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Der Meister der Liebesgiirten.
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welches Passavant (II, 187,43) dem Franz von Bocholt,
neuere Kenner zur Abwechslung dem sogenannten
„Meister der Spielkarten" zuerkannt haben. Kon-
statiren wir weiter, dass dieser Original - Anto-
nius der Albertina eine Bordüre aufweist, welche
der kopirende „Meister der Liebesgärten" diesmal
wegließ, dieselbe aber für einen anderen Stich: „Die
Ruhe auf der Flucht nach Ag)Tpten" (Lehrs Nr. 3)
in ein Rundornament verwandelt benutzte.
Der Meister der Liebesgärten leopirt also nicht
allein, sondern er verändert auch seine Funde.
Nach Feststellung dieser Thatsache ist der Streit
über die Priorität zwischen Miniaturen und Stichen
erledigt, denn unser sogenannter Meister hat nur im
Entlehnen und Zusammentragen eine nicht gewöhnliche
Meisterschaft, vermöge welcher er sogar die bewähr-
testen Kenner über seine Qualitäten täuscht. Aber
auch die Annahme, dass diese Stiche um das Jahr
1448 entstanden seien, ist damit beseitigt, denn die
Passionsstiche sind ebenso gewiss Kopieen, wie der
Antonius, und sie müssen später entstanden sein.
Dass der Stecher in der That jeder eigenen Er-
findung bar gewesen, geht aus zahllosen Einzel-
heiten hervor, die aufzuzählen gar nicht die Mühe
lohnt. Er trägt seine Motive aus aller Herren Ländern
zusammen, und daher kann auch das scheinbar bur-
gundische Kostüm der beiden „Liebesgärten" (Lehrs
Nr. 16 u. 17) nicht entscheidend sein für seine Heimat;
abgesehen davon, ist auch diese burgundische Tracht
nur ein Generaltitel für die Hoftracht jener Zeit,
die auch an anderen Höfen Mode war; dasselbe
Kostüm ist in den Figuren des höfischen Kartenspiels
der Ambraser Sammlung nachzuweisen, welches doch
gewiss nicht am burgundischen Hofe entstanden ist.
Weit wichtiger für die Beurteilung dieses Stechers
ist aber die Thatsache, welche Lehrs entging, dass
der Tisch in dem großen Liebesgarten (Lehrs Nr. 17)
mit Benutzung des Brunnens eines kleinen Blattes
des Meisters E.S. von 1466, genannt „le concert"
(Pass. II, 64, N. 188), gestochen ist, was die vielen
im Wasser zur Kühlung hängenden Weinflaschen
deutlich machen. Der Meister der Liebesgärten hat
somit Stiche des Meisters E.S. von 1466 gekannt,
und die Entstehungszeit des Stiches „le concert"
ist unmöglich unter die Madonna von Einsiedeln
von 1466 hinabzudrücken — das Blatt ist gewiss
später entstanden — und dabei ist nicht einmal an-
zunehmen, dass der Meister E.S. den Stich seinem
Kunstgenossen, dem „Meister der Liebesgärten", zur
Kenntnisnahme und beliebigenBenutzung bei etwaigen
Verlegenheiten zugeschickt habe!
Der „kleine Liebesgarten" (Nr. 16) ist nach einer
Haute-lisse-Tapete gestochen, daher einheitlicher in
der Komposition und überhaupt der beste der Stiche
dieses Meisters.
Der „große Liebesgarten" (Lehrs 17) aber ver-
rät die Unfähigkeit des Stechers in jeder Beziehung
am deutlichsten. Er hat keine Ahnung von der
Gliederung des Körpers, von der menschlichen Be-
wegung und den statischen Gesetzen; die Stellung
und Haltung seiner Figuren ist ganz unmöglich, und
wenn man über den ersten eigenartigen Eindruck,
den das aus verschiedenen Originalen zusammen-
geborgte Geräte hier macht, hinweggekommen ist,
kann man nur über die Stümperhaftigkeit dieser
Arbeit staunen.
