Gewerbliche Erziehung.
<$35. Gürtelschließe in Silber; entworfen von Margar. Sus-
mann (Schule Dafio), ausgeführt von Th. keiden, München.
(s/4 der wirkl. Gr.)
Wenn wir nun aber bedenken, daß in unferm
ganzen Gewerbe und vor allem im Kunstgewerbe
die Ausbildung von pand und Auge unserer Arbeiter
das Wichtigste ist, und daß uns zweifellos auf dem
gewerblichen und kunstgewerblichen Gebiete jedes
Land im wirtschaftlichen Wettkampfe im Laufe der
Zeiten schlagen wird, dessen Arbeiter und Bürger
eine gründlichere Durchbildung ihres Geschickes, wie
ihres Geschmackes aufweisen können; so drängt sich
uns einer der ersten Gesichtspunkte für die gewerb-
liche Erziehung geradezu von selbst auf. Der Wangel
jeglicher, auch der bescheidensten technischen Schulung
in deutschen, sogenannten gebildeten Kreisen, der hier
ungleich größer ist als in Frankreich, England und
Nordamerika, und die damit verbundene Urteilslosig-
keit eines großen Teiles unseres gebildeten Publikums
macht sich noch weit mehr geltend, als der Wangel
an kleinen, erziehlich wirkenden Gewerbemuseen mit
periodisch wiederkehrenden Specialausstellungen und
damit verbundenen Vortragscyklen.
Wie in Frankreich, so sehen Eie auch in England
in den Schulorganisationen die praktischen Tendenzen
mit aller Gewalt durchbrechen. Zn zahlreichen und
gerade in den besten Wittel- und Volksschulen werden
Werkstätten und Laboratorien eingerichtet, wo die
Schüler an ihren Arbeitstischen zwar langsam, aber
aus dem Wege hundertfältiger Erfahrung nicht bloß
ihre Kenntnisse, sondern vor allein auch ihr Können
fördern, und wie in der pädagogischen Provinz
Goethes ihre specifischen Neigungen und Fähigkeiten
kennen lernen, um ihnen entsprechend später ihre
Wege in Gewerbe und Zndustrie, in Kunst und
Wissenschaft einzuschlagen. Dem Beispiele Frank
reichs ist die Schweiz gefolgt, während Schweden
längst die gleiche Bahn gewandelt ist. Nur wir in
Deutschland zögern noch immer, wir können uns von
unfern geliebten Büchern nicht trennen.
Wohl find in den letzten 30 Zähren auch bei
uns allenthalben Fachschulen aller Art entstanden,
oft glänzend organisiert und mit reichen Witteln aus-
gestattet. Aber zuin letzten und wichtigsten Schritt
haben wir uns noch nicht entschlossen, zur ent
sprechenden Organisation derjenigen Schulen, welche
die Blassen treffen, der Volks-, Gewerbe- und Fort-
bildungsschulen. Die Wichtigkeit dieser Forderung,
die schon Pestalozzi betont hat, war bereits in einem
Allerhöchsten Erlasse des Kgl. bayer. Generalschulen-
direktoriums vom Zähre f803 auf das deutlichste be-
tont, wenn auch aus anderen Erwägungen, als den
ebenerwähnten. „Gewisse technische Fertigkeiten," so
sagt er, „sind jedem Wenschen inehr oder minder not-
wendig. Darum ist es nötig, daß überall Arbeits-
schulen für Knaben und Wädchen angelegt und mit
den Lehrschulen in Verbindung gebracht werden.
Von dieser: Schulen sollen auch jene nicht frei-
gesprochen werden, von denen vorauszusehen ist, daß
sie einst nicht notwendig haben zu arbeiten, um sich
zu ernähren; denn abgesehen vom Wechsel des
Glückes, wodurch viele geerbten Reichtun: verlieren,
so ist es immer gut, daß jeder lerne den Vorzug zu
schätzen, sich selbst den nötigen Unterhalt erwerben zu
können und jenen gehörig zu achten, der durch Arbeit
samkeit und Kunstfleiß sich einen Wohlstand zu ver-
schaffen versteht."
Aber die Einsicht war damals der Zeit weit
vorausgeeilt, peute jedoch, wo wir ringsum von
Nachbarstaaten umgeben sind, welche unsere eigenen
schönen Theorien bereits energisch in Thaten um-
setzen, wo unser eigenes Vaterland zu einen: gewal-
<$3S. Vorsatzpapier (gelb und grün), Entwurf von Minna Kurz,
Bern. — Schule Dafio, München.
