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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 51.1900-1901

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Kerschensteiner, Georg: Gewerbliche Erziehung: Festvortrag, gehalten zum 50jährigen Jubiläum des Bayerischen Kunstgewerbevereins
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https://doi.org/10.11588/diglit.7003#0294

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Gewerbliche Erziehung.

langen, solange wird nichts übrig bleiben, als für
unsere (Organisation als dritten Grundsatz zu forderu:
Die elementargewerblichen Erziehungs-
einrichtungen sind obligatorische Einrich-
tungen für alle.

Der Einwand, daß die Leistungen derselben als-
dann sinken werden, ist nicht stichhaltig. Denn zu
nächst soll die obligate Schule nur für das Aller-
uotwendigste sorgen, genau wie die allgemeiue Volks
schule auch, welche heute wohl niemand inehr in
eine freiwillige verwandeln möchte, bloß um ihre
Leistungen zu hebeu. Für die Ausbildung der
tüchtigsten Schüler stehen uns nächher noch genügend
viele Einrichtungen für freiwilligen Besuch zur Ver-
fügung, und wo es angängig ist, kann man selbst
in der Elementarabteilung schon die leistungsfähigen
Schüler von den weniger leistungsfähigen trennen.
Was aber die Furcht betrifft, daß unsere Bildungs-
bestrebungen der menschlichen Gesellschaft das für
die niedrigen Dienste nothwendige Material rauben,
so erwidern wir hierauf dreierlei: Erstens wird
die obligate Einrichtung für die elementare ge-
werbliche Erziehung, die ein Produkt derselben
Erwägungen ist, wie die allgemeine Volksschule
mit ihren im Interesse der Gesellschaft ge-
stellten Minimalforderungen die Bildungsstufe
der Arbeiter ebenso wenig gleichmäßig machen
wie die Volksschule, solange es fleißige und
Faule, Begabte und Unbegabte gibt. Zweitens
ermöglicht bei der heute noch großenteils harten

Gesinnung unserer Dienstherren ihren Lehrlingen
gegenüber die obligate Schule allein, daß jeder Be-
gabte und Fleißige rechtzeitig jener Erziehung teil-
haftig werden kann, die er kraft seiner Begabung
und seines Fleißes von uns berechtigt ist, zu fordern.
Drittens aber haben wir Gebildete in unfern heutigen
Staatseinrichtungen dein Volke, dem großen Uinde,
einen beträchtlichen Teil der Macht der Regierung
in die paud gegeben. Der faulste und unbegabteste
Taglöhner tritt mit dem gleichen Zettel zur Wahl-
urne wie der seinstgebildete Staatsmann und Philo-
soph. Da bleibt uns keine Wahl, als dafür zu
sorgen, daß wenigstens die Tüchtigen die Bahn zur
Eiusicht und zum Verständnis ihrer Aufabgen finden.

Wer nun die Bewegungen auf dem Gebiete
der gewerblichen Erziehung in Deutschland in den
letzten 30 Jahren aufmerksam verfolgt hat, der wird
erkennen, daß die bisher angeführten drei Grundsätze
in vielen Aongressen, Berichten, Regierungsentschlie-
ßungen betont wurden, und wenn auch nicht all-
genrein, so doch in
vielen Einzelorgani-
sationen zur Anwen-
dung kamen. Gleich-
wohl ist der Mangel
an tüchtigen indu-
striellen urrd noch
mehr an gewerb-
lichen eigentlicher:
Arbeitern und Werk-
nreistern immer em-
pfindlichergeworden.
Zu einem nicht un-
beträchtlichen Teil
ist diese Erscheinung
die Folge eines
Mangels zahlreicher
Einrichtungen für-
gewerbliche Erzieh-
ung, den wir leider
bis jetzt noch viel
zu wenig beachtet
haben. Wir fehen,
daß einfache pand
werkerschulen oft
rrrehr Bau-, Möbel-
und Maschinenzeich-
ner erziehen als
eigentliche Arbeiter,
daß die Realschulen
dem Gewerbestand
fast keiner: Nach-

wuchs mehr liefern,

'HO.

Koller für ein Kinderkleidchen;
(Stickerei in zweierlei Grün und zweierlei Gelb).
Entwurf von Thea May (Schule Dasio) München.

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