Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

DOI Artikel:
Schmidt, James: "Staryje Gody": die Ausstellung von Gemälden alter Meister aus Privatbesitz in St. Petersburg
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5951#0099

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
i8l

»Staryje Gody«

182

Stellung stützten, trat hier in überraschend intimer Wirkung
mit einer Ansicht der Grande Galerie du Louvre entgegen.
Leopold Boilly zeigte sich als Luminarist von feinster Wir-
kung in zwei Stücken, kam aber in dieser Beziehung doch
nicht gegen das Cafe im Palais Royal von Taunay auf.
Greuze war mit einem Bauernbilde vertreten, in dem der reiche
landschaftliche Hintergrund ungewohnt erschien. Über die
relativen Qualitäten der russischen Bilder an dieser Stelle
zu sprechen, verbietet sich, es sei denn, daß man
ein Expose über die russische Malerei um die Wende des
18. zum 19. Jahrhundert gäbe, wozu der Platz mangelt.
Solange die europäische Kunstgeschichte diese reizende
Enklave ignoriert, kann auch über sie im Rahmen eines Aus-
stellungsberichtes nicht referiert werden. Die beiden Haupt-
meister, Lewizki und Borowikowski sind mit ihren besten
Stücken bereits oben anläßlich der Tribuna genannt worden,
nebenbei waren sie auch in Kabinetten trefflichst vertreten;
ihnen reihte sich Rokotow als Portätmaler würdig an, aber es
wäre verkehrt, die Russen nur nach ihren Leistungen im
Porträt zu beurteilen. In der Landschaft waren die Brüder
Schtschedrin hochbedeutend, wovon Sylvesters Ansicht der
Engelsburg und noch mehr seine anspruchslose italienische
Fischerbarke Zeugnis ablegen konnten. Auch die heimische
Natur blieb in ihren malerischen Reizen jener Maler-
generation nicht verschlossen, woran es später so sehr
gefehlt hat, das bewiesen die Petersburger Veduten von
Worobjbw. Bei Fedötow springt die sozialsatirische Tendenz
seiner ausgeführten Bilder stark in die Augen, aber in seinen
Studien, wie dem lesenden Mädchen, erwies er sich als
trefflicher Beobachter voll malerischen Empfindens. Wenn
Alexander Iwanow sein Leben nicht an eine fruchtlose
Theorie verschwendet hätte, müßte er zu den malerischsten
Großen des 19. Jahrhunderts zählen. Leider ist man darauf
angewiesen, diesen Schluß aus seinen Studien und Entwürfen
zu ziehen, deren Zahl Legion ist, aber gern gäbe man sein
akademisch gemachtes einziges Werk, die Predigt des Täu-
fers im Moskauer Rumiänzowmuseum, für weitere Dutzende
seiner Studien, wie die Knabenakte von fast impressio-
nistischer Wirkung, die die Ausstellung als Inedita brachte.
Dem einen der beiden italienischen Kabinette gaben die
beiden Tiepoli die Signatur, neben ihnen kam Guardi mit
einer Ansicht eines Hofes in Betracht. Für eine bezeichnete
Madonna von Cima, deren Typus mehrfach vorkommt,
hätte man einen besseren Platz gewünscht. Eine sitzende
Frau aus der Galerie Jussupow war viel umstritten; so-
wohl für Lotto wie für Palma, wie für einen anonymen
Lombarden wurde gefochten. In dem letzten Kabinett des
unteren Stockwerkes war des guten Lichtes wegen eine
illustre Gesellschaft versammelt worden: eine Verspottnng
Christi von Nicolaes Maes; noch ganz rembrandtisch hell-
dunkel gehalten, ein spanisches Kreuzigungstriptych des
16. Jahrhunderts von seltener Flüssigkeit des Vortrages;
ein holländisches Gruppenporträt, das zu den vorzüglich-
sten Werken dieser Klasse gehört und doch bis zur Stunde
ein Rätsel für die ersten Autoritäten bezüglich seiner Her-
kunft geblieben ist.

Die Kabinette des Oberstockes waren den nieder-
ländischen Schulen eingeräumt worden. Gleich im ersten
Räume begrüßten den Eintretenden zwei ausgezeichnete
Männerporträts. Das eine war eine bezeichnete und datierte
Arbeit des Jan van Neck, ob die Bezeichnung Franchoys
für das zweite, außerordentlich nobel behandelte, haltbar
bleibt, ist abzuwarten. Verfrüht erschien die Bezeichung
eines ausdrucksvollen Frauenbrustbildnisses alsPourbus d. Ä.
Das anstoßende Kabinett gab mit seinen roten Wänden
den repräsentativen Porträts der Netscher und Konsorten
eine vortreffliche Folie. Sein Hauptstück bildete ein als
Ganymed drapierter Knabe von Maes, bezeichnet und

