Gewerbliche Erziehung.
HHz. Tischdecke in Areuzsticharbcit (in Heller und dunkelblauer
Seide gestickt auf gelb gefärbtem Leinen), entworfen und aus-
geführt von Margarethe Pfaff, Lhemuitz. — Schule Dafio,
München. (Vis der wirkl. Gr.) Muster geschützt.
wiesen, und jede dieser Begabungen will frühzeitig
genährt und befriedigt sein. Der hervorragend ver-
anlagte Praktiker und Aünstler ist großen theoreti-
schen Entwicklungen zunächst vielfach abgeneigt;
zwingen wir ihn dennoch hierzu, indem wir die
praktische Ausbildung vernachlässigen, so erziehen
wir nicht selten einen schlechten Theoretiker und
schlechten Praktiker zugleich.
Wenn ich nun aber als vierten Grundsatz aller
unserer Organisationsmaßnahmen den Satz aus-
gestellt habe, daß unsere schulischen Einrichtungen
deti Schüler nicht von selbst über seineil Beruf
Hinaustreiben sollen, so will danlit in keiner Weise
gesagt sein, daß die Organisation den Tüchtigen
verhindern soll, so weit zu kommen, als es feine
Anlagen und sein Fleiß gestattet. Das gebietet uns
schon die Volkswirtschaft; denn ein einziges techni-
sches oder künstlerisches Talent kann der Gesamt-
heit von unberechenbarem Nutzen sein. Es ist hier
leider nicht die Zeit gegeben, auf die Art und Weise
tiefer einzugehen, wie diese Forderung mit der vor-
ausgehenden iil Einklang gebracht werden kann;
aber ich darf Die auf die neue Organisation des
französischen gewerblichen und technischen Schul
wesens Hinweisen, das unserm vierten Grundsätze
gerecht wird, ohne die eben gemachten und im Grunde
selbstverständlichen Forderungen zu verletzen.
Bleiben wir uns bei unfern Organisationen
bewußt, daß es für das Talent zwei Wege nach
aufwärts gibt: den einen, der zunächst mitten durch
die Praxis, den anderen, der zunächst durch mehr
allgemein bildende Schulen geht, so werden wir von
der rechten Bahn nur wenig abirren. Vor allem
aber werden wir uns dabei vor den: Zrrtume be-
wahren, daß es zun: selbständig schaffenden Aunst-
gewerbe nur mehr einen Weg gibt, der gleichsam
von obeil hereinführt, sondern daß es auch eiilen
Weg von unten her gibt, der mitten durch die prak-
tische Arbeit führt, die uirs gestattet, dem Materiale
seine Geheimnisse abzulauschen, die uns lehrt, das
Werkzeug wie einen Zauberstab zu führen, und die
den künstlerisch Begabten noch nie gehindert hat,
sein schaffendes Talent zu entwickeln.
Bei allen Organisationen für gewerbliche Er-
ziehung müssen wir aber vor allein lernen, uns eine
Eigenschaft abzugewöhnen, die uns Deutschen sehr-
stark anhaftet. Wir sind gewöhnt, alle unsere Er
ziehungseinrichtungen als Aufgabe des Staates zu
betrachten. Während in England noch bis zum
Ausgange des letzten Jahrhunderts einzelne wie ganze
Aorporationen eifersüchtig über die Ausübung ihres
Erziehungsrechtes wachten und fast gar keine Ein-
griffe des Staates in ihre Unterrichtsfreiheit ge-
statteten, hören wir in Deutschland überall den Ruf
nach Verstaatlichung. Mag man in Bezug auf all-
gemein bildende Schulen hierüber zweierlei Ansicht
sein, so würde ich es für einen Fehler halten, wollte
der Staat auch die gesamte gewerbliche Erziehung
ausschließlich in seine pände nehmen. Aarl Frhr.
v. Stein sagt einmal: „Die Teilnahme an den An-
gelegenheiten des Ganzen ist der sicherste Weg zur
Vollendung der geistigen und sittlichen Entwickelung
eines Volkes", und er ergänzt diesen Gedanken an
einer anderen Stelle, wo er meint, „daß inan
W- Aus der Tischdecke, Abb. ^3. ('/6 der wirkl. Gr.)
