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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Schmidt, Karl Eugen: Der Pariser Herbstsalon
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https://doi.org/10.11588/diglit.5951#0034

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Der Pariser

Herbstsalon

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sehr und setzten etwas von der Art eines Boykott gegen
die junge Konkurrenz in Scene. In der Tat fanden
sich denn auch nur sehr wenige bekannte Künstler,
die bei den Herbstleuten ausstellten, und besonders
die großen Herren von der alten Societe des artistes
francais hielten sich ganz ferne. Die Societe nationale
war etwas weniger streng, und einige ihrer besten
Leute, so Eugen Carriere, Besnard, La Touche, Aman-
Jean, Rodin, Alexandre Charpentier, La Oandara,
Desire Lucas, Henri Martin usw. gehörten zu den
Gründern des Herbstsalons. Wenn man nun den
diesjährigen Katalog des Herbstsalons durchgeht, wird
man alle die genannten Namen vergebens suchen.
Nicht nur sie fehlen, sondern überhaupt alle Leute,
die in einem der beiden Frühjahrsalons eine Rolle
spielen. Der Boykott hat also schließlich doch genützt:
wer immer im Herbstsalon ausstellte, wurde im Früh-
ling scheel angesehen. Gehörte er nicht zu den jury-
freien Mitgliedern eines Frühjahrsalons, dann wurden
seine Arbeiten ohne Gnade und Barmherzigkeit zurück-
gewiesen, und war er juryfrei, dann versuchte man
ihn auf anderen Wegen zum Verzicht der Beschickung
des Herbstsalons zu bringen. Das scheint jetzt so
ziemlich gelungen zu sein. Solange Eugen Carriere
lebte, hatten die aufsässigen Frühjahrsleute an ihm
einen starken Rückhalt, nun er aber tot ist, haben
die anderen klein beigegeben. Weder Rodin noch
Besnard, noch irgend ein anderer, den man zu den
Spitzen der Frühjahrausstellungen zählen konnte, stellen
mehr bei den Herbstleuten aus. Der einzige Altmeister,
der in diesem Jahre vertreten ist, ist Jules Cheret, und
er hat mit seinem kleinen, aber überaus reizenden
Pastell nicht viel mehr als seine Visitenkarte abgegeben.
Auch ein paar Ausländer sind dem Herbstsalon treu
geblieben, obgleich sie nach wie vor auch im Früh-
jahr in Paris ausstellen. So der Irländer Lavery, der
heuer drei Bilder ausstellt, alle drei nicht zu seinen
besten Arbeiten gehörend.

Die Führung im Herbstsalon ist also den Unab-
hängigen verblieben, die schon gleich zu Anfang
mächtig Sturm liefen gegen die aus den Frühjahr-
salons zu ihnen gestoßenen Truppen. Abgesehen
von den retrospektiven Abteilungen, die eine Spezialität
des Herbstsalons sind, findet man bei den Herbstleuten
so ziemlich die nämlichen Leute wieder, die man
im Frühjahr bei den Unabhängigen begrüßen konnte.
Nur mit Auswahl, denn im Herbstsalon gibt es eine
Jury, wärend bei den Unabhängigen eine solche Ein-
richtung fehlt. Der Herbstsalon ist also nichts für
das große Publikum, denn alles, was diesem großen
Publikum eine Kunstausstellung interessant oder amü-
sant machen kann, fehlt hier. Im Herbstsalon — und
das ist der einzige wirkliche Vorzug, den diese Ver-
anstaltung beanspruchen darf — wird im allgemeinen
wirklich nur Malerei und Bildhauerei gezeigt, und
von einigen seltsamen philosophischen Schwärmern
abgesehen, die aber auch technisch interessant sind,
kommt es keinem der Aussteller auf den Inhalt an.
Es werden weder Anekdoten erzählt, noch Witze ge-
rissen, noch Predigten gehalten, wie ich zu meinem
Schmerze konstatierte, als ich für ein illustriertes

Familienblatt die zur Illustration passenden Bilder
zusammensuchte. Dabei darf man sich nicht von
künstlerischen Qualitäten allein leiten lassen, sondern
der Inhalt muß dem Familienblattleser etwas erzählen.
Also ein geschichtliches Ereignis, eine Anekdote, ein
Witz, allenfalls das Porträt einer bekannten Persönlich-
keit. Solche Bilder sind in beiden Frühjahrsalons,
besonders aber bei den Artistes francais, zu vielen
Hunderten zu sehen, im Herbstsalon fehlen sie ganz
und gar, und das ist der beste Beweis, daß die Aus-
steller hier wirklich Kunstwerke ohne Nebengedanken
zu schaffen, daß sie das Publikum nicht durch den
Inhalt ihrer Bilder zu fangen suchen.

So ganz ohne Nebenabsichten geht es allerdings
auch hier nicht ab: die ungeheure Naivität, welche
von einer großen Anzahl Maler und Bildhauer, die
bei den Unabhängigen und im Herbste ausstellen,
zur Schau getragen wird, ist ganz sicher nicht so
echt und rein, wie sie sein müßte, um uns gefallen
zu können. Wenn ein Westeuropäer unserer Tage
malt und modelliert wie ein achtjähriges Kind oder
wie ein auf der Kindesstufe der menschlichen Kultur
stehender Australneger, dann merkt man gar zu leicht
die Absicht und wird demgemäß verstimmt. Naivität
ist nur dann erträglich, schätzbar und erfreulich, wenn
sie natürlich, unbewußt und ungekünstelt ist wie im
Campo Santo zu Pisa, bei Schulkindern und bei
wirklichen Austrainegern. Bei Künstlern unserer Zeit
aber, die obendrein in Paris leben, ist eine solche
Naivetät ganz und gar unmöglich; hier ist sie stets
ein ausgerechnetes und ausgekünsteltes Ding. Ich
argwöhne stark, daß diese neue Richtung, die darin
besteht, daß sie die Ungeschicklichkeit und Unbeholfen-
heit der Australneger nachzuahmen sucht, einen ge-
schäftlichen Hintergrund hat. Durand-Ruel und seine
Genossen haben dereinst durch die Monopolisierung
der impressionistischen Kunst ein Millionengeschäft ge-
macht, das immer noch gewaltige Zinsen trägt. Warum
sollten Bernheim und seine Gesellen nicht ein ebenso
gutes Geschäft mit dieser neuesten Richtung machen?
Dieses scheint mir die Hauptursache des Wachsens,
Blühens und Gedeihens der gesuchten Naivetät in
der modernen Kunst zu sein. Die andere Ursache
ist selbstverständlich der Snobismus: wer etwas von
Kunst versteht, muß diese Kindereien bewundern,
tut er das nicht, so hat er sich als Banause und
Botokude ausgewiesen und darf sich in der Gesell-
schaft der »Kenner« nicht mehr sehen lassen.

Das interessanteste im Herbstsalon sind wohl die
beiden retrospektiven Ausstellungen. Die eine kleinere
gilt El Greco, jenem Meister, dessen griechischer
Name so lang und so schwer zu hehalten ist, daß
die Spanier, bei denen er lebte, sehr wohl getan
haben, ihn einfach nach dem Lande seiner Herkunft
zu nennen. El Greco ist eine Art von Vorläufer
Velasquez' und Goyas und hängt somit aufs engste
mit unseren heutigen Kunstbestrebungen zusammen.
Was man von seinen Arbeiten im Herbstsalon zu-
sammengebracht hat, ist nicht sehr'zahlreich und auch
nicht sehr wichtig, aber es genügt immerhin, um
solchen Kunstfreunden, die den Escorial, den Prado
 
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