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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Literatur

22

merkungen nachprüfte und vervollständigte und überhaupt
dafür sorgte, daß das Buch in jeder Beziehung als ein
wissenschaftlich fundiertes sich darstellt. Fritz Baumgarten.
O- Stiehl, Der Wohnbau des Mittelalters. Handbuch der
Architektur II. 4. Band. 2. Heft. 2. Auflage. 396 Seiten
gr.-8° mit 459 Abbildungen und 17 Tafeln. Leipzig
1908. A. Kröner. Geheftet M. 21.—.
Die erste Auflage dieses von A. v. Essenwein begrün-
deten Buches war in ihrer Art epochemachend, die zweite
wird es noch mehr sein. O. Stiehl hat seit Jahren der Er-
forschung des Profanbaues obgelegen. Eine reife Frucht
seiner tiefgehenden und ganz selbständigen Studien legte
er vor kurzem vor: »Das deutsche Rathaus im Mittelalter«.
(Leipzig 1905, E. A. Seemann). Inzwischen hat er, gestützt
auf mühsam erworbene, meist selbstgesuchte Detailkenntnis
die systematische Aufnahme des (kleineren) Bürgerhauses
durch den Denkmalpflegetag und die Architektenvereine
organisiert. Und die leitenden Gesichtspunkte, den Rahmen
einer künftigen Geschichte des deutschen Hauses legt er
schon jetzt den Fachgenossen vor. Es braucht kaum ge-
sagt zu werden, daß von der ersten Auflage fast nur der
Titel geblieben ist. So sehr haben sich die Anschauungen
gewandelt, die Einsichten vertieft, die Beobachtungen ver-
breitert.

In den ersten beiden Kapiteln bewegen wir uns auf
leidlich sicherem Boden. Kloster, Pfalz und Burg hatten
sehr frühe, dann fast lückenlose, künstlerisch wertvolle
Denkmale in großer Zahl hinterlassen; die Forschung hatte
sich im letzten Jahrhundert diesen Sachen mit besonderer
Vorliebe zugewandt und die Meinungen sind bis auf Grenz-
streitigkeiten geklärt. Nicht zum wenigsten durch das
Verdienst Stephanis, der ohne eigentliche systematische
Absicht das gesamte Material übersichtlich vereinigt hat.
Hier wird auch in Zukunft die Diskussion an den bekannten
Musterbeispielen verlaufen. Die persönliche Note und die
Eigenart der Auffassung ergibt sich nur aus der Gesichts-
weite, der mittelalterlichen Bildung des Beurteilers, der
Einsicht in die jeweiligen Lebensbedingungen und Wohn-
verhältnisse. Hierin ist nun Stiehl den meisten der schrift-
stellernden Architekten weit überlegen. Er begleitet den
Weg durch die Lehrmuster mit seinen kulturhistorischen
und kunstästhetischen Bemerkungen. Selbst die Motivie-
rungen, welche nicht der realen Sachkenntnis des Alten,
sondern der überlegenden, rekonstruierenden Phantasie ent-
sprungen sind, sind anregend und fruchtbar, auch wo sie
die Kraft des Widerspruchs erwecken.

Der geistige Brennpunkt des Buches ist aber »Der
städtische Wohnbau« (Kapitel 3). Hier ist fast völliges
Neuland und die Verhältnisse liegen bei dem Reichtum
an Haustypen für den Systematiker sehr schwierig. Denn
wie das Städtewesen nach Art der Gründung, der Ab-
hängigkeit, der Erwerbsverhältnisse usw. ungemeine Diffe-
renzierungen, Mischungen und Verschiebungen aufweist,
so auch in jedem Fall die Bewohner und so auch die
Hausformen. Stadtadel und Patrizier, Kaufleute und Krämer,
Handwerker und Ackerbürger, jeder Stand richtete sich
auch baulich nach seinen Bedürfnissen ein. So heben sich
vier Haustypen ziemlich scharf voneinander ab, deren
Merkmale trotz zahlreicher Übergangsformen und land-
schaftlicher Abweichungen sich beschreiben lassen. Schwie-
riger und gefährlicher ist der Versuch, Entwickelungsreihen
und Ableitungen von rückwärts liegenden Urtypen herzu-
stellen, den Bildungsreichtum mit einer Formel zu lösen.
Diese Formel ist für Stiehl die einzellige, eingeschossige
Halle oder Hütte. Jeweils von diesem Urtyp ausgehend
entwickelt Stiehl an gutgewählten Beispielen die reicheren
Grundrisse, wie sie sich durch Ein- und Anbauten er-
geben.

