Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 47.1931-1932

DOI Artikel:
Kiener, Hans: Die Rossebändiger vor der Technischen Hochschule, München: von Bernhard Bleeker und Hermann Hahn
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16479#0369

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
geistige Tätigkeit, die geleistet worden ist. ist eine
rein künstlerische, ein Sich-Konzentrieren auf die
innere, möglichst klare Gesamtvorstellung: der
Form, ein immer intensiveres Durchdringen des
Formproblems, ein immer klareresSehen, ein immer
größer gegriffenes Zusammenschauen der Formen.
Es ist wie eine Offenbarung des echten Deutsch-
land, das sich im Bekenntnis zur Arbeit um ihrer
selbst willen, im Bekenntnis zur Kraft und Gesund-
heit, in Lebensfülle und Schönheit ein Denkmal
gesetzt hat. Es ist das beste Zeichen für ein Werk,
wenn man in seiner Gegenwart, von seiner geistigen
Größe, Bedeutsamkeit und Schönheit so ergriffen
wird, daß die Frage nach der kunstgeschichtlichen
Einordnung als eine ganz sekundäre erscheint.
Immerhin, die Gruppen gehören jener Bichtung
an, die seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr
und mehr sich anschickt, die Unreinheiten der
Formgebung, die unbewußt barocken und die
rein gedanklichen Elemente des Klassizismus vom
Anfang des ig. Jahrhunderts zu überwinden, im
Sinne einer an der Natur genährten, großen Form-
anschauung: eben der Neuklassik. Bethel und
Feuerbach, Marees und Hildebrand repräsentieren
den Aufstieg. In der Art wie die Gruppen in ihrer
streng-en Stilisierung: mit der ernsten Architektur
zusammengehen — einen besonderen Genuß ge-
währt es, von der Hochschule aus Bleekers Gruppe
mit der feierlichen Architektur der Pinakothek
zusammenzusehen, in der Art, wie die Ehrfurcht
vor der Natur in den Dienst großer überding-
licher Formanschauung gestellt wurde, ist durch
die Tat der Beweis erbracht, wie stark gerade wieder
in der Gegenwart, die in der Tiefe der deutschen
Seele schlummernden, vom Humanismus geweckten
und genährten Kräfte sind, die zum Apollinischen
neigen. In Goethe waren die beiden großen Mög-
lichkeiten deutscher Schöpferkraft vereint. Neben
Faust stehen Iphigenie und Tasso.
Man hat es seit der Enthüllung; der beiden Groß-
Bronzen erlebt,daß sie, daß künstlerische Probleme,
wie in der Benaissance, künstlerisches Tagesge-

spräch sind. Das unvermeidliche \ ergleichen der
einen mit der anderen Gruppe hat zu einer Diskus-
sion geführt, die an die berühmte Streitfrage er-
innert, wer nun eigentlich größer sei, Schiller oder
Goethe? Das Pferd von Hermann Hahn halte ich
für ein vollkommenes Stück Plastik: Wie der
schlanke, kraftvolle Körper des edlen Tieres auf-
gebaut ist, wie die straffen Vorderbeine die frei-
gewölbte Brust, den schlanken Hals und den stolzen
wundervoll modellierten Kopf tragen, wie die
prachtvolle Schulterpartie zum schlanken Leib
überleitet und an diesem die kraftvollen Lenden
und die Hinterbeine sitzen, wie schließlich das
Ganze in dem vornehmen Schweife ausklingt und
wie die im einzelnen so lebensvoll gegebenen Par-
tien zu einem Werk größter Einheit und Klarheit
zusammenklingen, wie bei allem Einfühlen in die
Natur und Ausgehen von der Natur der Künstler
über die Natur hinausgegangen ist, im Sinne
großer Stilisierung, das gibt einen hohen Begriff
vom plastischen Können Hermann Hahns. Sehr
schön ist. kommt man von der Theresienstraße her.
wie die Gruppe Hahns mit der Architektur Bestel-
meyers zusammengeht. Meine besondere Freude
aber ist das ganz groß gesehene Zusammenstehen
von Mann und Pferd von Bleeker, wie das Sich-
Entwickeln von Wölbung aus Wölbung, das Zu-
sammenklingen der einzelnen Körperpartien unter
besonderer Berücksichtigung der Modellierung
durch das Licht unter sich und mit den in groß
menschlicher Y\ ürde verlaufenden Konturen, in
den Dienst des Kraftvollen und Morgenfrischen der
Empfindung gestellt ist, wie es nur in großen
Zeiten ganz großen Künstlern gelungen ist. Ein
solches Y\ erk gibt der Zeit die künstlerische Signa-
tur, mag auch das Niveau des Durchschnitts so
niedrig sein, wie es heute ist. Die Zeiten des früher
selbstverständlichen hohen Niveaus der breiten
Produktion scheinen seit dem Anfang des ig. Jahr-
hunderts, seit der Zunahme des Selbstbewußtseins,
der Quasi-Emanzipation der Masse dahin — ob für

immer? Hans Kiener

348
 
Annotationen