Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 47.1931-1932

DOI Artikel:
Winterstein, Franz: Revolte der Sekretäre
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16479#0301

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
REVOLTE DER SEKRETÄRE

Das Leben des Mannes, der das Genie beireut,
scheint schwer zu sein und die Galle anzugrei-
fen. Einzig Clemenceaus treuer Märtet macht
davon eine Ausnahme. Nach Broussons Buch
„Anatole France en pantouffles". bestimmt, der
Nachwelt den Meister als „vieux gaga" zu über-
liefern, wird nun ein anderer Fall bekannt, der
zeigt, daß Neid, Kränkungs- und Zurücksetzungs-
gifte — ein Leben lang aufgespeichert — eines
Tages verspritzt werden müssen. Man kann viel-
leicht nicht „bon enfant" bleiben, wenn der
Meister Artikel zeichnet- die er nicht geschrie-
ben hat.

Er hatte Guillaume Appolinaire viele Jahre ge-
dient, der kleine Monsieur Gery, hatte ihn ver-
ehrt und in seine Anbetung auch Appolinaires
Freunde einbezogen. Sein Vater, ein Brüsseler
Rechtsanwalt, mochte vielleicht mit dem Pariser
Bohemeleben seines Sohnes nicht einverstanden
sein, aber gerade dieser Schuß Unbürgerlichkeit,
Verrücktheit machte ihn zum brauchbaren Werk-
zeug eines Appolinaire. Daß er von seinem Vater
gut genug dotiert war, um auf sein Gehalt war-
ten zu können, machte ihn fast liebenswert.
Und so mußte es Appolinaire zwar verschwende-
risch, nicht aber auffällig scheinen, als Gery eines
Tages ihn und seinen Freund Picasso mit Ge-
schenken bedachte, deren Auswahl — es waren
einige seltene Statuetten für Appolinaire und
zwei Steinmasken für Picasso — so recht die
Liebe des kleinen Gen- bewiesen. Wer konnte
ahnen, daß die Gaben das Ergebnis einer fixen
Idee Gerys waren? Der Diebstahl der Mona Lisa
hatte ihn nicht ruhen lassen. Vielleicht war es
der Wunsch, einmal, ein einziges Mal nicht
Werkzeug eines anderen Willens zu sein, selbst
etwas Großes zu tun. Den Louvre bestohlen zu
haben, das war eine Sache, die auch dem schwäch-
sten Selbstbewußtsein auf die Beine helfen mußte.
Die Beschenkten verschlossen Gerys Beweise der
Verehrung, ohne seinem heftig geäußerten
Wunsch, sie nicht herumstehen zu lassen, be-
sondere Beachtung zu schenken.
Jahre vergingen. Der Diebstahl Gerys, der seit
langem nicht mehr in Appolinaires Diensten
stand, war nie entdeckt worden. Die Steinmasken
ruhten vergessen in Picassos Atelier, die Statu-
etten in einem Koffer des Schriftstellers.

*

Es begann damit, daß einer obskuren Pariser Zei-
tung anonym mitgeteilt wurde, es sei dem Schrei-
ber gelungen, den Louvre um ein paar Kunst-
werke ärmer zu machen. Die Stücke waren genau

bezeichnet. Das Blatt, dankbar für die Sensalion.
veröffentlichte am nächsten Tag einen Artikel
mit der L berschrift „Diebe im Louvre". Das war
lustig und aufregend, fand Gery, der sich damals
auf einer Reise durch Südfrankreich befand. Und
seine nächste Zuschrift, an die Pariser Präfektur
gerichtet, enthielt eine Menge interessanter De-
tails. Die Direktion des Louvre mußte sehr bald
die Angaben des anonymen Schreibens bestätigen,
aber die Polizei suchte vergeblich nach ihm, der
täglich seinen Aufenthaltsort zu wechseln schien.
Da kam die letzte Karte. Sie bezichtigte Picasso
und Appolinaire der Mittäterschaft.
Picasso war damals auf einer Studienreise in Spa-
nien, fern vom Schauplatz seines Verbrechens,
und da er keine französische Zeitung zu Gesicht
bekam, blieb er völlig ahnungslos. Nach Paris zu-
rückgekehrt, suchte er seinen Freund Appolinaire
auf. Aber was war mit dem geschehen? Ein ge-
hetzter, verängstigter Mensch führte ihn flüsternd
ins Zimmer und erzählte dem sprachlosen Picasso
von Gerys furchtbarer Tat. Er schien darauf ge-
faßtzu sein, in der nächsten Sekunde eine schwere
Hand auf seiner Schulter zu fühlen, obgleich die
Statuetten im Koffer, bei der Durchsuchung sei-
ner Wohnung, nicht gefunden worden waren.
Picassos erster Gedanke war Flucht ins Ausland.
Nur mit Mühe konnte Appolinaire ihn daran hin-
dern. Die Statuetten unterm Arm, schlichen die
beiden in Picassos Atelier, Boulevard Clichy. Nach
langen Beratungen im dunkeln x\telier, sie fürch-
teten durch laicht den Hausbewohnern Picassos
Heimkehr zu verraten, beschlossen sie, dieLouvre-
schätze in der Seine zu versenken. Um Mitter-
nacht verließen zwei geheimnisvolle Männer, un-
kenntlich durch in die Stirn gezogene Hüte und
aufgestellte Mantelkragen, das Haus. — Als sie
sich morgens um drei die fünf Treppen zu Picassos
Atelier hinaufschleppten, war das Paket mit den
Masken und Statuetten noch immer in ihrem Be-
sitz. Aus Furcht, beobachtet zu werden, hatten
sie es nicht gewagt, ihren Schatz in die Seine zu
werfen. Da saßen sie nun: Picassos Freundin
machte ihnen Kaffee und sie berieten von neuem.
Appolinaire beschloß endlich, am Morgen der
Redaktion des Paris-Journal den Vorschlag zu
machen, die unerwünschten Kunstwerke dort zu
deponieren, falls man ihm Schweigen über ihre
Herkunft zusicherte.

Alles ging nach Wunsch. Paris-Journal war be-
geistert von der Aussicht auf eine so glänzende,
billige Reklame. Der Schriftsteller beeilte sich,

283
 
Annotationen