Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

DOI Artikel:
Osborn, Max: Berliner Brief
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5951#0026

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
35 Berliner Brief 36

geflickte Ornamentenkram, jedes Prunken mit Schmuck,
der sich nicht aus der Sache ergibt, wäre hier lächer-
lich. Die Schönheit konnte sich nur aus der Art
ergeben, wie die Linien der Eisenträger geführt, die
dicken Nägel geordnet, die Bänke, Zeitungspavillons,
Aufschrifttafeln, Laternenträger möglichst praktisch
und schlicht angelegt wurden. Dann durch die Wahl
der Farben für die Kacheln des Wandbelags auf den
Bahnhöfen, durch die schmiedeeisernen Umrahmungen
der Zugänge, Treppengeländer, die Billettschalterarchi-
tekturen. Was Orenander dabei geleistet hat, ist ein
strenger Hinweis auf ehrliche Werkkunst und Werk-
arbeit, die zeigt, wie die Logik sinngemäßer Material-
behandlung sofort auch die Sinne, nicht nur den Ver-
stand erfreut. Nur an einer Stelle ist reicherer Schmuck
gewählt: am Bahnhof »Kaiserhof« unter dem Wilhelms-
platz. Dort lädt über der Erde eine hübsch ge-
gliederte, einfache Pergola aus porösem Muschel-
kalkstein zum Eintritt, in der der Maschinencharakter
der Eisenteile dort drunten sehr geschickt in die
Sprache der Steinarchitektur übersetzt ist; die tiefer
gelegene Eingangshalle ferner ist mit Kacheln aus des
Kaisers Majolikafabrik in Cadinen belegt, die freilich
recht bunt dreinschauen (hier hatte Grenander wohl
nicht freie Hand) und in ihren konventionellen maurisch-
persisch-islamischen Flachmustern Kunde davon zu
geben scheinen, daß dieser Bau zur Zeit der Marokko-
Affäre zustande kam . . .

Gutes neben Schlimmem! Hier wie überall. Wie-
anders es in andern Ländern um diese Dinge bestellt
ist, enthüllt sich jetzt wieder in der Belgischen. Aus-
stellang im Sezessionshause. Wie immer, wenn wir
eine Kollektivausstellung fremder Künstler in Deutsch-
land sehen, hat man auch hier die Empfindung, daß
wir zurzeit mindestens ebenso stark sind in der Zahl
bedeutender Einzelindividualitäten, daß man uns aber
in dem respektablen Niveau des Durchschnitts in der
Qualität der Gesamtleistungen überlegen ist. In Bel-
gien, das erkennt man auf dieser Ausstellung (die von
zwei großen Gesellschaften des Vlamlandes: der Ver-
einigung »Art contemporain« in Antwerpen und der
»Sociele royale des beaux-arts« in Brüssel inszeniert
ward), ist ein solides Können und eine Sicherheit des
Geschmacks zu Hause, die jedem zugute kommen,
der sich mit Pinsel oder Meißel versucht. Man ist
dort Frankreich nahe genug, um die Pariser An-
regungen und Impulse auf direktem Wege zu erlangen,
aber der germanische Einschlag des Blutes sorgt
doch dafür, daß aus diesen Studien ein bestimmter
und lebensvoller eigner Stil erwächst. Das Kenn-
zeichen dieses Stils ist eine gewisse Schwere, ein
starker Ernst, etwas Massives, Gesund-Materielles, das
sich niemals allein mit flüchtigem artistischem Spiel
begnügt hat. In der Malerei wie in der Skulptur
bewährt die Ausstellung wieder diese handwerkliche
Ehrlichkeit und Festigkeit der Belgier, die auch dann
mit Hochachtung erfüllt, wenn man sich nicht gerade
hingerissen fühlt.

Wenig bekannt in Deutschland sind vor allem
die verstorbenen Künstler, die hier auftreten. An der
Spitze Henri de Braekeleer, von dessen unvergleichlich

feiner Interieurmalerei sechs Bildchen von wunderbarer
Wärme des Kolorits und des goldenen Lichts Kunde
geben. Man sieht wieder, wie wenig diesen Meister
sein Lehrer und Onkel Hendrik Leys, der immer als
sein Ausgangspunkt genannt wird, auf solchem Wege
fördern konnte. Namentlich der »Mann im Sessel«,
zu dem durchs offene Fenster ein volles, klares Tages-
licht in das Renaissancegemach mit dem kunstvollen
Ornament der Wandbespannung hereinströmt, und
der Blick aus dem Fenster auf die Place Teniers in
Antwerpen halten sich durchaus auf der Höhe von
Braekeleers berühmten Arbeiten im Brüsseler Museum
und im South-Kensington. Daneben stehen drei
schöne Bilder von Alfred Stevens, unter denen eine
»Harfenspielerin« in grünem Kostüm in der Delika-
tesse der Farben an erster Stelle figuriert; einige Tier-
bilder von Alfred Verwee, der eine moderne Hyostase
Paul Potters war, und von Joseph Stevens, der sich
freilich niemals zur Höhe seines Bruders aufge-
schwungen hat; stille saftige Landschaften von Isidore
Verheyden und Theodore Verstraete; Zeichnungen,
Radierungen, Bilder (darunter das bemerkenswerte
Porträt »eines Chemikers«) von Henri Evenepoel,
der uns durch die vorjährige Kollektivausstellung der
Sezession gut bekannt ist. Zu den ältesten der
Lebenden gehört Eugene Smits, von dem man ein
sehr nobel gemaltes Damenbildnis und ein geschmack-
volles Blumenstück sieht. Neu sind uns in Berlin
auch die Proben großer Dekorationsmalerei, umfang-
reiche Idealkompositionen in neuer Vortragsart, die
nicht gerade begeisternd sind, aber doch das, was in
Norddeutschland zumeist auf diesem Felde geleistet
wird (wenn man Ludwig von Hofmann ausnimmt),
weit hinter sich lassen. Das Interessanteste darunter
ist ein Panneau »Unter dem heiligen Baum« von
Constantin Montald. Dann grüßen bekanntere Ge-
sichter: die erdhafte Wirklichkeitskunst der Baertson,
van Leemputten, Stobbaerts, die unsentimentale Stim-
mungsmalerei der Courtens und Gilsoul, der breit
stilisierende Sozialismus von Laermans, die weichen
Träumereien von Khnopff, der real istisch-frische
Symbolismus von Leon Frederic. Ein kleinerer Saal
vereinigt die Analytiker, Emile Claus, dessen Fein-
gefühl für das zarte Licht der halbenthüllten Sonne
an kühlen Frühlingstagen uns zumal ein großes Bild
mit abendlicher Stimmung wieder nahe bringt, Georges
Morren, der ein leuchtendes Sonnenbild hergeschickt
hat, van Rysselberghe, dessen beruhigtem Neoimpres-
sionismus wir das sehr reizvolle Bild einer jungen
Dame verdanken.

Nach Holland hinüber, zu Israels, weist P. J.
Dierckx (»Die Witwe«). Eine graphische Ecke wird
beherrscht von einer Rops-Kollektion. Daß auch in
Belgien gesündigt wird, beweisen uns (fast möchte
man sagen: zu unserer Beruhigung) die glatten und
konventionellen Porträts von Emile Wauters. Sonst
aber sichert eine solide malerische Schulung selbst
genrehaft zugespitzten Szenen eine anständige Qualität.

Imposanter präsentiert sich freilich die belgische
Plastik. Meunier, den wir uns gewöhnt haben als
Führer anzusehen, und von dem die große Gruppe
 
Annotationen