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Die Orofie Berliner Kunstausstellung. TIT.
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Motiv bei Vlissingen), Willy Hamacher in Berlin
(Partie am Montefino bei San Fruttuoso, Riviera),
Carl Becker in Düsseldorf (Emdener Häringslogger)
und Erwin Günter in Düsseldorf, dessen Ilfra-
combe Pier in Devonshire im Mondscbein bei stür-
mischem Wetter ein Meisterstück in der Breite und
Kraft der malerischen Behandlung und zugleich in
feiner koloristischer Stimmung ist. Wir würden
auch den Düsseldorfer Louis Herzog dieser Reihe
der Besten gesellen, wenn er es über sich gewinnen
könnte, die Genialität seiner Skizzenhaftigkeit soweit
zu ermäßigen, dass man wenigstens erkennen kann,
was er mit seinen wild schäumenden und gährenden
Strandbildern und dramatischen Szenen auf hoher
See sagen will.
Von den Landschaftsmalern, die sich im deut-
schen Binnenlande bewegen, wollen wir kein langes
Register aufziehen. Nur soviel sei bemerkt, dass
Künstler von so starker plastischer Gestaltungs-
kraft und poetischer Stimmung wie Carl Ludwig,
der in einer Sonderausstellung von über 60 Gemäl-
den und Skizzen einen Überblick über sein gesamtes,
besonders den mittel-, süddeutschen und schweize-
rischen Gebirgsgegenden gewidmetes Schaffen ge-
boten bat, Carl Rahtgen, der die Motive zu seinen
träumerischen Abend- und Mondscheinlandschaften
gern Dichtern wie Lenau und Storni entnimmt, aber
in allen Einzelheiten in der Natur wurzelt, Gustav
Pflugradt (An der Saale) und Johann Hermes (Abend-
dämmerung mit einem Bauerngehöft au einem
Weiher) — die Genannten sind sämtlich in dem
prosaischen Berlin seit Jahrzehnten ansässig — und
der Münchener Josef Wenglein außerhalb Deutsch-
lands nicht zu finden sind.
Wir könnten die Reihe der tüchtigen und sen-
sationellen Bilder, die in der Berliner Ausstellung
zu sehen sind, noch erheblich verlängern; aber wir
würden bei der leidigen Konkurrenz zwischen
München und Berlin mit ihrer Aufzählung zu spät
kommen. Gerade die Werke, die durch Inhalt oder
Umfang, durch künstlerischen Wert oder durch
äußere Reklame das größte Interesse in Anspruch
nehmen, sind schon in München, einige auch in
Wien gewesen, bevor sie nach Berlin gekommen
sind; so das figurenreiche, auf tiefe Studien begrün-
dete, wie eine fröhliche Renaissance der Bellinischen
Schule wirkende Bild der Huldigung Venedigs
vor der Dogaressa Foscari von Jose Villegas, die
Schlusskatastrophe in der Laufbahn eines berühmten
Stierkämpfers (»Der Meister ist tot") und das ewtas
gesuchte und gekünstelte Straßenbild „Kontrast"
von demselben genialen Künstler, „das Vaterunser"
von Walter Firle, das Bildnis eines vornehmen en-
glischen Kunstkenners von IL Herkomer, das vortreff-
liche Reiterbildnis des verstorbenen Grafen Julius
Andrassy von dem Ungarn Bela Pallik, das Bildnis
des Fürsten Camillo von Stahremberg von Casimir
Pochwalski, die belgische, eine Anhöhe hinauffahrende
Artillerieabteilung von Leon Äbry in Antwerpen, die
Vorhut der Blücher'schen Armee am Rhein am
Morgen des 1. Januar 1814 von Robert Ilaug in
Stuttgart und die Bildnisse, Figurenstudien und
Interieurs der in Paris gebildeten dänischen Malerin
Bertha Wegmann.
