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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 9.1898

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Gensel, Walther: Das Condé-Museum in Chantilly
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https://doi.org/10.11588/diglit.5777#0267

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Das Conde- Museum in Chantilly.

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Freude daran haben kann. Wenn die drei Menschen
nur nicht gar so pretentiös gross wären! Bei Delacroix'
„beiden Foscari" kann uns das leuchtende Kolorit
doch nicht ganz für die anekdotisch kleinliche Be-
handlung des Stoffes entschädigen. Von Decamps,
der überhaupt nirgends so gut zu studieren ist wie
in Chantilly, enthält der Saal drei schöne Bilder:
„Türkische Wache", „Erinnerung aus der asiatischen
Türkei" und „Türkische Kinder am Teiche". Von den
übrigen Werken treten ein sehr vornehmes Porträt
von Nattier, ein grosser Laueret „Das Schinkenfrüh-
stück", eine schöne Landschaft von Ziem und der
„Kampf an der Eisenbahn", eines der besten Bilder
von Alphons de Neuville, hervor. Den an den Saal
stossenden Erkervorbau „Die Rotunde" schmückt ein
Plafond von Baadry und ein Fussbodenmosaik aus
Herkulanum. An den Seitenwänden hängen Zeich-
nungen und Aquarelle von Reinbrandt, Ruysdael,
Watteau, Ostade, Decamps, Delacroix, Meissonnier
und anderen, zwischen den Fenstern steht eine Wieder-
holung der wundervollen Chapu'schcn Jungfrau von
Orleans.

Von der Gemäldegalerie aus führt uns der Weg
über das »Vestibül des Museums« nach einer Reihe
kleinerer Zimmer, von denen aus man eine entzückende
Aussicht auf den Park geniesst. Auch hier sind die
Kunstschätze nicht alle gleich wertvoll. Das erste
Zimmer, das Kabinet Clouet, enthält eine Menge kleiner
Porträte, von denen eine Anzahl mit mehr oder minder
grosser Sicherheit den Clouet zugeschrieben wird,
einige von Pourbus, Miereveldt, Aldegrever, Le Nain,
Teniers u. s. w. herrühren, die Mehrzahl endlich der
Namengebung noch harrt. Die Fragen, die sich auf
die Schule der Clouet beziehen, sind so ungemein
schwierig und ihre Beantwortung für die Kunstge-
schichte doch nicht von so allgemeiner Wichtigkeit,
als dass wir es den französischen Gelehrten nicht gern
überliessen, sich die Zähne daran auszubeissen. Die
kleine Monographie des jetzigen Direktors des Pariser
Kupferstichkabinets Henri Bouchot in den Artistes
celebres fasst sie gut zusammen. Im zweiten Zimmer
finden wir hauptsächlich Bilder aus dem 18. Jahr-
hundert, darunter ein paar reizende kleine Greuze,
einen ganz kleinen Watteau (die Erwartung), einen
Nattier, mehrere Largilliere, doch auch einige aus
dem 17. Jahrhundert — vor allem fünf Porträte von
Mignard — und zwei Landschaften von Decamps.
Das dritte Zimmer ist das Kupferstichkabinet. Es ent-
hält an Bildern ausser dem Porträt des Herzogs von
Aumale von Bonnat und einigen anderen Familien-
bildnissen nur eine heilige Familie von Alessandro
Bronzino, einen heiligen Franziskus von Angiolo
Bronzino, ein heilige Familie von Perino del Vaga und
ein Bildnis aus der Schule des Luini. In die wunder-
voll gehaltenen, rings an den Wänden in Glasschränken

liegenden Mappen der Stiche und Handzeichnungen
einen Blick zu thun, ist bisher nur wenigen vergönnt
gewesen. Die 600 Porträtzeichnungen des 16. Jahr-
hunderts, von denen übrigens die schönsten eingerahmt
und aufgehängt sind, die 500 Porträte, die Carmontelle
nach den berühmtesten Personen der Zeit Ludwigs XV.
gezeichnet hat, und die 600 Zeichnungen Raffet's wer-
den den Historiker mindestens ebenso interessieren
wie den Kunstforscher. Auch von den übrigen 170
italienischen, 126 vlämischen und deutschen, 78 hol-
ländischen und 317 französischen Handzeichnungen
sind die wichtigsten ausgestellt, doch wird sich gewiss
noch mancher Schatz heben lassen. Von den beiden
sich anschliessenden Räumen enthält der erste fast
ausschliesslich französische Bilder des 19. Jahrhunderts,
darunter wieder fünf Decamps, schöne Landschaften von
Anastasi und Daubigny, einen Delacroix (marokkanische
Wache) und eine kleine Wiederholung der fie'berfschen
»Malaria" aus dem Luxembourg, derzweite nur Italiener,
von denen der vielumstrittene »Tod der Jungfrau« von
Giotto und ein sehr schönes Porträt eines Greises von
Scipione Gaefano die wichtigsten sind. Nach einem
kleinen Antikenkabinet schliesst der Rundbau der
»Minerva« die Reihe ab. Er hat seinen Namen von
einer griechischen Bronze, die in der Mitte in einem
Glasschranke aufgestellt ist, aber sein schönster Schmuck
sind die 26 köstlichen Zeichnungen von Prud'hon.
Blätter wie »Die Spinnerin«, »Die Garn wicklerin",
»Liebe und Unschuld", wie der weibliche Akt, wie
besonders der berühmte »Triumph des Konsuls Bona-
parte« gehören zu den allerschönsten Handzeichnungen
nicht nur der modernen Kunst, sondern der Kunst
aller Zeiten. An die Minerva stösst die Smalah, ein
kleines Zimmer, das hauptsächlich Familienbildern
und Bildern aus dem militärischen Leben des Herzogs
von Aumale gewidmet ist. Man weiss, dass Vernet
dessen »Eroberung der Smalah« auf einem der grössten
Bilder des Versailler Museums verewigt hat. Parallel
mit der eben besprochenen Zimmerreihe, nach dem
Hofe zu, läuft das Vestibül und die Galerie du Logis.
In dem ersteren hängen einige der schönsten Hand-
zeichnungen der Sammlung, besonders ein grosser
Lionardo (angeblich der Originalkarton zur Joconda)
und Apostelköpfe von Raphael, in letzterem etwa
sechzig der erwähnten Porträtzeichnungen des 16. Jahr-
hunderts.

Wir gehen nach der Galerie de Peinture zurück,
durchschreiten sie und gelangen nach dem nördlichsten
Teile des Schlosses, der die Räume mit den herrlichsten
Schätzen enthält, die Galerie der Psyche, das Kabinet
der Gemmen, die Tribuna und das Santuario. Die
Galerie der Psyche hat ihren Namen von den 44 in
den Jahren 1542 — 1544 auf Befehl des Connetable
Anne de Montmorency für das Schloss von Ecouen
nach Kartons der Raphaelschule (Michael van Coxie?)
 
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