Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 5.1894

DOI Artikel:
Lier, Hermann Arthur: Zum Streit über die Moderne Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5781#0200

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
381

Zum Streit über die moderne Kunst.

382

dem die Verehrer der modernen Malerei und fordern
dadurch zur Abwehr von Seiten der Naturforscher
heraus." S. 12: „scherzhaft sein sollende Darstellung."
S. 10: „Er fragt mich danach." Schlimmer als diese
Sprachfehler und ungeschickten Wendungen erscheint
aber die Thatsache, dass Fr Usch auch nach den
Ausführungen von Heyden's noch immer nicht dar-
über zur Klarheit gekommen ist, um was es sich
in dem ganzen Streit eigentlich handelt. Denn es
entgeht ihm immer noch vollständig, dass dem
Künstler ganz andere Aufgaben vorliegen, als dem
Anatomen, der für wissenschaftliche Zwecke etwa
einen Atlas auf Grund seiner Beobachtungen heraus-
giebt. Daljei aber verwickelt er sich beständig in
Widersprüche, ohne etwas davon zu merken. Er
versichert nämlich beständig, dass er nur seine „pri-
vate Meinung als Laie" in Kunstsachen abgeben und
sich „jedes Urteiles als Kunstkenner oder Kunst-
sachverständiger" enthalten wolle, und doch kann er
sich nicht genug thun in der Anhäufung von Schmä-
hungen und Ausfällen gegen die Maler, denen er
„schmutzige Phantasie", „offenkundig gewollte, ab-
scheuliche Vortragsweise menschlicher Gestalten"
und dergleichen schöne Dinge vorwirft. Offenbar
aber hat sich Frilsch trotz seines Selbstbewusstseins
nicht stark genug gefühlt, da er auf den Gedanken
verfallen ist, eine große Anzahl seiner Fachgenossen
um ihre Meinung in der streitigen Angelegenheit
anzugehen, und ihre brieflichen Auslassungen zur
Unterstützung seiner eigenen Ansicht abdruckt. Die
meisten von ihnen haben sich allerdings zustimmend
geäußert, einige vollkommen, andere dagegen weit
vorsichtiger, als dies Fritsch selbst gethan hat.
Einer aber, Prof. Johannes Ranke in München, er-
klärt nur, dass ihn die Frage lebhaft interessire,
da er beabsichtige, durch einen Münchener Anatomen
einen Vortrag über einen ganz ähnlichen Gegenstand
halten zu lassen. Diese Antwort enthält nun offen-
bar weder eine Zustimmung, noch eine Ablehnung,
Fritsch scheint sie jedoch zu seinen Gunsten aus-
gelegt zu haben, da er sie mit in seine Zusammen-
stellung aufgenommen hat, um die Zahl der ihm
günstigen Stimmen zu vergrößern. Aber gesetzt auch,
dass sich ein noch viel größerer Bruchteil natur-
kundiger Männer auf die Seite Fritsch's gestellt hätte,
so würde ihm dies für die Entscheidung zu seinen
Gunsten wenig helfen. Denn der Glaube, dass die
wissenschaftliche Autorität in einem Spezialfache
genüge, um über alles und jedes mitreden zu können,
ist bei uns längst erschüttert, nachdem sich, leider
Gottes, das alte Sprichwort: „Die Gelehrten, die

Verkehrten" durch das Verhalten so vieler Ange-
höriger dieser Zunft in der Politik, in Kunst- und
Erziehungsfragen, kurzum auf den verschiedensten
Gebieten, gerade in jüngster Zeit viel zu häufig wie-
der bewahrheitet hat.

Unter solchen Umständen erscheint es doppelt
erfreulich, dass auch ein Fachmann von anerkannter
Bedeutung Veranlassung genommen hat, zu der
Frage über den Wert der neuen Kunst Stellung
zu nehmen, und mit möglichster Objektivität an
der Hand einer umfassenden Betrachtung der ge-
schichtlichen Ergebnisse den Nachweis zu führen,
dass auch unter den Werken unserer Maler, und
gerade der von Frilsch so herb verurteilten, sich
eine lange Reihe solcher befinden, die den Anforde-
rungen der strengsten kunsthistorischen Kritik stand-
halten. Dieser Versuch ist von Karl Woermann, dem
Direktor der Dresdener Gemäldegalerie, ausgegan-
gen, dessen Buch: „Was uns die Kunstgeschichte
lehrt. Einige Bemerkungen über alte, neue und
neueste Malerei" (Dresden, Verlag von L. Ehlermann,
1894. 8°.), das bereits in zweiter Auflage erschienen
ist, wir allen denen warm empfehlen, die das Be-
dürfnis fühlen, in dem Lärm und Zank der Parteien
einen festen Standpunkt zu gewinnen, der sie be-
fähigt, sich Rechenschaft darüber zu geben, nach
welchen Grundsätzen wir nicht nur die Werke ver-
gangener Zeiten, sondern auch die Leistungen der
Gegenwart richtig zu beurteilen haben. Wer sich
selbst schon eingehend mit kunstgeschichtlichen Stu-
dien befasst hat, wird die Lehren, die Woermann der
Kunstgeschichte entnimmt, allerdings nicht neu finden,
da die von ihm aufgestellten Forderungen meist als
allgemein gültig anerkannt sind. Aber es ist ja
eine bekannte Thatsache, dass auch die unumstöß-
lichen Wahrheiten oft in der Hitze des Kampfes
übersehen werden, und deshalb notwendig, dass sie
gerade in so aufgeregten Zeiten, wie die unserige ist,
immer wiederholt werden. Woermann hat dies in un-
gemein klarer und sachlicher Weise gethan und seine
Sätze mit einer solchen Fülle von Beispielen und
Aussprüchen erster Meister belegt, dass sein Buch
in der That ein höchst willkommenes Rüstzeug für
die Kämpfe der Gegenwart darstellt.. Es richtet sich in
erster Linie an die Kunstfreunde, die aus Woermann's
Besonnenheit lernen mögen, die Schöpfungen der
Künstler erst ruhig auf sich wirken zu lassen und
sich zu bemühen, ihre Absichten zu erkennen, ehe
sie bloß deshalb, weil ihnen Ungewohntes und Neues,
für das ihr Auge noch nicht geschult ist, entgegen-
tritt, den Stab darüber brechen. a. lieb.
 
Annotationen