
auch hier von einer Kunst zu sprechen, die
mehr ist als eitel technisches Können.
Wir beginnen hier eine Beihe von V eröffent-
lichungen solcher Photos und zeigen heute
zuerst Bilder von Professor Max Burchartz. Er
ist ein Künstler aus dem Kreise des Bauhauses,
Lehrer an den Folkwangschulen und an der
Kunstgewerbeschule zu Essen.

Paul Renner

215

28*
 
Annotationen