Diese Bilder und eine Anzahl anderer Ölgemälde,
Aquarelle und Bildwerke ausländischer Herkunft
bieten zwar eine angenehme Abwechslung in der
Berliner Ausstellung; aber sie reichen keineswegs
aus, ihr ein internationales Gepräge zu geben. Das
Schwergewicht ist und bleibt die Massenproduktion
der in Berlin lebenden und schaffenden Künstler,
neben denen nur noch die Düsseldorfer als eine ge-
schlossene Gruppe auftreten. Dass die Münchener
ihre Ausstellungen bevorzugen, ist nicht mehr als
recht und billig. Aber es scheint auch, dass die in
Dresden, Stuttgart, Karlsruhe u. a. 0. lebenden
Vertreter der „modernen Kunst" es nicht mehr für
„chic" halten, zuerst in Berlin, der ,Hochburg des
Veralteten und Verrotteten", auszustellen.
Berlin und das ihm immer noch treu zur Seite
stehende Düsseldorf werden sich über dieses Ana-
thema zu trösten wissen, besonders so lange beide
Städte nicht bloß in der Landschaftsmalerei, sondern
auch in der Bildnismalerei — von dem einzigen
Münchener Lenbach abgesehen — die Führung be-
halten. Was in diesem Jahre Hugo Vogel I Bildnis
des Hamburger Bürgermeisters Versmann), Graf
Harrach, Max Koner (Bildnisse des Malers v. Kameke
und des Kunsthändlers Troitzsch), Robert Warthmüller,
R. v. Voigtländer (Bildnis des Kunstkritikers Ludwig
Pietsch, in das schlesische Museum der bildenden
Künste in Breslau gestiftet), F. Brütt in Düsseldorf
(Bildnis des Malers Albert Baur) und Walter Peter-
sen (Damenbildnisse in Pastell) ausgestellt haben,
übertrifft an Frische und Lebendigkeit der Auffas-
sung, an Mannigfaltigkeit der Darstellung, an Fein-
heit des Geschmacks, an gründlichen, tief eindrin-
genden Studien und — was nicht wenig bedeuten
will — an Unabhängigkeit und Selbständigkeit alles,
was in München und Dresden an Bildnissen gemalt
wird. Sehr schwach ist es dagegen in Berlin mit
der Genremalerei bestellt. Adolf Menzel und Ludwig
Die Orofie Berliner Kunstausstellung. TIT.
516
Motiv bei Vlissingen), Willy Hamacher in Berlin
(Partie am Montefino bei San Fruttuoso, Riviera),
Carl Becker in Düsseldorf (Emdener Häringslogger)
und Erwin Günter in Düsseldorf, dessen Ilfra-
combe Pier in Devonshire im Mondscbein bei stür-
mischem Wetter ein Meisterstück in der Breite und
Kraft der malerischen Behandlung und zugleich in
feiner koloristischer Stimmung ist. Wir würden
auch den Düsseldorfer Louis Herzog dieser Reihe
der Besten gesellen, wenn er es über sich gewinnen
könnte, die Genialität seiner Skizzenhaftigkeit soweit
zu ermäßigen, dass man wenigstens erkennen kann,
was er mit seinen wild schäumenden und gährenden
Strandbildern und dramatischen Szenen auf hoher
See sagen will.
Von den Landschaftsmalern, die sich im deut-
schen Binnenlande bewegen, wollen wir kein langes
Register aufziehen. Nur soviel sei bemerkt, dass
Künstler von so starker plastischer Gestaltungs-
kraft und poetischer Stimmung wie Carl Ludwig,
der in einer Sonderausstellung von über 60 Gemäl-
den und Skizzen einen Überblick über sein gesamtes,
besonders den mittel-, süddeutschen und schweize-
rischen Gebirgsgegenden gewidmetes Schaffen ge-
boten bat, Carl Rahtgen, der die Motive zu seinen
träumerischen Abend- und Mondscheinlandschaften
gern Dichtern wie Lenau und Storni entnimmt, aber
in allen Einzelheiten in der Natur wurzelt, Gustav
Pflugradt (An der Saale) und Johann Hermes (Abend-
dämmerung mit einem Bauerngehöft au einem
Weiher) — die Genannten sind sämtlich in dem
prosaischen Berlin seit Jahrzehnten ansässig — und
der Münchener Josef Wenglein außerhalb Deutsch-
lands nicht zu finden sind.
