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Das Kunstgewerbe in Elsaß-Lothringen — 3.1902-1903

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Das Reliquiar der heiligen Attala in der St. Magdalenenkirche zu Strassburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.6478#0084

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Prof. Dr. Leitschuh : Das Reliquiar der heiligen Attala.

Fig. 36. Korknachbildung der Johanneskapelle in Mül-
hausen, aus dem Museum zu Mülhausen n n n n h n o

etwas werden von St. Attalas Heiltum!
Also sandte sie einen kühnen Boten, ge-
nannt Wernhar zu St. Stephan in die
Kirche. Der ging eines Nachts zu der
Bahre, da St. Attala lag und warf die
Decke von ihr. Da bot sie ihm die rechte
Hand, die erwischte er und hielt sie fest,
bis er sie abgeschnitten. Da verbarg er
die Hand heimlich und eilte zu der Kirche
hinaus und wähnte heim gen Hohenburg
zu laufen. So er also gelaufen, bis man
die Metten läutete, da kam er wieder in
die Kirche zu St. Stephan und wähnte, er
wäre zu Hohenburg und hob die Hand
auf vor ihnen Allen und sprach: Sehet,
sehet, was wir begehret haben, das haben
wir jetzt. Da das die Frauen zu St. Stephan
sahen, da verwunderte es sie und sie fingen
den Dieb und nahmen ihm die Hand und
legten sie wieder zu dem Leibe und fragten
ihn, wie so es ergangen wäre. Da sagte
er, wie ihn seine Herrin, die Äbtissin von
Hohenburg, hätte dargesandt und wie es
ihm des Nachts ergangen wäre. Da Hess
man den Dieb gehen, denn man soll
Niemand bestrafen, der da Heiltum aus
Liebe stiehlet.»

Im Jahre 1175 wurde die Hand der
hl. Attala unversehrt bei ihrem Leichnam
wieder aufgefunden. Etwa fünfzig Jahre
später wurde die Reliquie gefasst. Sie
blieb in St. Stephan nicht nur bis zur
Reformation, sondern auch dann noch, als
aus den Nonnen protestantische Stifts-
damen, die im Kloster weiter schalteten,
geworden waren. Bei der Niederlegung
ihres Amtes im Jahre 1698 hatte die letzte
protestantische Verwalterin des Stifts das
Reliquiar der Bischöflichen Behörde über-

liefert, und diese übergab es wieder den neu
eingezogenen Ordensfrauen. Zur Zeit des
Concordats kam die Reliquie in die Pfarr-
kirche, die St. Magdalenenkirche, wo sie
sich heute noch als der kostbarste Schatz
der Kirche befindet.

Unter den Reliquien des Mittelalters
sind handförmige Reliquiare nichts Unge-
wöhnliches; auch Fingerpartikel, wie z. B.
den des Julianus Alexandrinus. des Be-
schützers gegen Podagra, können wir
nachweisen, aber Hände in einem Schau-
gefäss sind verhältnismässig selten. Das
Strassburger Reliquiar, das zu den bedeut-
samsten Arbeiten dieser Art aus der ersten
Hälfte des i3. Jahrhunderts zählt, hat 45 cm
Höhe, 16 cm im Durchmesser; es baut sich
in drei Teilen auf. Das Mittelstück bildet
ein auffallend grosser Strausseneiförmiger
Bergkrystall, ähnlich wie er später bei
Reliquien-Monstranzen verwendet wurde;
er umschliesst die Reliquie und wird durch
eine fein ciselirte Fassung gehalten, die in
zierlichem, den gotischen Architektur-
formen nachgebildeten Strebewerk, in
Verzierungsstücken, in Bogen, Wimpergen
Fialen mit Masswerk dem Ganzen die auf-
strebende Bewegung gibt. Der noch in
romanischen Formen gebildete Fuss des
Reliquiars hat die Form eines auf vier
Tatzen ruhendem Schemels, der mit vier
Steinen besetzt ist, von denen einer als Kopt
geschnitten ist; unter den Steinen sind
schneckenartige Tierköpfe, nach Art der
Wasserspeier, angebracht. Der Fuss ist
aus Silber getrieben und vergoldet. Über
dem Mittelstück erhebt sich auf einem in
Bergkrystall geschnittenen, aus zwei Teilen
zusammengesetzten Oval ein an das Kreuz
genagelter Christus; der Körper ist mit
einem Lendentuch versehen, die Füsse über-
einander gelegt. Die Rückseite des Reliquiars
zeigt an dem unteren Rande der Fassung
des Bergkrystalls eine Inschrift:

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Die erste Erwähnung findet sich bei
Jakob Twinger von Königshofen, dem be-
kannten Chronisten des 14. Jahrhunderts.
 
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