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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 5.1894

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Korrespondenz Dresden, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5781#0241

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463

Korrespondenz,

464

Frühjahr vorigen Jahres aus der Genossenschaft aus-
getreten sind und ähnliche Tendenzen vertreten, wie
die Mitglieder der Münchener Sezession. Wie weit
ihre Trennung von der Genossenschaft nötig oder
berechtigt war, vermögen wir nicht zu beurteilen-,
doch erscheint die von dem neuen Verein abgege-
bene Erklärung, dass in der Genossenschaft die Zahl
der durch eigene Schöpfungen an den wichtigsten
künstlerischen Fragen direkt Beteiligten zu gering
war, um ein genügendes Gegengewicht gegen die Ma-
jorität der Genossenschaftsmitglieder zu bilden, als
ausreichend, um den bedeutungsvollen Schritt zu er-
klären, und die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung
beider Lager, die zwar angestrebt worden, aber an
der Unvereinbarkeit der gegenseitigen Ansprüche ge-
scheitert ist, für die nächste Zeit wenigstens als aus-
geschlossen.

Der Hauptsache nach kamen also die mancherlei
künstlerischen Anregungen in den letzten Wochen
und Monaten von auswärts. Wir verdankten sie
wiederum dem Wettbewerb unserer beiden größeren
Kunsthandlungen, der von Lichtenberg's Nachfolger
und der von Ernst Arnold, die sich glücklicherweise
in ihren Bemühungen, dem Dresdener Publikum mit
den bedeutendsten Schöpfungen der modernen Kunst
bekannt zu machen, durch die Angriffe eines reak-
tionären, kleinstädtisch gesinnten Teils der Dresdener
Presse nicht haben irre machen lassen.

In den Lichtenberg'sehen Ausstellungsräumen
hatten wir zunächst Gelegenheit, die Ausstellung der
„Xler" kennen zu lernen. Sie hat uns leider ziem-
lich enttäuscht, da sie in keiner Hinsicht etwas Her-
vorragendes bot, so dass wir uns in diesem Falle
dem Urteile Ihres Berliner Berichterstatters in allen
wesentlichen Stücken anschließen möchten. Um so
vorteilhafter nahm sich die von der „Gesellschaft
deutscher Aquarellisten" veranstaltete kleine Aus-
stellung aus, in der sich eine Reihe reifer und tüch-
tiger Arbeiten befanden, so vor allem diejenigen
Ludivig Dettmann's, dessen vielseitiges Talent in einer
Dorfallee, durch deren Baumkronen das Licht ein-
fällt, am besten zur Geltung kam. Eine bedeutende
Leistung war auch das Knabenbildnis Karl Bantzer's,
des einzigen Dresdener Künstlers, der der Gesell-
schaft angehört, da Max Fritz schon seit längerer
Zeit von Dresden nach München übergesiedelt ist.
Dass Fritz dort Fortschritte gemacht hätte, lässt
sich nach seinen in Dresden ausgestellt gewesenen
Aquarellen nicht behaupten. Er brachte unter an-
derem eine in einem ziemlich großen Format gehal-
tene „Familienscene aus Oberbayern", bei der alles

Detail auf das sorgfältigste durchgeführt, die Ge-
samt Wirkung aber über dem Bestreben, auch das
Kleine und Kleinste nicht zu vernachlässigen, ver-
loren gegangen war.

Gleichzeitig mit der Ausstellung der Aquarel-
listen hatte eine uns bisher unbekannte Dame, Su-
sanne von Nathusius in Paris, eine Reihe Studien-
köpfe, Bildnisse und Frauenakte aufhängen lassen,
die sich mehr oder weniger phantastisch ausnahmen
und technisch so wenig befriedigten, dass man über
den Eindruck des Dilettantischen nicht hinaus kam
und die Frage aufwarf, ob dergleichen unbedeutende
Schöpfungen nicht besser von dem Unternehmen
auszuschließen seien. Indessen hatte die Leitung der
Salons dafür gesorgt, dass eine derartige Missstim-
mung nicht lange vorhalten konnte, indem sie uns
die Bekanntschaft des unter dem Titel: „Per aspera
ad astra" veröffentlichten Kinderfrieses von Karl
Wilhelm Diefenbach vermittelte. Mit diesem Werk
hat sich Diefenbach, der bisher mehr durch seine
sonderbaren Lebensgewohnheiten, seine Tracht und
seinen Konflikt mit der Münchener Polizei, als durch
seine Gemälde von sich reden gemacht hat, mit
einem Schlage eine Stellung unter den besten Künst-
lern unserer Zeit errungen. Denn mag er auch mit
dieser Schöpfung wieder seine eigentümliche Lebens-
anschauung zum Ausdruck bringen und ein Loblied
auf den Vegetarianismus anstimmen wollen, mag
auch der begleitende Text als überschwänglich oder
stellenweise sogar als dunkel erscheinen, so ist doch
der Schönheitssinn, der aus diesen unbekleideten,
bald singenden, bald tanzenden und in allen erdenk-
lichen turnerischen Künsten auf das anmutigste sich
ergehenden größeren und kleineren Kindergestalten
zu uns spricht, so bedeutend, ja man kann sagen,
gegenwärtig so einzig, dass man immer wieder gern
die Betrachtung dieser Komposition aufnimmt. Es
ist ganz erstaunlich, mit welchem keuschen Liebreiz
diese zahlreichen Kinderfiguren ausgestattet sind.
Wie die Schattenbilder Konewka's sind diese Zeich-
nungen ganz in schwarz gehalten, vielleicht sogar
teilweise ursprünglich mit der Schere aus schwarzem
Papier herausgeschnitten. Trotzdem wirken sie nicht
einförmig, sondern überraschen durch die Mannig-
faltigkeit der Stellungen und den Reichtum an Be-
wegungen, wie ihn nur ein Künstler schaffen kann,
der sich das Studium des nackten jugendlichen Kör-
pers zur Lebensaufgabe gemacht hat. Mit gleichem
Geschick sind die in den Zug aufgenommenen Tiere
behandelt. Sie verkehren auf das traulichste mit
den Menschen, die den Fleischgenuss nicht kennen,
 
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