Zunächst ist das feste Adelshaus, wofür Trier, Köln,
Regensburg und Metz noch romanische Beispiele liefern,
ein einfacher Wohnturm mit ungeteiltem Fleetz im Erd-
geschoß und großem Wohnsaal darüber. Stadtpaläste von
so reicher Durchbildung wie in Frankreich fehlen bei uns,
doch zeigen die Adelshäuser des 15. und 16. Jahrhunderts
wie etwa die alte Hofhaltung in Bamberg, wie sich ein
solches Anwesen mit rings in Fachwerk umbautem Hofe
ausnahm. Für das bürgerliche Reihenhaus kommen nun
noch drei Typen in Frage; zunächst das f(lcinbürger-(liand-
werker-)//a«s, die »Bude«, ein schmales Giebelhaus, meist
nur zweiachsig, der Tiefe nach unten zweiteilig (Fleetz,
Werkraum — Laden und Stube), oben dreiteilig (Stube,
Küche, Kammer). So in vielen Beispielen bis in jüngste
Zeit, oft in Doppelhäusern unter einem Dach. Die reichste
Entwickelung zeitigt das Kaufmannshaus, in der einfachsten
(niederdeutschen) Form eine riesige, bis zum Dach un-
geteilte Deele, in erster Linie Speicher, worin eine Ecke
als Kontor und einige Kammern, dann Zwischengeschosse
als geringe Wohnräume ausgespart wurden. Steinwerke
wie in Breslau und Hinterhäuser wie in den Hansastädten
kommen hinzu. In Süddeutschland ist das selbständige
Wohngeschoß (Söller) über der unteren Warenhalle eine
ältere Errungenschaft und damit verbunden der Lauben-
gang zum Hinterhaus, der dann in Nürnberg, Augsburg,
Regensburg usw. die reizenden Binnenhöfe zeitigt. Aber
überall läßt sich noch die primitive Keimzelle des Hauses,
die Däle mit dem offenen Herd, erst ebenerdig, dann im
Obergeschoß hinter einer straßenseitigen Zimmerflucht er-
kennen. Nur in den äußersten Grenzgebieten, in den
österreichischen und schweizerischen Alpenstädten macht
sich ein fremder, romanischer Haustyp geltend mit Lauben-
gängen an der Straßenfront und im Hof und kleineren,
bequemeren Wohngelassen im Oberstock. Schließlich,
meint Stiehl, ist auch das Ackerbürgerhaus eine Erscheinung
sui generis, ein Stadthaus, wo der landwirtschaftliche Be-
trieb in den Hof mit Zufahrt von der »Hinterstraße« aus,
oder ins Untergeschoß wie in Schwaben und Westfalen
(Osnabrück) verlegt wurde.

Es muß zugegeben werden, daß Stiehl die hier kaum
in den Umrissen skizzierte Übersicht überall mit guten
Beispielen belegt und mit einleuchtenden Raisonnements
begleitet hat. Wir wissen, daß niemand so wie er
das deutsche Städtewesen bis in die entlegensten Winkel
aus eigener Anschauung kennt und in der Vielfältigkeit
seiner Erscheinungen denkend überlegt hat. Gleichwohl
halte ich seine Grundanschauung für korrekturbedürftig in
doppelter Hinsicht. Einmal ist der einzellige Haustyp
wenigstens in Oberdeutschland sicher in karolingischer
Zeit schon überwunden. Das lehrt mit aller Deutlichkeit
der Bauriß von St. Gallen, wo die Teilung von Herdraum
und (Wohn-)Stube glatt durchgeführt ist. Sehen wir nun
jetzt und allgemeiner in sächsischer und fränkischer Zeit
das Obergeschoß (solarium) zum festen und bevorzugten
Bestandteil, zum eigentlichen Wohngeschoß des Hauses
werden, so fallen alle Reflexionen über Einräumigkeit in
sich zusammen, mag das Erdgeschoß wie immer möglich
aufgeteilt und benutzt sein. Gerade über den entscheiden-
den Fortschritt, den das Bürgerhaus etwa im 10. bis ^.Jahr-
hundert durch die Mehrgeschossigkeit vor dem Bauernhaus
gewann, spricht sich Stiehl nicht oder nur unklar aus.
Nun hat er zwar darin Recht, daß bei Neugründungen
ganz primitive Formen wie etwa heute die Baracken von
Bahn- und Fabrikarbeitern vorkommen und auch im städti-
schen Bauwesen lange Zeit nachwirken können. Das be-
weist aber nichts dafür, daß man nicht gleichzeitig höher
entwickelte Hausformen gekannt und geübt habe.

Zweitens befremdet die Seite 176 besonders scharf
 
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