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Das Kunstgewerbe in Elsaß-Lothringen — 3.1902-1903

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Gässler, Jos.: Kunst und Kunstgewerbe auf dem Lande
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https://doi.org/10.11588/diglit.6478#0036

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Kunst und Kunstgewerbe auf dem Lande.

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einem gewölbten Steinbogen, der ursprüng-
lich von zwei Karyatiden getragen wurde,
die auf Postamenten stehen. Der Kopf der
Karyatide endigt in ein Volutenkapitäl,
auf dem sich eine Console befindet. Das
Gesims bekrönen drei Ananas. Die eine
der Karyatiden, die abseits von der Haupt-
mauer eingesetzt worden ist, obwohl sie
zum Portale notwendig gehört, zeigt eine
ungemein edle Linienführung. Auch die
Herme, die am Portale irrthümlich ver-
wendet ist, frappirt durch die Sicherheit
in der Behandlung der Formen. Diese
Reste dekorativer Plastik — heute ist ein
schönes, aus dem 18. Jahrhundert stam-
mendes Alliancewappen der Familie Bart-
mann willkürlich dazwischen eingesetzt
worden — sind zwar in einem arg ver-
stümmelten Zustand auf uns gekommen,
aber sie erzählen von dem ungewöhn-
lichen Reichtum des Städtchens und von
der Prachtliebe derer, die hier einst die
Herrschaft führten.

Es sind, abgesehen von den üblichen
Schaustücken, wie dem Rathaus und dem
Brunnen, allerdings neben etwa zehn stei-
nernen Wendeltreppen nur spärliche Bruch-
stücke und zerfallene Ruinen oder einst

traute, intime, mit allem Luxus der Zeit an
den Thüren und in den Gemächern aus-
gestattete, heute dem Aufenthalte von
schlichten Landbewohnern dienende
Räume. Wenn nun auch — wie das im
Fronhofe zu Borsch der Fall ist — die spät-
gotischen, originellen Steinpfeiler an den
Fenstern im Innern mit dem schönsten
Börscher Blau versehen worden sind, so
freuen wir uns doch, dass Reste eines inte-
ressanten Privatbaus überhaupt noch
erhalten sind. Es lässt sich gerade im
Elsass auf diese Weise viel im Geiste re-
construiren. Aber Oberehnheim und sogar
Borsch bieten auch dem verwöhnten Auge
Lehrreiches und Merkwürdiges für die
Geschichte der kunstgewerblichen Ent-
wicklung auf dem Lande.

Und dass das alte Reichsstädtchen Ober-
ehnheim auch in unseren Tagen einer ruhm-
volleren Vergangenheit gegenüber nicht
zurückstehen will, das beweisen die herr-
lichen Wandgemälde, mit welchen cier aus
Barr stammende Prof. Martin Feuerstein
(z. Z. in München) die dortige neue Kirche
ausschmückte; wahrlich, hier ist das Ideal
der alten « Biblia pauperum » in moderner
Gestaltung zur Verwirklichung geworden.

Hof eines Bauernhauses in Reitweiler,
 
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