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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 47.1897-1898

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Zimmermann, Ernst: Scherrebeker Kunstwebereien
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https://doi.org/10.11588/diglit.7002#0094

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Scherrebcker Kunstwebereien.

\\7. Kissenbezug (bsalbgobelin). Nach Entwurf von B.Lck-
mann; in lsandweberei ausgeführt zn Scherrebek. Grund
blau mit rothbranner Fassung; Blumen weiß, in den Winkeln
gelb; Blätter grün mit rothen Fassungen.

(Vs der wirkl. Größe.)

sollte es nicht bleiben. Städtische, großstädtische Aul-
turmenschen hatten dazu die Anregung gegeben und
der großstädtischen Aultur sollten daher auch die Re-
sultate wieder zurückgegeben werdeit. Darum durfte
man bei den ländlichen Motiven iticht stehen bleiben.
Ist es doch eine mehr oder weniger bewußte Selbst-
täuschung, wenn man glaubt, der raffiiürte Städter
nehme an den immer derben Erzeugnissen des Landes
wirklich gleiche Freude, wie die Bewohner dieses
Landes selber. Nur der Ueberdruß an eigener
Ueberkultur führt den Städter oft zu derberer Aost.
Mb sie ihm aber auf die Dauer munden würde?
Dies auf's Deutlichste erkannt und berücksichtigt zu
haben, ist das zweite große Verdienst des Leiters der
Scherrebek'fchen Anstalt; mit dieser Wandlung fangen
die Scherrebek'fchen Teppiche erst an „interessant" zu
werden, ihre symptomatische Bedeutung für unsere
Zeit zu erhalten. Der Scherrebeker Betrieb aber
wurde unter diesen Verhältnissen einer jener modern-
sten großstädtischen Betriebe, die ihre Seele in der
Großstadt haben, die Arbeitskräfte aber — unter dein
Zwange der theueren Lebenshaltung in dieser Groß-
stadt — auf dem Lande. Es handelt sich hier also um
keine chausindustrie in: alten Sinne; aber es wird
hier so glücklich vermieden, was Alois Riegl neulich
hinsichtlich der österreichischen Pausindustrie klagte,

daß Gegenstände produzirt werden, die für das Land
zu theuer, für die Stadt zu roh ausfallen.

Glückszufälle spielen oft in der Entwicklung einer
Sache eine große Rolle. Für die Scherrebek'fchen
Bestrebungen war es mehr als ein Glück zu nennen,
daß der erste Aünstler, der denselben großstädtische
Elemente zuführte, eine der hoffnungsreichsten
dekorativen Aräfte Deutschlands der Gegenwart und
zugleich eiu geborener Hamburger war. Wer Mtto
Eckmann kennt und fein künstlerisches Schaffen zu
kontroliren Gelegenheit gehabt hat, weiß, was ein
bildender Aünstler ist, begreift, wie wenige es deren
bei uns bisher gegeben hat. Echt künstlerisch begabt
für alles, was (Dualität heißt, voll schöpferischer
Phantasie, verbindet er damit jene Ausdauer und
Energie, ohne die Raphael nie ein Raphael geworden
wäre, ohne die Dürer seine schönsten pandzeichnungen
uns nicht hinterlassen hätte. Dabei ein wenig Philo-
soph — selber hat er neulich berichtet, daß er Aant,
Schopenhauer und natürlich auch Nietzsche studirt
hat — gut belesen — hat er doch einmal einen Ein-
wand gegen eine seiner Ideen durch das klassische
Zeugniß des alten Hamburger Senators und Natur-
fchwärmers Brockes zu widerlegen versucht — war er-
gänz dazu genracht, sich eine solche Aufgabe theo-
retisch klarzumachen, um sie dann praktisch ihrer
Lösung entgegen zu führen.

pierbei war es natürlich, daß er sich zu-
nächst mit der Technik vertraut nrachen zu müssen
glaubte — das war für solche Fälle genugsanr am
Hamburger Museum gepredigt worden —; dann
kam die Aufgabe hinzu, festzustellen, was dekorative
Aunst will und soll. Das wird denr danrals schon
mitten in der dekorativen Aunst steckenden Eckmann
nicht allzuviel Mühe rnehr geinacht haben. In ihm
war das Samenkorn der klassischen Aunst der Dekoration,
der der Japaner bereits verheißend aufgegangen;
für den speziellen Fall stützt ihn auch der einst
durch instinktmäßiges Aunstgefühl mustergültig gewor-
dene Stil der alten heimischen Gewebe. Die Theorie,
die Logik hals hierbei nach, die ja heute niemals bei
solchen Dingen fehlt, da sie uns eben oft genug das
erst wiedergeben muß, was früher ein Ausfluß des
natürlichen Instinktes war, und jener Stil war fertig,
den matt den dekorativen Flächenstil par excellence
mit vollem Rechte nennen darf, und der der eigent-
liche „moderne" Stil unserer Zeit werden zu wollen
scheint.

Die Quintessenz dieses Stiles ist die, daß eine
Flächendekoration auch wirklich eine Fläche der Wirk-
lichkeit, wie der Illusion nach sein soll, daß sie nir-
gends Plastik, nirgends Tiefe zeigen darf, daß sie,
kurz gesagt, eine dritte Dimension nicht kennt. Sie

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