Muster geschützt.
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HHz. Tischdecke in Areuzsticharbcit (in Heller und dunkelblauer
Seide gestickt auf gelb gefärbtem Leinen), entworfen und aus-
geführt von Margarethe Pfaff, Lhemuitz. — Schule Dafio,
München. (Vis der wirkl. Gr.) Muster geschützt.
wiesen, und jede dieser Begabungen will frühzeitig
genährt und befriedigt sein. Der hervorragend ver-
anlagte Praktiker und Aünstler ist großen theoreti-
schen Entwicklungen zunächst vielfach abgeneigt;
zwingen wir ihn dennoch hierzu, indem wir die
praktische Ausbildung vernachlässigen, so erziehen
wir nicht selten einen schlechten Theoretiker und
schlechten Praktiker zugleich.
Wenn ich nun aber als vierten Grundsatz aller
unserer Organisationsmaßnahmen den Satz aus-
gestellt habe, daß unsere schulischen Einrichtungen
deti Schüler nicht von selbst über seineil Beruf
Hinaustreiben sollen, so will danlit in keiner Weise
gesagt sein, daß die Organisation den Tüchtigen
verhindern soll, so weit zu kommen, als es feine
Anlagen und sein Fleiß gestattet. Das gebietet uns
schon die Volkswirtschaft; denn ein einziges techni-
sches oder künstlerisches Talent kann der Gesamt-
heit von unberechenbarem Nutzen sein. Es ist hier
leider nicht die Zeit gegeben, auf die Art und Weise
tiefer einzugehen, wie diese Forderung mit der vor-
ausgehenden iil Einklang gebracht werden kann;
aber ich darf Die auf die neue Organisation des
französischen gewerblichen und technischen Schul
wesens Hinweisen, das unserm vierten Grundsätze
gerecht wird, ohne die eben gemachten und im Grunde
selbstverständlichen Forderungen zu verletzen.
Bleiben wir uns bei unfern Organisationen
bewußt, daß es für das Talent zwei Wege nach
aufwärts gibt: den einen, der zunächst mitten durch
die Praxis, den anderen, der zunächst durch mehr
allgemein bildende Schulen geht, so werden wir von
der rechten Bahn nur wenig abirren. Vor allem
aber werden wir uns dabei vor den: Zrrtume be-
wahren, daß es zun: selbständig schaffenden Aunst-
gewerbe nur mehr einen Weg gibt, der gleichsam
von obeil hereinführt, sondern daß es auch eiilen
Weg von unten her gibt, der mitten durch die prak-
tische Arbeit führt, die uirs gestattet, dem Materiale
seine Geheimnisse abzulauschen, die uns lehrt, das
Werkzeug wie einen Zauberstab zu führen, und die
den künstlerisch Begabten noch nie gehindert hat,
sein schaffendes Talent zu entwickeln.
Bei allen Organisationen für gewerbliche Er-
ziehung müssen wir aber vor allein lernen, uns eine
Eigenschaft abzugewöhnen, die uns Deutschen sehr-
stark anhaftet. Wir sind gewöhnt, alle unsere Er
ziehungseinrichtungen als Aufgabe des Staates zu
betrachten. Während in England noch bis zum
Ausgange des letzten Jahrhunderts einzelne wie ganze
Aorporationen eifersüchtig über die Ausübung ihres
Erziehungsrechtes wachten und fast gar keine Ein-
griffe des Staates in ihre Unterrichtsfreiheit ge-
statteten, hören wir in Deutschland überall den Ruf
nach Verstaatlichung. Mag man in Bezug auf all-
gemein bildende Schulen hierüber zweierlei Ansicht
sein, so würde ich es für einen Fehler halten, wollte
der Staat auch die gesamte gewerbliche Erziehung
ausschließlich in seine pände nehmen. Aarl Frhr.
v. Stein sagt einmal: „Die Teilnahme an den An-
gelegenheiten des Ganzen ist der sicherste Weg zur
Vollendung der geistigen und sittlichen Entwickelung
eines Volkes", und er ergänzt diesen Gedanken an
einer anderen Stelle, wo er meint, „daß inan
W- Aus der Tischdecke, Abb. ^3. ('/6 der wirkl. Gr.)
Muster geschützt.
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