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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 47.1931-1932

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Eisler, Max: Die Kunst Anton Hanaks seit 1925
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https://doi.org/10.11588/diglit.16479#0290

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DIE KUNST ANTON HANAKS SEIT 1925

Selbstredend kann auch Anton Hanak die fünf-
zig Jahre seines Lebens — davon mehr als drei-
ßig verbracht in harter, mühseliger Arbeit —
nicht verleugnen. Selbstredend ist heute auch
von seinem längst gereiften Schaffen keine Über-
raschungmehr und noch weniger ein Umschwung
zu erwarten. Aber auch ganz gewiß nicht jener
großartige Stillstand, der wohl noch viele und
vollkommene, doch im Grund stets nur wesens-
gleiche Werke hervorzubringen vermag. Nein,
vor einer solchen Gefahr frühzeitigen Alterns
schützt den Künstler seine enorme, unverbrauchte
Vitalität. Mit seinen fünfzig Jahren haut er je-
des Werk mit eigener Hand aus dem Stein oder
genauer gesagt: jetzt erst verschmäht er jede
fremde Hilfe — und das, trotzdem seine Hände
mittlerweile gichtisch geworden sind und ge-
legentlich den Dienst versagen. Er läßt sich die
schmerzhaft gewordene Lust, den unmittelbaren
Umgang mit dem Stoff, nicht nehmen. Sie ist
ihm die Quelle der bildnerischen Ekstase ge-
blieben. Lnd quellhaft, ekstatisch wie sie, treibt
auch den Fünfzigjährigen der Knabensinn noch
an — jener sehr junge Sinn, der auch das Kleine
groß sieht und das Beiläufige zum Anlaß stür-
mischer Bewegungen nimmt. Der also auf jed-
weden Lebenswechsel unverhältnismäßig re-
agiert, wie auf ein Abenteuer.
So erklärt sich auch im letzten Jahrzehnt die
anhaltende Frische von Hanaks Werk und die
Tatsache seiner neuartig einsetzenden und dann
kräftig fortschreitenden Entwicklung.
Neu ist fürs erste das Gruppenstück. Nimmt man
die 1912 für den römischen Pavillon gearbei-
teten und demgemäß als Bauplastik gedachten
„Ewigen Mächte" aus, dann bleibt von figuralen
Gruppen aus früherer Zeit nichts oder doch
nichts Y\ ichtiges übrig. Seit 192/i wird das an-
ders. In wenigenJahren entstehen nacheinander
die „Magna mater", die „Pieta", und das Denk-
mal für Gustav Mahler. Lnd diese Wendung hat
bei einem Künstler wie Hanak nicht wenig zu
bedeuten. Denn die Kunst Hanaks schien bis-
her — schon infolge ihrer monolithen Natur —
an die Einzelfigur gebunden. Jetzt faßt schon
das erstgenannte Werk fünf Figuren zusammen.
Und wie hier, beherrscht von der zugleich schir-
menden und vordrängenden Gebärde des Mutter-

weibes, der Marmor bewegt und prächtig auf-
rauscht, scheint erst in diesemW erkdie Schwung-
kraft des Bildhauers völlig frei geworden.
Sie gibt sich nicht nur sinnfällig, in der reichen
und gelösten Form, sie gibt sich nicht weniger
in ihrer neuen lebhaften Beziehung zu den Gei-
stesströmungen der Umwelt zu erkennen. Auch
hier liegt die Wendung klar zutage. Bis vor
wenigen Jahren war das Werk Hanaks das eines
Einzelgängers gewesen, entstanden weit draußen
im Prater, am Bande der kleinen Welt, aus den
Einsamkeiten der Landschaft, der Musik und
der Idee. Nun, mit einem Mal, am Beginn des
Alters, greift das allgemeine Leben bestimmend
ein in sein Schaffen. Das tut zuerst und am be-
deutendsten die Gemeinde Wien mit ihrem par-
teipolitischen Anhang : aus diesem Verhältnis
entstehen für den Gartenhof der Kinderüber-
nahmsstellejene ,,MagnaMater",fürden Zentral-
friedhof das Denkmal der Kriegsopfer, an der
Bingstraße das Denkmal der Bepublik mit der
Bildnisbüste \iktor Adlers. Es sind Aufgaben,
die Hanak, in nie gekannter Größe und Fülle von
sozialdemokratischer Seite zukommen. Trotz-
dem wird der Künstler kein Parteimann. Denn
er erledigt sie nicht im politischen, sondern im
Sinn desMenschheitsideals, dem er seit seiner Ju-
gend gedient hat. Aber der neue V erkehr mit der
Umwelt, von dem er sich so lange unwillig abge-
wendet hatte, beflügelt, befeuert nun sein Werk.
Das lodernde Bronzebild des Tribunen Adler,
noch mehr die Skizzen für das Denkmal Gustav
Mahlers zeigen das am klarsten. Der „Auftrag",
für die Mehrzahl der Künstler eine Qual und
ein Hemmnis, wird bei Hanak zum Schlüssel der
Befreiung. Lange Verhaltenes bricht jetzt durch,
bricht sich leidenschaftlich Bahn und nimmt
in seinen neuen, aktiven Aufschwung auch die
Stimmung des Geistes mit.
Dem Mann von 1920 war der verlorene Krieg
im Bilde einer hageren Gestalt erschienen, die
sich — abgleitend — noch ein letztes Mal, aber
vergeblich zu erheben sucht. Gegenüber diesem
Symbol des unaufhaltsamen Zusammenbruches
wirkt schon die Frau am Denkmal der Kriegs-
opfer, obwohl verschleiert und müde, doch auch
machtvoll und unüberwindlich wie nur das
Schicksal. Auch die Madonna in der „Pieta", er-

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