Eine des öfteren schon konstatirte Voreinge-
nommenheit für das Altertümliche verleitet uns aber
leicht, die Unbeholfenheit und Unfähigkeit für ein
Kriterium des Ehrwürdigen zu halten, da man glaubt,
hier gehe die Kunst in den Kinderschuhen, — wäh-
rend der Stümper in Wahrheit niemals ordentlich
gehen lernt. So täuschte uns die Roheit und Plump-
heit gewisser Einblattdrucke und Blockbücher lange
über ihr Alter; heute wissen wir ziemlich genau,
dass sie gar nicht so alt sind wie sie aussehen; sie
sind nur roh und unbeholfen!
Man erinnere sich nur der hohen Vollendung
der van Eyck und Memlinck, um sich gegenwärtig
zu halten, von welcher Zeit wir sprechen und welche
Höhe der Meisterschaft das künstlerische Können in
der ersten Hälfte des 15. Jahrh. in den Niederlanden
erlangt hatte. Man gedenke der kostbaren burgun-
dischen Miniaturen, deren Durchbildung und Vor-
nehmheit kein Mieris und kein Meissonier erreicht
haben, um sich den Begriff der „Meisterschaft" deut-
lich zu machen, und dann sehe man diese jämmer-
lichen Karikaturen des „Meisters der Liebesgärten"
an! Sie verhalten sich zu den Werken jener Zeit
wie eine Kindertrompete zu einem Konzertflügel von
Ehrbar; Musik machen allerdings beide.
Soviel über die Fähigkeit dieses Pseudo-Meisters;
untersuchen wir noch, wo er zu Hause sein mag!
Dass seine Heimat in den Niederlanden gelegen
haben mag, ist wohl anzunehmen, denn er
hat nach den obenerwähnten Miniaturen und mit
Vorliebe nach niederländischen Motiven gearbeitet.
Einzelne Umstände weisen ziemlich deutlich darauf
hin, wo wir ihn zu suchen haben; natürlich dürfen
wir ihn nicht vor 1448, sondern später, dreißig,
vierzig Jahre später, suchen; dort, wo wir ganz ähn-
liche Bordüren finden, wo diese Form der Hörner-
Der Meister der Liebesgiirten.
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welches Passavant (II, 187,43) dem Franz von Bocholt,
neuere Kenner zur Abwechslung dem sogenannten
„Meister der Spielkarten" zuerkannt haben. Kon-
statiren wir weiter, dass dieser Original - Anto-
nius der Albertina eine Bordüre aufweist, welche
der kopirende „Meister der Liebesgärten" diesmal
wegließ, dieselbe aber für einen anderen Stich: „Die
Ruhe auf der Flucht nach Ag)Tpten" (Lehrs Nr. 3)
in ein Rundornament verwandelt benutzte.
Der Meister der Liebesgärten leopirt also nicht
allein, sondern er verändert auch seine Funde.
Nach Feststellung dieser Thatsache ist der Streit
über die Priorität zwischen Miniaturen und Stichen
erledigt, denn unser sogenannter Meister hat nur im
Entlehnen und Zusammentragen eine nicht gewöhnliche
Meisterschaft, vermöge welcher er sogar die bewähr-
testen Kenner über seine Qualitäten täuscht. Aber
auch die Annahme, dass diese Stiche um das Jahr
1448 entstanden seien, ist damit beseitigt, denn die
Passionsstiche sind ebenso gewiss Kopieen, wie der
Antonius, und sie müssen später entstanden sein.
Dass der Stecher in der That jeder eigenen Er-
findung bar gewesen, geht aus zahllosen Einzel-
heiten hervor, die aufzuzählen gar nicht die Mühe
lohnt. Er trägt seine Motive aus aller Herren Ländern
zusammen, und daher kann auch das scheinbar bur-
gundische Kostüm der beiden „Liebesgärten" (Lehrs
Nr. 16 u. 17) nicht entscheidend sein für seine Heimat;
abgesehen davon, ist auch diese burgundische Tracht
nur ein Generaltitel für die Hoftracht jener Zeit,
die auch an anderen Höfen Mode war; dasselbe
Kostüm ist in den Figuren des höfischen Kartenspiels
der Ambraser Sammlung nachzuweisen, welches doch
gewiss nicht am burgundischen Hofe entstanden ist.
