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Das Kunstgewerbe in Elsaß-Lothringen — 3.1902-1903

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Hartmann, Anton: Zur Frage der Kunsterziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6478#0018

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Anton Hartmann: Zur Frage der Kunsterziehung.

Kahle predigen, sondern mithelfen, die
soziale Kluft zu überbrücken, Arm und
Reich gleichmässig für den Reiz des
Schönen empfänglich zu erziehen.

Es wird uns näher zu beschäftigen
haben, in welcher Weise die Reichslande
dieser Pflicht entgegenkommen, der sich
kaum eine Unterrichtsverwaltung entziehen
kann. Ein erfreulicher Beginn ist in dem
Neubau der städtischen höheren Mädchen-
schule in Strassburg zu verzeichnen. Die
reizvolle Form dieses Gruppenbaues wie
ihre Innenausstattung, muss in dem Kinder-
herzen tiefen Eindruck erwecken. Das Kind
wird unwillkürlich durch die Betrachtung
dieser Dinge mit einem höheren Wesen eine
Gemeinschaft schliessen, und diese anfäng-
lich unbewusste Annäherung an die Schön-
heit ist es, welche ihm nach und nach
künstlerische Empfindungen einflösst. Der
Keim, den man nun auf diese Weise in
das Kinderherz legt, wird sich später ge-
deihlich entwickeln. Wir verkennen durch-
aus nicht, dass dies nur ein Teil der
Pflege des Sinnes für das Schöne ist und
sein kann, denn die «Kunst» wird im
Kinde aucli geweckt, wenn es ein Gedicht
schön vorträgt, sie wird auch ange-
regt durch kunstvoll verbundene turne-
rische Bewegungen, welche streng takt-
mässig, nach dem Rythmus passender
Lieder und sonstiger Musikstücke darge-
stellt werden. Aber die Schule hat daneben
auch die Aufgabe, das Auge zum Sehen-
lernen zu erziehen, wie sie die Kinder
zur Gesundheit und Kraft des Leibes er-
ziehen soll. Ein schönes, innen und aussen
anregendes, farbenfrohes Schulhaus giebt
dem Kinde Ideen, es lernt durch den täg-
lichen Anblick die Schönheiten des Ganzen
wie der Einzelheiten allmählich sehen, es
wird unwillkürlich in das geistige Wesen
eines Kunstwerkes eingeführt und dazu
befähigt, nicht nur an diesem Gebäude,
sondern auch an anderen seinen Sinn für
das Schöne zu nähren.

Wir wollen nicht die Einführung
eines neuen Unterrichtsgegenstandes, aber
wir wünschen auch für die Reichslande,
dass man hier auf die künstlerische Ge-

staltung des Schulgebäudes und auf
künstlerischen Wandschmuck für seine
Räume immer Wert lege. Wir wünschen
aber auch, dass die Lehrer insbesondere
nur gute Kinderbilderbücher empfehlen
möchten — nicht Bücher, die eine hohe
Kunstsprache reden und die dem Kind,
ja auch dem Erwachsenen, unverständ-
lich bleiben werden.

Im Monat Oktober wird die Wander-
ausstellung des deutschen Buchgewerbe-
vereins : «Die Kunst im Leben des Kindes»
in den Räumen des alten bischöflichen
Schlosses in Strassburg ihre Aufstellung
finden. Eltern und Lehrer haben dann
die beste Gelegenheit, sich über das
klar zu werden, was der Begriffsfähigkeit
und dem Anschauungsvermögen des
Kindes geboten werden kann. Den ver-
schiedenen Alters- und Reifestufen des
Kindes muss natürlich entsprechend Rech-
nung getragen werden; aus der grossen
Anzahl der Bücher mit guten Bildern
kann man ersehen, wie die tüchtigsten
Meister aller Nationen — alte und
moderne — sich ehrlich bemühten, nicht
nur das Auge des Kindes an Schönes
zu gewöhnen, sondern auch die ver-
schiedenen Grade der Aufnahmefähigkeit
zu ergründen. Die Verbreitung des
künstlerischen Sehens muss notwendig
bei dem Bilderbuche des Kindes anknüpfen.
Dem Hause fällt hauptsächlich die Auf-
gabe zu, den Hemmungen vorzubeugen,
die sich durch eine vorwiegend intellek-
tuelle Erziehung und die Tyrannei einer
alten und neuen Ästhetik, vor allem aber
durch künstlerisch schlechte Umgebung
von frühester Kindheit an einschleichen
und das natürliche Gefühl einschnüren
und oft ganz absterben lassen. Wie
kommt es, fragen wir, dass Kinder mit
9 und 10 Jahren oft über eine geradezu
verblüffende künstlerische Phantasie ver-
fügen , die aber mit zunehmender Aus-
bildung des Intellekts abnimmt und oft
vollends zerstört wird?

Eine Reform des Zeichenunterrichts
erscheint als ein unabweisbares Bedürfnis
und hell lodert denn auch der Kampf auf
 
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