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Das Kunstgewerbe in Elsaß-Lothringen — 3.1902-1903

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Statsmann, Karl: Elsässische Volkskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.6478#0054

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Karl Statsmann ■ Elsässisclie Volkskunst.

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Giebel eines im J. 1730 erb. Hauses zu Wickerschweicr Ob-Els.

selbst herstellen oder selbst ver-
zieren soll, schmücken in einfacher
Weise nach Art der Altvordern, naiv-
echt, mit Motiven, welche einheimischer
Flora entlehnt oder frei in natürlichen
ornamentalen Linienspielen und Muster-
ungen gehalten sind.

Vielleicht trifft diese letztere Auf-
fassung noch am besten das Wesen einer
Volkskunst. Eine Kunst, die das Volk
versteht, weil es sie selbst geübt, weil sie
aus seiner Art und Umgebung natur-
gemäss erwachsen ist. In weiterer Fas-
sung wird jede Kunst Volkskunst sein,
welche das Volk als breite Masse der
Menschen im Gegensatze zur Minderzahl
der wissenschaftlich Gebildeten versteht,
weil es seiner Eigenart Rechnung
trägt. Ist die Kunst Erzieherin, so muss
dies ihr erstes Leitmotiv sein: Berück-
sichtigung der Eigenart des zu Erziehenden
und des Milieu, aus dem er erwachsen.
Hierbei kommt es dann nicht so sehr
darauf an, ob der, dem die Kunst gilt,

mehr oder weniger zu derselben selbst
beigetragen; am echtesten freilich wird
die Volkskunst sein, wenn sie nur aus
dem Kreise derjenigen hervorgegangen ist,
welche sie üben, einem Baume gleich,
welcher aus dem Erdboden Nahrung an
sich zieht, auf welchem er steht. Wie aber
dieser Baum mit tiefen Wurzeln auch aus
fernen Teilen der Umgebung Nahrung
holt, so auch die Volkskunst: Der An-
regung bedarf auch sie, denn alle echte
Kunst ist nicht stabil, sie bedarf wie der
Baum der Zufuhr neuer Säfte und Kräfte,
soll sie nicht vertrocknen. Nur in der
Erneuerung dieser Kräfte liegt die
Grundlage zum Fortschritt, nur in
der Vervollkommnung der Kunst-
formen das Mittel zur Wahrung
der Frische und Natürlichkeit, der
Schönheit, und zur Vermeidung des
Entartens und Absterbens. Was wir
bei antiken Kunstgebilden, namentlich der
hellenischen Kunst, bewundern, ist nicht
das starr-stabile eines Stiles ohne Wand-
lung, sondern gerade das Gegenteil, das
fortwährende Wachsen, Werden und
Erneuern, von den in ägyptischer oder
assyrisch-asiatischer Art befangenen Ur-
formen an, welche den griechischen als
Nährboden dienten, bis zu den stämmig
dorischen, den belebten jonischen und den
als Erbe den Römern hinterlassenen konn-
tischen Säulenordnungen und deren
Teilen, in paralleler Abwandlung erkenn-
bar bei den Bildungen ornamentaler Art,
namentlich der Plastik, und den unerreicht
herrlichen Produkten der Keramik.

Diese Erörterungen waren notwendig
zur Erkenntnis der Art einer Volkskunst,
wie wir sie seit Jahrhunderten auch im
Elsass in bäuerlichen Gemeinden besassen
und noch besitzen einer wenn auch meist
schlichten so doch bodenständigen Kunst,
welche in ihrer Weise wie jede Volks-
kunst eine klassische ist, weil ein erster
Gattungsbegriff und ein in sich vollendetes
Gebilde, welches vorbildlich sein kann,
da es die möglichen Grenzen seiner Art
in jeder Hinsicht voll ausfüllt. Und wer
kennt sie nicht, diese Volkskunst und ihre
 
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