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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 47.1931-1932

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Bombe, Walter: Anselm Feuerbach und Lucia Brunacci, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16479#0337

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ANSELM FEUERBACH

UND LUCIA BRUNACCI

Dem Realismus,, der um die Mitte des 19. Jahr-
hunderts wie ein großes Reinigungsbad gewirkt
hatte, trat um dieselbe Zeit eine Rewegung ent-
gegen, die über die Grenzen des Wirklichen hinaus
eine Kunst des hohen Stils anstrebte, die ferne,
hohe Schönheitswelt der Antike zu neuem Leben
wieder erweckte und in Italien alles das zu finden
glaubte, was die karge Natur des Nordens nicht be-
saß. Da sich diese Kunstbewegung in bewußten
Gegensatz zu den Bestrebungen der Realisten stellte,
so hatten ihre Vertreter lange und schwer zu kämp-
fen, bis sie sich durchsetzten. Aber der Mangel an
öffentlicher Anerkennung hat sie nicht davon ab-
gehalten, trotz aller Anfeindungen ihre Eigenart aus-
zubauen und sich wohl oder übel mit ihrem Schick-
sal abzufinden. Böcklin, Feuerbach und Marees sind
die Pfadfinder dieser Richtung, die man als Neu-
romantik zu bezeichnen pflegt. Am meisten hat von
diesen drei Künstlern wohl Feuerbach unter der
Verständnislosigkeit seiner Zeitgenossen gelitten,
aber der Kampf mit einem schwachen Körper und
mit den Sorgen um das tägliche Brot hat ihn eben-
sowenig wie Böcklin und Marees zum Götzendiener
der Alltagsmode gemacht. Feuerbachs Leben trägt
den Stempel der Rastlosigkeit. Sein Genius ist ihm
zum Dämon, nicht zum Friedensengel geworden.
Er trieb ihn ruhelos zu neuem Schaffen. Die zö-
gernde Anerkennung der Mitwelt rettete ihn jedes-
mal vor dem völligen Zusammenbruch. Ein großer
Erfolg war ihm beiLebzeiten nie beschieden. Heute
gilt er als der größte Künstler seiner Zeit.
Die erhabene Schönheit der Antike war Feuerbachs
Ideal, und es ist ihm gelungen, die bestimmte Art,
die Antike aufzufassen, für eine ganze Generation
Deutscher festzulegen. Er malte Medea und Iphi-
genie, malte das Gastmahl des Piaton, den Titanen-
sturz, die Amazonenschlacht. Orpheus und Eurydike
und das Urteil des Paris. In allen diesen Bildern
kehren die Züge und die Körperlichkeit einer be-
stimmten Frau wieder, die von 1867 bis an seinen
Tod. also fast i4 Jahre, sein Leben geteilt hat. Es
war die Bömerin Lucia Brunacci, der Paul Hartwig
ein eigenes Buch: „Anselm Feuerbachs Medea-
(Leipzig, Hirzel, igo4i gewidmet hat.
Lucia Brunacci hat als die passive Helferin Anselm
Feuerbachs an seinen Hauptwerken sich ein großes
Verdienst um die deutsche Kunst erworben, und
wir alle haben Grund, an sie einen Teil der Dan-
kesschuld abzutragen, die wir einst dem großen
Meister versagten. Ich habe diese Frau kürzlich in
Born aufgesucht. Sie wohnt weit draußen im Osten

der Ewigen Stadt, im Viale Margherita 302, in
äußerster Armut und Dürftigkeit. Selten hat mich
eine Begegnung tiefer erschüttert.
Die Achtzigjährige beginnt aus ihrem Leben zu er-
zählen, erst zögernd,dann lebhafter: „MeineEltern
haben mich, wie das damals in Bom Sitte war, ganz
jung, schon mit 15 Jahren, verheiratet. Mein Mann
hieß Cesare Preti. Er hatte eine Osteria im Borco
dei Greci und war oft betrunken. Kurz bevor ich
Anselmo kennenlernte, hatte ich Zwillinge geboren.
Bomolo und Bemo. Andere Kinder habe ich nie ge-
habt. Den kleinen Bomolo mußte ich in Pflege zu
Verwandten geben, bei denen er früh gestorben ist.
Remo ist noch jetzt bei mir: er ist ein guter Sohn.
Ich war kaum 17 Jahre alt, als mir eines Tages ein
Bekannter sagte, ein deutscher Maler habe mich auf
der Piazza Barberini mit meinem Kinde gesehen,
er wünsche mich als Modell, und ich solle zu ihm
ins Atelier kommen. Da ich dringend Geld brauchte,
um Romolos Amme zu bezahlen, so ging ich hin.
Ich klopfte an, aber niemand öffnete. Enttäuscht
und traurig kehrte ich heim. Damals wußte ich
noch nicht, daß Anselmo menschenscheu war und
durch Besuche niGht gestört werden wollte. Am
nächsten Tage erschien Anselmo in meiner AN oh-
nung. Er verabredete mit mir ein bestimmtes Klopf-
zeichen. Ich mußte ihm versprechen, keinem an-
deren Maler als Modell zu dienen, dann wolle er
mich für immer behalten. Dieses Versprechen habe
ich gehalten. Noch eifersüchtiger als Anselmo. der
mich keinem anderen Künstler gönnen wollte, war
Cesare, mein Mann. Einmal drohte er mir, mein
schönes langes Haar abzuschneiden, ein anderes Mal
biß er mich in die Nase, damit ich Anselmo nicht
mehr gefallen sollte. Hier, Signorino, können Sie
noch heute die Narbe sehen! Anselmo war empört
über Cesares Boheit und zeigte ihn der Polizei an.
In der Folge hatte ich weniger zu leiden, denn mein
Mann hatte Angst vor den Poliziotti und ließ mich
nun in Buhe. Ich war dann viele Jahre lang bei
Anselmo, täglich von 11 bis 2 Uhr. Dann aßen wir
meist zusammen im Atelier. Er hat außer mir nie
wieder ein weibliches Modell gehabt. Gleich in der
ersten Zeit unserer Bekanntschaft hat er, als ich mir
einmal die Haare flocht, eine Studie nach mir ge-
macht." i'DiesesBild ist kürzlich wieder aufgetaucht
und befindet sich jetzt im Besitz der Kunsthand-
lung Hermann Abels in Köln; s. die Abbildung
am Schluß dieses Aufsatzes.) „Sonntags fuhr er
öfters mit mir hinaus zur Via Appia, wo er mir

/Fortsetzung Seite 332)

Kunst für Alle, Jahrg. 47, Heft 11, August 10^*J

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