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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 9.1898

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Sydow, Fritz: Ausstellung japanischer Buntdrucke im Leipziger Kunstgewerbemuseum, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5777#0083

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Ausstellung japanischer Buntdrucke.

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logisch folgerichtigen System spitzfindiger Stilphilo-
sophie und einer ins Sublime gesteigerten Idealität.

Die alten Chinesen und die modernen Japaner
kennen in gleicher Weise sehr wohl die Gesetze der
Linearperspektive. Sie wissen sehr wohl, dass eine
lange Wand nach der Tiefe zu sich zu verkürzen
scheint, und dass die rechtwinkligen Ecken eines
Raumes dem Auge spitz und stumpf, aber nur selten
rechtwinklig erscheinen. Sie wissen und wussten das
sehr wohl, aber sie verschmähen diese Gesetze anzu-
wenden. Denn was soll ein Künstler, der nachbildet,
geben? Was ist das Höchste, das er erreichen kann?
Das ist, dass er das wirkliche Wesen der Dinge auf
sein Papier bringt: die objektive, von seinem Auge
nicht beeinflusste Wahrheit, gleichsam nur den Be-
griff des Dinges, ohne jede Zufälligkeit. Verkürzt
nun ein Künstler zum Beispiel eine lange Mauer, so
thut er das, weil ihn sein Auge verführt hat, gegen
die thatsächliche sonnenklare Wahrheit sich zu ver-
sündigen, dass die Wand überall gleich hoch ist. Er
giebt also nicht den Begriff Mauer rein abgeklärt,
sondern thut die Täuschungen seines Auges und
seinen zufälligen Standpunkt hinzu. Er hat also vor
der idealen Wahrheit keinen Respekt und entfernt
sich von der reinen Kunst!

Ebenso verhält es sich mit dem zweiten Punkte,
dem gänzlichen Verwerfen aller Schlagschatten. Die
Ostasiaten sind, wie man in ihrer Kunst deutlich
sieht, fabelhaft genaue Beobachter, und man geht fehl,
wenn man annehmen wollte, sie sähen die Schlag-
schatten nicht, oder könnten sie nicht wiedergeben.
Sie verschmähen sie einfach, als ewig wechselnde Zu-
fälligkeiten, die im Leben das wirklich einzige Bild
der Dinge fortwährend verändern und verwirren. Ein
Begriff, wie z. B. «schöne Frau" hat für sie keine
Schatten. Ein Künstler, der eine schöne Frau von
rechts oder links, oben oder unten beleuchtet dar-
stellen wollte, würde sich in ihren Augen des groben
Verstosses schuldig machen, dass er den reinen Be-
griff durch Betonung der ganz nebensächlichen Stel-
lung der Sonne oder einer Lampe beeinträchtigt.
Hier kommt aber noch ein zweiter, ebenfalls von ost-
asiatischem Standpunkt ganz logischer Grund hinzu,
um das Verbot der Schatten zu unterstützen. Ein
Maler, dessen Pinsel eine ebene Papierfläche ausfüllt,
soll sich sagen, dass er auf einer Fläche arbeitet.
Sowie er beginnt mit Schlagschatten zu modelliren
und perspektivisch in die Tiefe zu gehen, so will er
uns gegen alles gesunde Denken darüber hinweg-
täuschen, dass er auf einem ebenen Blatt Papier
arbeitet. Wenn er modelliren will, so möge er den
Thon nehmen oder Bronze oder Elfenbein, aber er
lege dann seinen Pinsel aus der Hand, der nicht
missbraucht werden darf, um einer innerlichen Un-
wahrheit zu dienen.

Man sieht, die Grundprinzipien der ostasiatischen
Kunst sind ganz logisch, obgleich sie beinahe den
unsern entgegengesetzt sind, aber um so mehr müssen
wir lernen, uns in sie hinein zu versetzen, wenn wir
die grossen künstlerischen Schönheiten und Feinheiten
verstehen wollen, die, zumeist aus Japan, bei uns um
Verständnis und Unterkunft anklopfen.

Die in LeipzigausgestellteSammlungenthältzumeist
Drucke des vorigen Jahrhunderts, aus der Blütezeit ja-
panischer Malerei und Druckkunst. In den primitiveren
Anfängen kolorirte die Schule Moronobus einfache
Schwarzdrucke, bis gegen 1743 Shigenaga erst zwei,
dann drei eigene Farbenholzstöcke herstellte, die über-
einander gedruckt wurden. 1765 bereits hatte sich
die Technik so eingebürgert, das Shigenaga's Schüler
Harunobu dem Prinzip des Überdrucks mit einer un-
begrenzten Zahl von Platten Durchbruch verschaffen
konnte. Kiyonaga erreichte mit seinen edlen Linien
und koloristisch fein abgewogenen Tönen den Höhe-
punkt der Richtung, für welche die Zeichnung immer
noch das Gerippe blieb, um welches die Farben
lagerten. Mit Utamaro schlägt die Bewegung um.
Sie wird rein koloristisch und behandelt die Form
nur noch als Vorwand für die Farbe, bis Hokusai
(spr. Hok'sai) der Zeichnung und dem Naturstudium
freie Bahn schafft, doch nicht ohne den Grund-
prinzipien seines Stiles in manchen Punkten treulos
zu werden. Am Ende der japanischen Kunst steht
Hiroshige mit seinen feinen, schon von Europa be-
einflussten Landschaften.

Auf die Entwicklung der ganzen Epoche von
1675—JSo0 näher einzugehen, hat im Rahmen dieses
Artikels keinen Sinn, da die vielen fremden Namen
nur verwirren, besonders da sie meist aus denselben
Bestandteilen bestehen. So heissen die Schüler Shun-
sho's z. B. Shuntoku, Shunyen, Shunki, Shunyei,
Shumman, Shuncho und Shunzan, und das Kunst-
stück, sie auseinanderzuhalten, kann man wirklich
niemand zumuten, der nicht Specialist werden will.

Auf einen Punkt aber muss die Aufmerksamkeit
der Beschauer noch hingelenkt werden, der allgemeiner
Natur ist. Das ist die Art und Weise, wie der
Japaner sich hilft, wenn er Stimmungen ausdrücken
will, die wir mit Perspektive und Schatten hervor-
rufen. Da erzählt z. B. ein Mumezweig (mume -
wilde Kirsche) im Schnee vom Frühling, eine Weide
vom Sommer, ein Ahorn vom Herbst, oder ein Zug
fliegender Vögel versetzt uns in die Säezeit u. s. w.
Überall sind Naturbeobachtungen mit den Darstel-
lungen verknüpft, die dem japanischen Beschauer, der
von Jugend auf gewohnt ist, auf die Natur und den
Wechsel in der Natur zu achten, sofort in die richtige
Stimmung versetzen. Hier ist also eine logisch aus
dem Stil hervorgewachsene Symbolistik, die vom
ganzen Volk verstanden wird, und dadurch grund-
 
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