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<$35. Gürtelschließe in Silber; entworfen von Margar. Sus-
mann (Schule Dafio), ausgeführt von Th. keiden, München.
(s/4 der wirkl. Gr.)
Wenn wir nun aber bedenken, daß in unferm
ganzen Gewerbe und vor allem im Kunstgewerbe
die Ausbildung von pand und Auge unserer Arbeiter
das Wichtigste ist, und daß uns zweifellos auf dem
gewerblichen und kunstgewerblichen Gebiete jedes
Land im wirtschaftlichen Wettkampfe im Laufe der
Zeiten schlagen wird, dessen Arbeiter und Bürger
eine gründlichere Durchbildung ihres Geschickes, wie
ihres Geschmackes aufweisen können; so drängt sich
uns einer der ersten Gesichtspunkte für die gewerb-
liche Erziehung geradezu von selbst auf. Der Wangel
jeglicher, auch der bescheidensten technischen Schulung
in deutschen, sogenannten gebildeten Kreisen, der hier
ungleich größer ist als in Frankreich, England und
Nordamerika, und die damit verbundene Urteilslosig-
keit eines großen Teiles unseres gebildeten Publikums
macht sich noch weit mehr geltend, als der Wangel
an kleinen, erziehlich wirkenden Gewerbemuseen mit
periodisch wiederkehrenden Specialausstellungen und
damit verbundenen Vortragscyklen.
Wie in Frankreich, so sehen Eie auch in England
in den Schulorganisationen die praktischen Tendenzen
mit aller Gewalt durchbrechen. Zn zahlreichen und
gerade in den besten Wittel- und Volksschulen werden
Werkstätten und Laboratorien eingerichtet, wo die
Schüler an ihren Arbeitstischen zwar langsam, aber
aus dem Wege hundertfältiger Erfahrung nicht bloß
ihre Kenntnisse, sondern vor allein auch ihr Können
fördern, und wie in der pädagogischen Provinz
Goethes ihre specifischen Neigungen und Fähigkeiten
kennen lernen, um ihnen entsprechend später ihre
Wege in Gewerbe und Zndustrie, in Kunst und
Wissenschaft einzuschlagen. Dem Beispiele Frank
reichs ist die Schweiz gefolgt, während Schweden
längst die gleiche Bahn gewandelt ist. Nur wir in
Deutschland zögern noch immer, wir können uns von
unfern geliebten Büchern nicht trennen.
Wohl find in den letzten 30 Zähren auch bei
uns allenthalben Fachschulen aller Art entstanden,
oft glänzend organisiert und mit reichen Witteln aus-
gestattet. Aber zuin letzten und wichtigsten Schritt
haben wir uns noch nicht entschlossen, zur ent
sprechenden Organisation derjenigen Schulen, welche
die Blassen treffen, der Volks-, Gewerbe- und Fort-
bildungsschulen. Die Wichtigkeit dieser Forderung,
die schon Pestalozzi betont hat, war bereits in einem
Allerhöchsten Erlasse des Kgl. bayer. Generalschulen-
direktoriums vom Zähre f803 auf das deutlichste be-
tont, wenn auch aus anderen Erwägungen, als den
ebenerwähnten. „Gewisse technische Fertigkeiten," so
sagt er, „sind jedem Wenschen inehr oder minder not-
wendig. Darum ist es nötig, daß überall Arbeits-
schulen für Knaben und Wädchen angelegt und mit
den Lehrschulen in Verbindung gebracht werden.
Von dieser: Schulen sollen auch jene nicht frei-
gesprochen werden, von denen vorauszusehen ist, daß
sie einst nicht notwendig haben zu arbeiten, um sich
zu ernähren; denn abgesehen vom Wechsel des
Glückes, wodurch viele geerbten Reichtun: verlieren,
so ist es immer gut, daß jeder lerne den Vorzug zu
schätzen, sich selbst den nötigen Unterhalt erwerben zu
können und jenen gehörig zu achten, der durch Arbeit
samkeit und Kunstfleiß sich einen Wohlstand zu ver-
schaffen versteht."
Aber die Einsicht war damals der Zeit weit
vorausgeeilt, peute jedoch, wo wir ringsum von
Nachbarstaaten umgeben sind, welche unsere eigenen
schönen Theorien bereits energisch in Thaten um-
setzen, wo unser eigenes Vaterland zu einen: gewal-
<$3S. Vorsatzpapier (gelb und grün), Entwurf von Minna Kurz,
Bern. — Schule Dafio, München.
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