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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 9.1898

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Korrespondenz aus Venedig, [2]
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Korrespondenz aus Venedig.

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rigen Porträte, die eigenen des grossen Künstlers
nicht ausgenommen, wie Schnee vor der Aprilsonne.
Man möchte wünschen, das rote Scharlachgewand,
welches diese elastische, vornehme Erscheinung ganz
umhüllt, wäre kein Schlafrock modernsten Schnittes,
sondern die Amtstracht eines Ratsherrn von Venedig,
um sich so leichter in die goldene Zeit des Cinque-
cento zurückversetzen zu können, dessen besten Por-
träten der Künstler hier in einer glücklich inspirirten
Stunde so nahe gekommen ist. Das Bild ist technisch
ein solches Meisterstück, dass Urteil und Empfindung
vollständig verstummen und nur noch die Augen sehen
und geniessen. Ein Mensch und nicht sein Abbild
steht der Dargestellte vor uns, den blassen von raben-
schwarzem Bart und Haar umrahmten Kopf, in dem
zwei feuchte, halb verschleierte Augen schimmern,
leicht zur Seite gewandt. Die rechte Hand mit den
schlanken knochigen Fingern, die so vornehm von den
weissen Hemdaufschlägen umrahmt wird, ruht auf der
Brust, die Linke ist nachlässig in die rote Schnur ge-
steckt, die den I.eib umspannt. Jeder Pinselstrich
redet in diesen Fingern voll zitternd nervöser Be-
wegung, jede Linie ist edel in dem bleichen, etwas
müden Gesicht mit der ausdrucksvollen Stirn und den
leicht geröteten, etwas sinnlichen Lippen. Und doch
bleibt der Charakter des Dargestellten am letzten Ende
unenthüllt — man stelle ihn nur einem Lenbach oder
Bonnat gegenüber —, aber wir vermögen die Frage
nicht zu entscheiden, wollte der Pinsel des Künstlers
nicht mehr sagen, oder konnte er nicht?

Die Eroberung, welche die schottische Schule
mehr als jede andere des Auslandes in den Herzen
der Italiener gemacht hat, deutet sich schon äusserlich
dadurch an, dass nicht weniger als 19 Gemälde —
aus Deutschland und Frankreich nur etwa fünf oder
sechs — dieser verhältnismässig kleinen Sammlung
verkauft wurden und zum grössten Teil in Italien
bleiben werden. Gehen in den anderen Schulen die
Bestrebungen meist so weit auseinander, dass es un-
möglich ist, die Richtungen und Ziele selbst der ton-
angebenden Meister unter einheitliche Gesichtspunkte
zu bringen, so verfolgen die Schottländer, wenigstens
so weit sie in Venedig auftreten, eine einheitliche Ten-
denz. Vor allem sind sie Landschaftsmaler und als
solche streben sie einmütig ganz bestimmten Idealen
nach. Reizte vielleichtgerade das Geheimnisvolle, Neblig-
Graue, Mondscheinhafte die Phantasie der Italiener,
nachdem sie sich in langen Sommermonaten wieder
einmal an der Sonne satt gesehen? Man beachte nur,
welche Rolle der Vollmond in diesen gespensterhaften
Naturschilderungen spielt, deren doch keine die Poesie
einer Mondnacht so plastisch zum Ausdruck bringt,
wie Addison in der bekannten Strophe:
soon as the evening shades prevail
the moon takes up the wondrous tale,

die Macaulay Stevenson für eines seiner Gemälde als
Motto gewählt hat. Er gerade scheint in seinen Abend-
gesängen, Träumereien und Dämmerungen, wo das
blasse Mondlicht still und trübe durch das dünne
Laub der Bäume zittert, seinen Landsleuten den Grund-
ton angegeben zu haben. Das Licht des Vollmonds
zeigt der Schafherde den Heimweg bei Archibald Kay,
bei Newbery taucht er seine Strahlen in den blauen
See, und bei Tom Robertson erscheint er geheimnis-
voll über fernen Bergen.

In diesem Ton setzt sich die Schilderung bei
anderen Meistern fort, und der Mond scheint in der
That das passendste Symbol für eine so unbestimmt-
gedankenhafte Auffassung der Natur, wo der Himmel
weder grau noch blau, wo die Bäume nicht grün,
wo das Wasser so farblos wie der Himmel und selbst
die Erde sich schämt, ihr grünes Kleid zu zeigen.
Man würde diese flüsternde Weise sich auszudrücken
den Schotten gewiss nicht verargen, besässen sie das
Genie eines Alfred East, der in den leise und klingend
vorgetragenen Symphonien seiner Landschaftsbilder
solch einen Reichtum von Gesang und Melodie zum
Ausdruck bringt; aber über solche Töne verfügt
weder Stevenson noch Newbery noch Robertson, nicht
einmal Wellwood Rattray.

Der letztere allerdings, welcher mit kräftigen Lokal-
tönen arbeitet, überragt in seinen Seestücken die
meisten seiner Landsleute selbst dort, wo sie ihr Bestes
bieten, wie Macaulay Stevenson in seiner Mühle, oder
James Paterson im Schloss von Morton, oder John
Terris in seinen vielbewunderten Veduten aus England
und Schottland. Welch eine Fülle von Licht, Luft
und Farbe entzückt das Auge im Sommerabend von
Clyde, welch eine erhabene Ruhe spricht aus dem
Mondaufgang am Meer!

Unter den Porträtmalern Schottlands zeichnen sich
Lavery, Newbery und vor allem Guthrie aus. Die
Miss Hamilton des letzteren ist trotz eines leichten
Anflugs von Snobismus der sympathische Typus eines
englischen Edelfräuleins, schlank und elastisch wie eine
Tanne. Aber das Bild ist keineswegs vollendet —
man betrachte nur Gesicht und Hände —, und die
sicheren genialen Pinselstriche John Sargents sind noch
keinem seiner zahlreichen Nachahmer gelungen. Nur
Austen Brown erzielte ähnliche Wirkungen in seiner
längst berühmten Mademoiselle Plume Rouge, welche
die Münchener Pinakothek dem Salon Venedigs für
einige Monate anvertraut hat.

Von den kleineren europäischen Staaten haben
sich Belgien und Holland am zahlreichsten beteiligt;
jedes der beiden Länder füllt einen Raum für sich,
aber unter den vielen Skizzen und Versuchen findet
man nur wenig Bilder von selbständiger Bedeutung,
und hier wiegt wieder entschieden Landschaft und
Marine vor. Therese Schwartze bezeugt sich als aus-
 
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