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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 55.1904-1905

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Wohnungskunst und Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.7198#0183

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Wohnungskunst und Kunstgewerbe.

309. Kokosbecher von Th. ljeideu; Fassung: oxydiertes Silber,
teilweise vergoldet. (Ungef. 72 der wirkl. Gr.)

Massenproduktion vulgär, indem sie gewissermaßen die Poesie
ans die Drehorgel schraubt. Der heute vielfach sich zeigende
Widerwille gegen Grnament überhaupt schreibt sich vielleicht mit

von dieser Uberfütterung mit Ulaschinenornament her.-

<£s ist also ersichtlich, welch tiefer Schaden heute au
unserem Gewerbe frißt. Die neuen Bedingungen werden noch
nicht verstanden, geschweige denn beherrscht. Die Maschine
müßte, wie jedes verbesserte Werkzeug, ein Segen statt ein
Fluch für die Menschheit sein. Sie braucht weder notwendiger-
weise unkünstlerisch, noch unsolid zu produzieren. Der mensch-
liche Geist denke nur die Formen aus, die sie leisten kann, und
diese werden, sobald sie logisch aus den Bedingungen der Ma-
schine entwickelt sind, auch das sein, was wir getrost künstlerisch
nennen können. Sie werden vollauf befriedigen, sobald sie eben
nicht Falsifikate von Landarbeit, sondern typische Maschinen-
formen sind. Das Zweirad, die Arbeitsmaschine, die Eisen-
brücke geben hier Fingerzeige. Das Ergebnis der Maschine

kann nur die ungeschmückte Sachform sein, in der besonderen
Gestaltung, wie sie die Maschine am besten leistet. Der Mensch
setzt diese Formen dann zur menschlichen Leistung zusammen.
Er denkt dadurch in größerem Maßstabe und schiebt sein Wir-
kungsgebiet in die Weite. —-

Freilich wird es der Einsicht und sodann eines wachsamen
Auges des Publikums bedürfen, um den immer wieder auf-
tretenden Neigungen der Fabrikanten, die Welt mit der Ma-
schinenschundware zu beglücken, nicht Vorschub zu leisten. Früher
hielten die Innungen das Niveau der Arbeit hoch. Bei den
heutigen veränderten Bedingungen muß das Publikum gegen
den Fabrikanten auf seiner ksut sein. Dazu bedarf es einer
gründlichen Volkserziehung im Sinne des Verständnisses für
solide Arbeit, die heute noch nicht einmal begonnen ist. Die
Forderung der Gediegenheit kommt im Gewerbe vor der For-
derung der Kunst. Ja, wäre nur all das Hausgerät, das
unsere Wohnungen füllt, lediglich gediegen und handwerklich
gut gearbeitet, wären alle Falsifikate daran sorgfältig vermieden,
so brauchten wir von Kunst gar nicht mehr zu reden, um aus
erträgliche Zustände zu kommen; ein gewisser natürlicher Ge-
schmack würde dafür hinreichen. Und bei Beschränkung auf
einfache bürgerliche Motive, bei Ausschaltung aller unechten
Prätension würden selbst geschmacklich die primitivsten Anforde-
rungen genügen. Weshalb sehen Bauernstuben alten Gepräges
immer so anheimelnd aus? Weil sich in ihnen schlecht und
recht eine unverfälschte Kultur verkörpert.-

Ist Gediegenheit und Anstand nun schon für unser All-
tagsgerät zu fordern, so ist für das kunstgewerbliche Erzeugnis
eine gewisse Echtheit des Wesens in Form, Gedanken, Material
und Herstellung geradezu diejenige Vorbedingung, die unter
allen Umständen erfüllt sein muß, ehe die weitere, den Gegen-
stand ins künstlerische Gebiet hebende Forderung überhaupt ge-
nannt wird. Diese Forderungen des Künstlerischen haben aber
weder etwas mit der Art der Vrnamentierung noch mit dem
Maß der Entfaltung, die an einem Dinge geübt wird, zu tun,
sondern hier muß wieder ein Gesichtspunkt Platz greifen, der
in den Leistungen des zy. Jahrhunderts nur allzusehr vernach-
lässigt, teilweise sogar ganz vergessen worden ist: die organische
Zugehörigkeit des Einzelgegenstaudes zu einem künstlerischen
Ganzen; das Ganze kann iin kunstgewerblichen Sinne aber nur
der als Einheit gedachte Innenraum sein. Deshalb ist der
eigentliche Kunstgewerbler der Innenkünstler. Eine Tapete mit
einem noch so schönen Muster, ein noch so kunstvoller Schrank
haben ein verschwindendes Geltungsbereich, wenn sie sich nicht
dem Innenraume als von diesem bedingte Teile organisch ein-
gliedern. Diese neue Auffassung ist eine Errungenschaft der
neuen Kunstbewegung. Sie löste hier eine vorher übliche Auf-
fassung ab, nach welcher das Zimmer nebst Inhalt ein Sammel-
surium von allen möglichen mehr oder weniger interessanten
Einzelbestandteilen war, wie wir dies etwa noch in den Sälen
der Kuustgewerbeinuseen sehen. Das Zimmer der siebziger und
achtziger Jahre war selbst ein kleines Kunstgewerbemuseum,
nur angesüllt mit Falsifikaten statt mit echten Sachen. Und
das trifft im allgemeinen auch noch von dem heutigen Durch-
schnittzimmer zu, auf das sich die neue Kunstbewegung noch
nicht erstreckt hat. —-

Soweit Muthesius! — Wir schließen diese
Proben aus dem vielseitigen und geistreichen Buche
nicht ohne den Wunsch, daß auch unseren Lesern
diese sehr ernst gemeinten Ausführungen zu denken
geben möchten, daß es aber dann nicht nur bei der
! grauen Theorie bleiben soll. Nur dann, wenn jeder
 
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