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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 47.1897-1898

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Riegl, Alois: Die nordische Ausstellung und F. R. Martin's Sammlungen zu Stockholm
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https://doi.org/10.11588/diglit.7002#0218

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Die nordische Ausstellung in Stockholm.

ohne ein engeres Verhältniß zur Kunst, sodaß sie
ihre Thätigkeit des Sammelns von Kunstwerken nur
nebenher, aus Liebhaberei betrieben. Oder es waren
wirkliche Kunstkenner, die ihre vielseitige und an-
gestrengte Thätigkeit etwa in irgend einem europäi-
schen Kunstgewerbe-Museum zeitweilig unterbrachen
und einzelne orientalische Produktions- und handels-
Tentren (Konstantinopel, Kairo, Dainaskus u. A.)
aufsuchten, von denen sie aber wohl ausnahmslos
als wichtigstes Ergebniß die leidige Erfahrung heim-
brachten, daß auf solchen oberflächlichen Geschäfts-
reisen weder ein voller Beutel, noch die Unterstützung
von Konsul und Dragoman hinreichen, um eine
halbwegs befriedigende Ausbeute zustande zu bringen.
Die Erfolglosigkeit solcher Expeditionen hat sogar
schon wiederholt die Meinung auftauchen lassen, der
Orient wäre überhaupt alles alten Kunstbesitzes
bereits entblößt und es verlohne daher gar nicht
mehr des Versuches, dort etwas zu holen. Daß diese
Meinung eine irrige ist, beweisen eben die Samm-
lungen, die R. Martin noch in den allerletzten
Jahren zusammenzubringen geglückt ist.

Das Geheimniß von ß. R. Martin's Erfolgen
liegt einfach darin, daß er die beiden für sich unzu-
länglichen Sammlungsmethoden, die oben angedeutet
wurden, vereinigt hat. Nach Absolvirung theoreti-
scher kunsthistorischer Studien hat er sich als Assistent
am historischen Museum zu Stockholm eingehende
technische Erfahrungen und praktische Kennerschaft zu
eigen gemacht. Seine Aeisen im Orient begann er
von vornherein mit der festen Absicht, sich nirgends
bloß mit oberflächlicher Nachschau bei Händlern und
in den Bazars zu begnügen, sondern nach Möglich-
keit in das intime Leben des Volkes einzudringen.
So setzt er sich z. B. für den Besuch der sibirischen
Stadt Minussinsk, der gewiß alle landschaftlichen
und historischen Reize etwa italienischer Städte fehlen,
von vornherein die Frist von acht Tagen; als ihm
aber jeder einzelne dieser Tage Neues und Beachtens-
werthes erschließt, werden schließlich zwei Monate
daraus. Immer ist ihn: die Aunstforschung Haupt-
sache, aber gerade ihr zu Liebe hat er offene Augen
für alle anderen Kulturerscheinungen: genau entgegen-
gesetzt zu früheren Orientreisenden, denen anthro
pologische und ethnologische Wahrnehmungen um
ihrer selbst willen mindestens gleich viel galten, als
solche von künstlerischer Natur. So kann F. R. Martin
von sich sagen, er sei ebensosehr zu Hause in Samar-
kand wie in Aairo, in Tobolsk wie in Ispahan.

Aus dieser Art von Forschung an Ort und
Stelle ergibt sich, daß dasjenige, was Martin uns
über die von ihn: erworbenen Gegenstände zu sagen
hat, fast ebenso wichtig ist wie die Gegenstände selbst.

Da diese die Bestimmung haben, in die verschiedenen
großen nordischen Kunstsammlungen von Stockholin,
Thristiania, Lund, helsingfors u. A. überzugehen, ist
Martin bemüht, feine Beobachtungen zu veröffentlichen,
so lange er noch unmittelbare Fühlung mit seinen
Funden besitzt. Die Ergebnisse früherer Reisen, ins-
besondere solcher nach Sibirien, übergehend, mögen
hier nur diejenigen Veröffentlichungen Erwähnung
finden, die sich auf die in der Stockholmer Aus-
stellung befindlich gewesenen Objekte beziehen. Der
in der Ausstellung ausgegebene Katalog*) konnte
natürlich nur allgemein inforinirende Angaben ent-
halten und will daher keinen höheren bleibenden
Werth beanspruchen. Aber gleich die zeitlich früheste
Publikation * 2), die eine geschnitzte Holzthür aus dem
Besitze des großen Timur zum Ausgangspunkte hat,
verdient als gesichertes Zeugniß einer für die Er-
kenntniß der Wechselbeziehungen zwischen persischer
und chinesischer Aunst auf dem Wege über Tentral-
asien entscheidenden Aunstperiode die größte Beach-
tung. Von den jüngst ausgegebenen zwei heften
beweist das eine3 4), daß die ägyptischen Gräber des
frühen Mittelalters nicht die einzige übriggebliebene
Quelle für ältere orientalische Seidenstoffe bilden,
sondern auch im türkischen und persischen Privatbesitz
sich noch manches kostbare Stücke dieses Aunstzweiges
vorfindet, während das andere Heft h uns ein an
schauliches und lehrreiches Bild von einer bisher fast
unbekannt gebliebenen Aunstgattung — der central-
asiatischen Keramik — enthüllt. Nicht minder wich-
tige Aufschlüsse dürfen wir von der bevorstehenden
Veröffentlichung anderer Fundgruppen erwarten:
insbesondere der zahlreichen Metallarbeiten, ferner
der Denkmäler der Fayence-Industrie von Alt-Kairo,
oder der Knüpfteppiche, unter denen sich auch ein
Exemplar mit der Darstellung eines Lustgartens be-
findet, ähnlich den beiden bisher bekannt gewordenen
Beispielen dieser Art bei Sidney Tolvin (London) und
Vr. Albert Figdor (Wien). Zur Zeit durchstreift der
unermüdliche Forscher die Thäler des Kaukasus, woran
sich bekanntlich so viele Räthsel der menschheitlichen
Entwicklung knüpfen: vielleicht gelingt es ihm, wenig-
stens einige darunter zur Lösung zu bringen.

') ff. R. UTartin’s Sammlungen aus dem Vrient iu der
allgemeinen Kunst- und Industrie-Ausstellung zu Stockholm *897.
Stockholin, Kgl. Buchdruckerei. 8 Taf. Lichtdruck, s S. Text.

2) Thüren aus Turkestan. 5 Tafeln nebst Text von ff. R.
Martin. Stockholm ,897. Kgl. Buchdruckerei. ffol. fZ S.

3) Morgeuläudische Stoffe. (5 Tafeln nebst Text von ff. R.
Martin. Stockholm f897. Gustaf Thelius, in Kommission,
ffol. \2 S.

4) Moderne Keramik von Tentralasien. fS Lafeln nebst
Text von ff. R. Martin. Stockholni f897. Gustaf Thelius, iu
Kommission, ffol. 9 S., nebst descriptiven Angaben zu den
einzelnen Tafeln, worunter sechs farbige.

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