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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Clemen, Paul: Der Clarenaltar im Kölner Dome: eine Revision
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https://doi.org/10.11588/diglit.5951#0075

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133

Der Ciarenaltar

im Kölner Dom

134

Und weiter. Unter jener Übermalung, aber über
den alten Originalen saß deutlich an einer ganzen
Reihe von Stellen erkennbar ein dicker gelb ge-
wordener alter brüchiger Firniß. Man konnte sich
winden, wie man wollte — hier gab es keinen anderen
Ausweg: hier lagen Übermalungen einer ganz neuen
Zeit, des 19. Jahrhunderts vor.

Das Kreuzigungsbild auf der Tür des Mittel-
stückes sah am stärksten übermalt aus. Bei der
Reinigung des Gemäldes fanden sich zwei andere
Gekreuzigte unter diesem Bild, so daß nun auf ein-
mal sechs Arme in ganz verschiedenen Höhenlagen
erschienen. Und auf der Rückseite dieser Tafel hatte
der Restaurator, um den Grund zu füllen, Papier
verwendet, und unter dem gleichen Muster wie auf
der Vorderseite erschien hier aufgeklebt ein quart-
blattgroßes Stück Zeitung vom Jahre 1861!

In diesem Jahre 1861 ist der Ciarenaltar renoviert
worden, es sind damals die fehlenden Teile des
Mittelschreins durch den Bildhauer Stephan ergänzt
und auch die Flügel sind dabei eben renoviert worden,
so gut oder so schlecht es die Zeit verstand. Jene
Kreuzigung hatte Franz Kugler »in verwahrlostem
Zustande« vorgefunden — noch im Jahre 1847 schreibt
er (Handbuch der Geschichte der Malerei I, S. 236)
auf den Außenseiten der äußeren Flügel seien »noch
Überreste von einem Gekreuzigten und vielen Heiligen
auf rotem, goldblumigen Leinwandgrunde sichtbar«.
Also nur Überreste — ganze Figuren sind erst 1861
daraus geworden. Diese Überreste aber sind noch
so vollständig, daß das Ausflicken jetzt nach der
Entfernung all der sorglos und kunstlos darauf ge-
patzten modernen Farbschicht als etwas sehr Ein-
faches erscheint.

Mit dem in der Beobachtung der Außenflügel
neu geschärften Blick konnte man nun an die Innen-
flügel herangehen. An den berühmten Szenen aus
der Kindheit Jesu mußte nun auf den ersten Blick
schon stutzig machen, daß die Führung der Um-
rißlinien und die malerische Behandlung nicht recht
zusammengehen wollte — die erste erinnerte an den
strengen Stil der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts,
die letztere schien dem Anfang des 15. Jahrhunderts
anzugehören. Und bei weiterer Beobachtung zeigte
sich auch hier, daß die ganzen Flügel durchaus über-
malt waren. An einigen Stellen ist die alte originale
Malerei unter dieser Decke noch erkennbar — die
alten, scharf gezeichneten geschlitzten Augen, die
härteren Konturen der Köpfe, vor allem die charak-
teristisch-zeichnerische Behandlung von Bart und Haar.
Über scharfe Ecken, Brüche und vorstehende Zipfel
ist der Pinsel des Restaurators sorglos hinweggehuscht.
Dabei hat diese übermalende Hand gleichzeitig auch
die Komposition zu ergänzen gesucht und damit das
ganze Bild verändert. Die Spitzen der einzelnen
Felder sind mit Engelsfiguren gefüllt, wohl angeregt
durch den bei der Verkündigung an die Hirten ur-
sprünglich vorhandenen schwebenden Engel — diese
Figuren sind ungeniert über den alten punzierten Gold-
grund weggemalt, so daß das punzierte Ornament
durch die Engelsfigur durchgeht; an einer Stelle, wo

ein großes Stück Goldgrund fehlte, steht der neue
Engel zur einen Hälfte auf dem alten punzierten Gold-
grund, zur anderen auf dem neu eingesetzten glatten
Goldgrund. Endlich sind auf zumeist erneuertem
Goldgrund in die Zwickel der Wimperge, dem Ge-
fühl eines horror vacui folgend, ganz neue Figuren
aufgemalt, die Madonna mit Kind, die Krönung der
Maria, die vier Evangelisten. Die ganze Übermalung
ist keineswegs sehr fein, gar nicht im Anschluß an
die glatte, sorgsam vertreibende Art des beginnenden
15. Jahrhunderts gehalten, sondern breit und fett,
butterig und oft ziemlich derb. Die Typen, zumal
der Engel, sind wenig erfreulich, grobe Gesichter mit
auffallenden Nasen, oft an die häßlichen Köpfe des
Meisters von St. Severin erinnernd. In dem kalten
Tageslicht wird die gewisse Flüchtigkeit der breiten
Übermalung, die von mittelalterlicher Malweise so
gar nichts an sich hat, jetzt doppelt deutlich. Es
kann kaum mehr ein Zweifel sein: auch hier haben
wir es mit einer neueren Übermalung zu tun.

Wann diese gründlichen Übermalungen ausgeführt
worden sind? Alles spricht dafür, daß sie erst aus
dem 19. Jahrhundert stammen. Im Jahre 1804 war
der Altar durch Boisseree aus der im Abbruch be-
findlichen Klosterkirche von St. Ciaren gerettet und
dem Dom überwiesen worden. Sulpiz Boisseree
berichtet (Sulpiz Boisseree, Stuttgart 1862, I, S. 300),
daß Wallraf den Altar in St. Clara, wo er ihn anfangs
reklamiert, dem Verderben preisgegeben hatte, bis er
ihn während des Abreißens der Kirche glücklich fand
und rettete. In einem Brief an Friedrich Schlegel
vom 13. Februar 1811 schreibt er nur, daß das Werk
wegen der vielen überaus zarten, anmutigen Frauen-
köpfchen höchst erfreulich anzusehen sei. Im Jahr
1833 beschreibt Passavant den Altar schon ausführ-
lich, bemerkt und registriert die verschiedenen Hände;
er muß sich darnach wohl in dem heutigen Zustande
befunden haben, bis auf die Außenflügel, deren ver-
wahrlosten Zustand vierzehn Jahre später noch Kugler
hervorhebt. Also ist wohl die weitgehende Reno-
vierung in den Jahren zwischen 1804 und 1833
ausgeführt. Wir haben aber auch ein bestimmteres
Datum: in A. C. d'Hames Historischer Beschreibung
der berühmten hohen Erzdomkirche zu Köln, Köln
1821, S. 123, findet sich eine Erwähnung, daß in
der dritten Kapelle des Choreingangs der von dem
Chor des aufgehobenen Nonnenklosters der h. Clara
auf dem Berlich hierhin versetzte sogenannte gotische
oder altdeutsche Altar sich befinde, »dessen begonnene
Ausbesserung aber dermalen noch nicht beendet ist«.
Darnach dürfte es nun unschwer möglich sein, auch
die ausführende Hand selbst festzustellen. — Was nun
mit den Innenflügeln geschehen soll, das ist eine
Frage für sich — sie wird erst nach der sorg-
fältigsten Erwägung aller Umstände zu beantworten
sein. Das Domkapitel wird auch diese Frage selbst-
verständlich in der gewissenhaftesten Weise prüfen.

Wir haben hier vielleicht einen der merkwürdigsten
Fälle von Täuschung durch Massensuggestion vor
uns. Alle die begeisterten Lobpreisungen von Kugler,
Förster, Schnaase an bis auf den heutigen Tag gelten
 
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