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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Clemen, Paul: Der Clarenaltar im Kölner Dome: eine Revision
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https://doi.org/10.11588/diglit.5951#0076

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Der Clarenaltar im Kölner Dom

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im wesentlichen einem modernen Werke, einer Fäl-
schung! Es ist nur ein Palimpsest, den wir vor uns
hatten. Das echte Bild steckte unter dieser späteren
Haut. Der ganze Verlauf der Affäre erinnert an jenen
ersten großen Streit um den heiligen Rock in Trier,
bei dem sich auch zuletzt herausstellte, daß alle Argu-
mente pro und contra gar nicht der Reliquie selbst
galten, sondern nur der späteren Hülle, in der sie
verborgen war. Aber das war doch eine Hülle aus
historischer Zeit — und hier ist es eine ganz junge,
der weder ein besonderer künstlerischer Wert noch
die Bedeutung einer wichtigen historischen Urkunde
zukommt. Man möchte mit Dürer bekennen: »Und
dasjenige, was mir vor eilf Jahren so Wohlgefallen hat,
das gefällt mir jetzt nicht mehr — und wenn ichs
nicht selbst sähe, so hätte ichs keinem anderen ge-
glaubt«. Daß der Tatbestand nicht schon früher fest-
gestellt, das wird man niemand zum Vorwurf machen
können — eine genaue Beobachtung und Unter-
suchung der Flügel ist eben erst jetzt möglich ge-
worden.

Von Hermann Wynrichs eigenhändigen Arbeiten
am Clarenaltar bleibt nichts übrig. Was aber übrig
bleibt, das ist sehr viel wichtiger und wertvoller, als
was wir hier verlieren. Wir haben jetzt ein ganz
großartiges einheitliches Werk aus einer viel früheren
Periode vor uns. Der Altar ist, wie er uns jetzt er-
scheint, gegen das Jahr 1370 entstanden, sicher nicht
später, eher noch etwas früher. Alle Theorien von
dem Zusammenarbeiten eines älteren konservativen
Meisters mit einem jungen genialen Neuerer, dem
Erfinder oder Urheber des freien malerischen Stiles,
sind hinfällig. Das ursprüngliche Werk weist nur
einen Stil auf, den der reifen Kölner Gotik um 1370,
wenn auch wie bei den meisten ähnlichen im Atelier-
betrieb hergestellten Werken gleichzeitig verschiedene
Hände bei der Ausführung tätig waren. Die jetzt
freigelegten Köpfe stehen in Zeichnung und Behand-
lung den erhaltenen fünf alten Bruchstücken aus dem
Hansasaal in Köln, die sich im Museum Wallraf-
Richartz befinden (leider hat sie der letzte Direktor
des Museums ausflicken lassen — Abb. in Firmenich-
Richartz Neuausgabe des Merlo und in der Zschr. f.
christliche Kunst II, S. 139) so nahe, daß man sie
unmittelbar nebeneinander stellen möchte. Und wenn
man für diese die Urheberschaft des Meisters Wilhelm
als möglich einräumt, so ist nichts dagegen zu sagen,
daß man eben auch den Clarenaltar auf den Meister
Wilhelm tauft — und zwar auf den richtigen Wilhelm
von Herle. Man muß sich dabei nur gegenwärtig
halten, daß dieser Name Wilhelm nur eine Formel
und eine Abkürzung ist, unter der man sich geeinigt
hat, auch allerlei Anderes mit einzuschließen, wie
unter den Autorendecknamen Moses und Homer eine
ganze Anzahl anderer Individualitäten mit zusammen-
gefaßt sind. Es gab noch andere vielgenannte und
vielbeschäftigte Künstler in der gleichen. Zeit: die
Schreinsbücher nennen so einen Peter Groene von

1358 bis 1397, einen Hermann Heffenmenger von

1359 bis 1392, einen Johan Platvoys von 1361 bis
1400 — aber für Wilhelm von Herle spricht die

größere Wahrscheinlichkeit. Und wenn man nun
noch einmal das Argument seines plötzlich ge-
steigerten Reichtums um 1370 anziehen will: der
könnte dann auch ebensogut daher rühren, daß der
Künstler damals das Honorar für den Clarenaltar er-
halten hat.

Dieses großartige einheitliche Werk aus der Zeit
von 1370 gibt nun der ganzen älteren kölnischen
Malerei eine neue Bedeutung. Meister Bertram von
Minden, der bisher den Kölnern den Vorsprung ab-
gewonnen zu haben schien, tritt jetzt wieder in den
Hintergrund. Die Kölner Schule erscheint jetzt in
ihren Anfängen wirklich führend für ganz Deutsch-
land — ungefähr so, wie es jene ältesten noch halb
im Bann der Romantiker stehenden Kunstgelehrten
geträumt hatten. Die gereinigten unteren Darstel-
lungen auf der Innenseite der Außenflügel stellen in
ihrer delikaten Grazie und in der feinempfundenen
Führung der Umrisse der Qualität nach wohl das
Beste und Köstlichste dar, was die damalige Malerei
in Westdeutschland zu schaffen imstande war. In
den Köpfen wird man die etwas herbe Strenge gern
gegen die gemachte weichliche Liebenswürdigkeit des
modernen Übermalers eintauschen.

Zugleich ist nun eine geschlossene Entwicklungs-
reihe für die kölnische Malerei im ganzen 14. Jahr-
hundert gegeben. An der Spitze stehen die um oder
nach 1300 geschaffenen Wandmalereien in St. Cäcilia
in Köln. Dann folgten wohl nach 1425 — ich
möchte dies Werk jetzt doch etwas später ansetzen —
die Wandmalereien in St. Andreas, die ich im dies-
jährigen Jahresbericht der Provinzialkommission für
die Denkmalpflege der Rheinprovinz (XII, 1907,
S. 67) veröffentlicht habe. Dazwischen steht noch,
die Lücke ausfüllend, ein großartiger, erst in diesem
Sommer auf Kosten der rheinischen Provinzialverwal-
tung aufgedeckter Zyklus von Wandgemälden im Chor
der Kirche zu Marienhagen (von denen das Denk-
mälerarchiv der Rheinprovinz farbige Kopien besitzt).
Die Wandmalereien im Chor von St. Severin in Köln
schließen sich an. Die glänzendste Gesamtleistung
aber der Kölner Maler aus der Mitte des Jahrhunderts
sind die Malereien an den Chorschranken des Kölner
Domes, die wohl während der Begründung des Erz-
bischofs Wilhelm von Gennep (1349—1362) ent-
standen sind (vgl. eingehend Arnold Steffens in der
Zschr. f. christl. Kunst 1902, S. 129 ff. Große farbige
Aufnahmen von all diesen Werken habe ich seit
sechs Jahren für eine vorbereitete Veröffentlichung der
gotischen Wandmalereien der Rheinlande anfertigen
lassen). Und die Darstellungen aus dem Leben der
Madonna auf den Chorschranken stehen wieder den
den gleichen Stoff behandelnden Gemälden auf dem
Clarenaltar so nahe, daß man sie stilistisch als die
unmittelbare Vorstufe und Vorbereitung auf jene be-
zeichnen darf. So ist durch die merkwürdige Ent-
deckung des echten und ursprünglichen Clarenaltars
zugleich hier für das 14. Jahrhundert der Ring ge-
schlossen — in einer großartigen Folgerichtigkeit
steht die ganze künstlerische Entwickehmg, die auf
den Clarenaltar hinführt, jetzt vor uns.
 
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