datiert, von saftigster Farbengebung. Die Landschaften
herrschten in den beiden nächsten Sälen durchaus vor.
Jacob van Ruisdael war nicht besonders gut vertreten, un-
gleich besser Solomon, ganz vortrefflich Jan van Goyen mit
einer ganzen Reihe charakteristischer Stücke. Eine Marine
von A. v. Eertveldt gehörte zu den bedeutendsten Stücken
der Ausstellung. Von Albert Cuyp und Jan Siberechts gab
es je ein anziehendes Kabinettstück; diese Bezeichnung
verdiente auch eine ziemlich große unstaffierte Landschaft
von Isaak van Ostade. Mit Adrian passierte auf der Aus-
stellung der seltene Fall, daß die drei duftig-farbigen,
durch prächtiges Licht auffallenden, mit vollem Namen
bezeichneten Stücke seiner Hand von den Besitzern als —
Pieter Quast (!) bezw. Cornelis Bega (!) hergeliehen worden
waren. Man sieht, das System der Ablehnung der Besitzer-
taufen kann auch für die Besitzer selbst zu angenehmen
Resultaten führen. Ein in Petersburger Sammlerkreisen viel
besprochenes Bild, ein Sündenfall von Abr. Bloemaert kam
durch die Ausstellung zu neuer Anerkennung. Skeptisch wurde
man dagegen gegen eine Studie zu einer Beweinung Christi
gestimmt, die bisher als unbestrittener Rubens galt. Auch
zwei weitere Skizzen, die unter Rubens Namen im Schlosse
von Gatschina aufgetaucht waren, begegneten vielfachen
Bedenken und wurden als Schülerarbeit katalogisiert. Auch
hier bleibt die Diskussion abzuwarten. Für ein wunderbares
Knabenbildnis von höchsterMeisterschaft wußten auch unsere
besten Kenner keinen Namen zu finden. Schließlich ist noch
ein Pieter de Hooch zu erwähnen, der, obwohl schon der
zweiten Periode angehörend, in der Beleuchtung sehr ange-
nehm war. Der schmale Verbindungsgang zwischen den bei-
den oberen Galerien war zu einer Porträtgalerie sehr hübsch
und geschickt ausgestaltet worden. Wieder war es Maes,
der überhaupt auf der Ausstellung in seiner ganzen Proteus-
nalur gut zu studieren war, der die Aufmerksamkeit durch
ein genrehaftes, ä la Rembrandt gemaltes Knabenporträt
fesselte; dieser in Gelb und Rot gekleidete, an ein Gitter
gelehnte etwa achtjährige Knabe ist wohl Retnbrandts Sohn
Titus. Die übrigen Bildnisse waren großenteils holländischer
Herkunft. Als Seltenheiten waren die signierten Porträts
von Stom und Langenouwer und eine dilettantisch an-
mutende Genreszene, bezeichnet »K-yckenburgh« zu
nennen. Auf wessen Diagnose hin ein schwer zu rubri-
zierendes Familienbild als Meyborch katalogisiert war, ist
mir unbekannt. In dem anstoßenden Kabinett konnte man
wieder sehen, welch heterogene Stücke unter dem Namen
Herri met de Bles zusammengefaßt werden. Woher wurde
dabei das unzweifelhafte Stück Haßler getauft? Eine groß-
zügige Berglandschaft wird auf den Namen Josse de Momper
noch des näheren zu prüfen sein. Etwas deplaciert
an dieser Stelle erschien eine wunderbar zart duftige Eis-
landschaft mit Schlittschuhläufern von Aert van der Neer,
sehr schön monogrammiert und 1642 datiert. Eine Anzahl
Niederländer des 16. Jahrhunderts gaben die Hauptstücke
des nächsten Raumes ab, darunter die wunderbare Ent-
hauptung der hl. Katharina, von seltener Reinheit und Fein-
heit der Empfindung; sie gehört nach Friedländer und
Huhn de Loo (mündliche Mitteilungen) einem Brüsseler
Meister um 1520. Wird man sich mit dieser unpersönlichen
Bestimmung auf die Dauer zufrieden geben müssen? Eine
Madonna des Meisters vom Tode Maria, die in dieser Re-
daktion noch mehrfach vorkommt, zog durch den Emailton
der Farben an. Als dekoratives Hauptstück der nun folgen-
den holländischen Trinkstube, die mit famosen Möbeln und
entzückendem Delft ausgestattet war, kam eine Kalydonische
Jagd mit lebensgroßen Figuren aus Rubens' Werkstatt zu
vortrefflicher Geltung. Trotz großer Ungleichheit in der
Mache (es war offenbar quadratellenweise von Kräften
verschiedensten Kalibers gepinselt worden) wirkte es außer
 
Annotationen