Weit wichtiger für die Beurteilung dieses Stechers
ist aber die Thatsache, welche Lehrs entging, dass
der Tisch in dem großen Liebesgarten (Lehrs Nr. 17)
mit Benutzung des Brunnens eines kleinen Blattes
des Meisters E.S. von 1466, genannt „le concert"
(Pass. II, 64, N. 188), gestochen ist, was die vielen
im Wasser zur Kühlung hängenden Weinflaschen
deutlich machen. Der Meister der Liebesgärten hat
somit Stiche des Meisters E.S. von 1466 gekannt,
und die Entstehungszeit des Stiches „le concert"
ist unmöglich unter die Madonna von Einsiedeln
von 1466 hinabzudrücken — das Blatt ist gewiss
später entstanden — und dabei ist nicht einmal an-
zunehmen, dass der Meister E.S. den Stich seinem
Kunstgenossen, dem „Meister der Liebesgärten", zur
Kenntnisnahme und beliebigenBenutzung bei etwaigen
Verlegenheiten zugeschickt habe!
Der „kleine Liebesgarten" (Nr. 16) ist nach einer
Haute-lisse-Tapete gestochen, daher einheitlicher in
der Komposition und überhaupt der beste der Stiche
dieses Meisters.
Der „große Liebesgarten" (Lehrs 17) aber ver-
rät die Unfähigkeit des Stechers in jeder Beziehung
am deutlichsten. Er hat keine Ahnung von der
Gliederung des Körpers, von der menschlichen Be-
wegung und den statischen Gesetzen; die Stellung
und Haltung seiner Figuren ist ganz unmöglich, und
wenn man über den ersten eigenartigen Eindruck,
den das aus verschiedenen Originalen zusammen-
geborgte Geräte hier macht, hinweggekommen ist,
kann man nur über die Stümperhaftigkeit dieser
Arbeit staunen.
Eine des öfteren schon konstatirte Voreinge-
nommenheit für das Altertümliche verleitet uns aber
leicht, die Unbeholfenheit und Unfähigkeit für ein
Kriterium des Ehrwürdigen zu halten, da man glaubt,
hier gehe die Kunst in den Kinderschuhen, — wäh-
rend der Stümper in Wahrheit niemals ordentlich
gehen lernt. So täuschte uns die Roheit und Plump-
heit gewisser Einblattdrucke und Blockbücher lange
über ihr Alter; heute wissen wir ziemlich genau,
dass sie gar nicht so alt sind wie sie aussehen; sie
sind nur roh und unbeholfen!
Man erinnere sich nur der hohen Vollendung
der van Eyck und Memlinck, um sich gegenwärtig
zu halten, von welcher Zeit wir sprechen und welche
Höhe der Meisterschaft das künstlerische Können in
der ersten Hälfte des 15. Jahrh. in den Niederlanden
erlangt hatte. Man gedenke der kostbaren burgun-
dischen Miniaturen, deren Durchbildung und Vor-
nehmheit kein Mieris und kein Meissonier erreicht
haben, um sich den Begriff der „Meisterschaft" deut-
lich zu machen, und dann sehe man diese jämmer-
lichen Karikaturen des „Meisters der Liebesgärten"
an! Sie verhalten sich zu den Werken jener Zeit
wie eine Kindertrompete zu einem Konzertflügel von
Ehrbar; Musik machen allerdings beide.
Soviel über die Fähigkeit dieses Pseudo-Meisters;
untersuchen wir noch, wo er zu Hause sein mag!
Dass seine Heimat in den Niederlanden gelegen
haben mag, ist wohl anzunehmen, denn er
hat nach den obenerwähnten Miniaturen und mit
Vorliebe nach niederländischen Motiven gearbeitet.
Einzelne Umstände weisen ziemlich deutlich darauf
hin, wo wir ihn zu suchen haben; natürlich dürfen
wir ihn nicht vor 1448, sondern später, dreißig,
vierzig Jahre später, suchen; dort, wo wir ganz ähn-
liche Bordüren finden, wo diese Form der Hörner-