Wir könnten die Reihe der tüchtigen und sen-
sationellen Bilder, die in der Berliner Ausstellung
zu sehen sind, noch erheblich verlängern; aber wir
würden bei der leidigen Konkurrenz zwischen
München und Berlin mit ihrer Aufzählung zu spät
kommen. Gerade die Werke, die durch Inhalt oder
Umfang, durch künstlerischen Wert oder durch
äußere Reklame das größte Interesse in Anspruch
nehmen, sind schon in München, einige auch in
Wien gewesen, bevor sie nach Berlin gekommen
sind; so das figurenreiche, auf tiefe Studien begrün-
dete, wie eine fröhliche Renaissance der Bellinischen
Schule wirkende Bild der Huldigung Venedigs
vor der Dogaressa Foscari von Jose Villegas, die
Schlusskatastrophe in der Laufbahn eines berühmten
Stierkämpfers (»Der Meister ist tot") und das ewtas
gesuchte und gekünstelte Straßenbild „Kontrast"
von demselben genialen Künstler, „das Vaterunser"
von Walter Firle, das Bildnis eines vornehmen en-
glischen Kunstkenners von IL Herkomer, das vortreff-
liche Reiterbildnis des verstorbenen Grafen Julius
Andrassy von dem Ungarn Bela Pallik, das Bildnis
des Fürsten Camillo von Stahremberg von Casimir
Pochwalski, die belgische, eine Anhöhe hinauffahrende
Artillerieabteilung von Leon Äbry in Antwerpen, die
Vorhut der Blücher'schen Armee am Rhein am
Morgen des 1. Januar 1814 von Robert Ilaug in
Stuttgart und die Bildnisse, Figurenstudien und
Interieurs der in Paris gebildeten dänischen Malerin
Bertha Wegmann.
Diese Bilder und eine Anzahl anderer Ölgemälde,
Aquarelle und Bildwerke ausländischer Herkunft
bieten zwar eine angenehme Abwechslung in der
Berliner Ausstellung; aber sie reichen keineswegs
aus, ihr ein internationales Gepräge zu geben. Das
Schwergewicht ist und bleibt die Massenproduktion
der in Berlin lebenden und schaffenden Künstler,
neben denen nur noch die Düsseldorfer als eine ge-
schlossene Gruppe auftreten. Dass die Münchener
ihre Ausstellungen bevorzugen, ist nicht mehr als
recht und billig. Aber es scheint auch, dass die in
Dresden, Stuttgart, Karlsruhe u. a. 0. lebenden
Vertreter der „modernen Kunst" es nicht mehr für
„chic" halten, zuerst in Berlin, der ,Hochburg des
Veralteten und Verrotteten", auszustellen.
Berlin und das ihm immer noch treu zur Seite
stehende Düsseldorf werden sich über dieses Ana-
thema zu trösten wissen, besonders so lange beide
Städte nicht bloß in der Landschaftsmalerei, sondern
auch in der Bildnismalerei — von dem einzigen
Münchener Lenbach abgesehen — die Führung be-
halten. Was in diesem Jahre Hugo Vogel I Bildnis
des Hamburger Bürgermeisters Versmann), Graf
Harrach, Max Koner (Bildnisse des Malers v. Kameke
und des Kunsthändlers Troitzsch), Robert Warthmüller,
R. v. Voigtländer (Bildnis des Kunstkritikers Ludwig
Pietsch, in das schlesische Museum der bildenden
Künste in Breslau gestiftet), F. Brütt in Düsseldorf
(Bildnis des Malers Albert Baur) und Walter Peter-
sen (Damenbildnisse in Pastell) ausgestellt haben,
übertrifft an Frische und Lebendigkeit der Auffas-
sung, an Mannigfaltigkeit der Darstellung, an Fein-
heit des Geschmacks, an gründlichen, tief eindrin-
genden Studien und — was nicht wenig bedeuten
will — an Unabhängigkeit und Selbständigkeit alles,
was in München und Dresden an Bildnissen gemalt
wird. Sehr schwach ist es dagegen in Berlin mit
der Genremalerei bestellt. Adolf Menzel und Ludwig