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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 47.1931-1932

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Carls, Carl Dietrich: Gespräch mit einem jungen Bildhauer
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GESPRACH MIT

EINEM JUNGEN BILDHAUER

Die Zeit, da die Fassaden unter der Last bild-
hauerischer Produktion zusammenzubrechen droh-
ten, ist endgültig vorbei. Die Architektur hat da-
durch., daß sie sich ganz auf sich selbst besann und
den plastischen und malerischen Schmuck beiseite
ließ, unbestreitbar an Klarheit und Reinheit gewon-
nen. Aber sicher wird ein junger Bildhauer der Kon-
sequenz dieses Reinigungsprozesses, der die wirt-
schaftliche Basis der bildhauerischen Arbeit wesent-
lich verschmälert hat, mit geteilten Empfindungen
gegenüberstehen.

„Ich liebe die moderne Architektur und ihren Wil-
len zur Ordnung. Aber natürlich macht sich die
Trennung von der Architektur für uns bemerkbar.
Unsere Väter haben geklagt, daß sie vor „Aufträgen"
zu keiner künstlerischen Arbeit kämen. Das hat sich
gründlich geändert, wir stehen heute ohne Aufträge
vor unseren Arbeiten. Es läßt sich nicht mehr ver-
heimlichen, daß wir als Bildhauer in der Zeit iso-
liert dastehen. Es hat uns nichts genützt, wenn wir
in der Angst vor Tempoverlust oder vor dem wirt-
schaftlichen Aull uns in Originalitätssucht über-
boten haben. Wir sind im Gegenteil damit nur un-
verständlicher geworden. Es würde aber zu nichts
führen, angesichts unserer großen wirtschaftlichen
Schwierigkeiten in Klagen zu verfallen. Wir haben
lernen müssen, uns äußerlich und innerlich zu be-
scheiden. Aus dieser Beschränkung, die wir auf uns
nehmen müssen, wachsen uns andererseits wesent-
liche Kräfte zu. Es scheint, daß eine starke Verin-
nerlichung im bildnerischen Schaffen die Folge sein
w7ird."

In seiner freiwillig oder unfreiwillig erwählten
Zelle führt also der junge Bildhauer ein auf sich
selbst zurückgezogenes Dasein, wodurch zweifellos
seine Arbeit an Konzentration gewinnen wird. Aber
verliert sie nicht auf diese Weise den Zusammen-
hang mit der Zeit und ihren geistigen Triebkräf-
ten ?

„Das Verhältnis des bildenden Künstlers zu seiner
Zeit liegt weniger offen zutage als etwa das des
Schriftstellers. Wenig ist mit der Feststellung ge-
sagt, daß wir die innere und äußere Umwertung,
die wirtschaftliche und geistige LUmgruppierung be-
wußt erleben. So sehr wir an dieser Entwicklung
interessiert sein mögen, so ist es doch nicht unsere
Aufgabe, uns ihr spekulativ zu verschreiben. Für uns
handelt es sich darum, auf unserem eigenen Schaf-
fensgebiet unseren Standort zu erkennen. Wenn wir
die Verbindung zu unserer Zeit finden, das heißt
wenn wir überzeugen wollen, so müssen wir zu aller-

erst von uns selbst überzeugt sein. Mit der Freude
am Formen und Drauflosmodellieren allein ist es
nicht getan, mag sie von noch so starkem Tempera-
ment, getragen sein. Erste Voraussetzung für den
Bildhauer ist die Erkenntnis der Begrenztheit sei-
nes Materials. Wir lieben als Bildhauer die abtast-
bare Materie. Dieses Bekenntnis verpflichtet zur
formalen Auseinandersetzung mit diesem speziellen
Ausdrucksmittel. Wir gehen wieder von der natür-
lichen Beschaffenheit unserer Baustoffe aus: Stein,
Metall, Holz, gebrannte Erde, Ton. Auch das Ma-
terial kann von sich aus die Verwirklichung der
Form Vorstellung befruchten. Nicht ungestraft läßt
man seine Beschaffenheit außeracht."
Sie schildern einen Reinigungsprozeß, der offen-
bar dem der Baukunst nahe verwandt ist. Aus die-
sen Voraussetzungen wird sicherlich auch eine be-
stimmte Grundhaltung in formaler Hinsicht, ein
neues Verhältnis zwischen Erlebnis und Ausdruck
hervorgehen.

,,W ir sehnen uns nach dem einfachsten plastischen
Gebilde. Die stürmische Bewegungspose interessiert
nicht mehr. Wir versuchen, nach innen zu dringen
und die ursächlichen Zusammenhänge zu erfassen,
die Anlaß der äußeren Bewegungen sind. Für uns
ist das innere Erlebnis wesentlich, die Mannigfaltig-
keit der inneren Erregungen, die vorderäußeren Be-
wegung, gleichsam vor derEntladung wetterleuchtet.
So verzichten wir auf jede überflüssige, übertrieben
motorische Bewegungsdarstellung. Als einfachstes
plastisches Gebilde, als reinste Abstraktion plasti-
schen Formwillens könnte die Kugel gelten. Sie ist
vollkommen ausgeglichen in dem Spann ungsverhält-
nis ihrer Oberfläche und wir können sie uns in jedem
Material denken. Aus der Kugel (immer abstrakt ge-
dacht) können wir uns alle Körper entstanden den-
ken, gleichgültig ob aus äußerer oder innerer Ge-
walt. Despiau hat einmal vor einem seiner Porträts
gesagt: A oila, c'est un oeuf ... mais ce n'est pas un
oeuf!' End hinsichtlich der Einfachheit formalen
Baues hat Maillol ausgesprochen: .Alle aufsteigen-
den Linien in der Natur, alle ^ ertikalen sind ker-
zengerade, alle Horizontalen rund. Nehmen Sie doch
einen Baumstamm. Seine Vertikalen sind kerzen-
gerade. Schneiden Sie ihn durch, so erhalten Sie
lauter runde Formen/"

Aus diesem Streben nach einfachen plastischen
Gebilden und nach konzentriertem Ausdruck gei-
stig-seelischer Spannungen erklärt es sich vielleicht,
warum gerade das Porträt viele Bildhauer heute
so stark fesselt.

Kunst für Alte, Jahr^. 47, Heft 11, August 193'»

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