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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5951#0138

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259

Pariser Brief

260

Dumetz Verzicht leistete und einen blinden Knaben
die Katalognummern aus dem Kasten ziehen ließe, so
würde das Niveau durchaus das nämliche sein. Die
Stadt kauft besser ein als der Staat, vielleicht weil
sie nicht so viele notleidende Künstler zu versorgen
hat. Der Staat ist von vornherein dazu verpflichtet,
für die aus der staatlichen Kunstschule hervorgegangenen
und mit Staatspreisen bedachten Künstler zu sorgen,
die Stadt hat solche Verpflichtungen nicht. Der Staat
muß den Wünschen der neunhundert Senatoren und
Deputierten Rechnung tragen, die Stadt wird nur von
achtzig Stadtverordneten gequält. Endlich wird der
Staat viel stärker von der Tradition beherrscht als die
Stadt. Der Staat meint zum Beispiel, der gute Ruf
Frankreichs erfordere dem Auslande gegenüber, daß
der Besuch der Museen unentgeltlich bleibe, und
trotz der fortwährenden Finanznot kann er sich nicht
zur Einführung eines Eintrittsgeldes entschließen, das
doch ganz vernünftig und angezeigt wäre, zumal wenn
man gewisse Tage der Woche frei ließe und so auch
den Unbemittelten die Möglichkeit des Besuches gäbe.
Die Stadt hat im Januar des gegenwärtigen Jahres
die Neuerung eingeführt, daß ihre Museen nur noch
zahlenden Besuchern geöffnet sind, abgesehen von den
Sonntagen und Donnerstagen. Dieser letztere Tag
ist deshalb gewählt worden, weil die französische
Jugend nicht wie die deutsche den Mittwoch und
den Samstag Nachmittag, sondern dafür den ganzen
Donnerstag frei hat. Um also den Schülern den
Besuch der Museen zu ermöglichen, wird am Donners-
tag kein Eintrittsgeld verlangt, und damit auch die
arbeitende Bevölkerung etwas von den Museen habe,
ist der Sonntag freigegeben.

Auf die Arbeiter ist auch die andere Neuerung
berechnet, von der am Eingange dieses Briefes die
Rede war. Der Stadtrat hat beschlossen, vom Januar 1909
an gewisse städtische Museen auch an einigen Abenden
der Woche zu öffnen, und wahrscheinlich wird das
nicht nur den Arbeitern, sondern auch den fremden
Besuchern von Paris sehr willkommen sein. Mancher
geht vielleicht lieber in das Petit Palais oder auch
in das Musee Carnavalet als in die Folies Bergere
oder in den Moulin rouge. Dieser Abendbesuch der
städtischen Museen soll dann noch besonders an-
ziehend gemacht werden, indem bekannte Kunst-
gelehrte das Publikum führen und die Kunstwerke
durch ihre Erläuterungen beleben sollen. Die Herren
Clermont-Ganneau, der seinerzeit den offiziellen Bericht
über die falsche Tiara des Saitaphernes abfaßte, Roujon,
Emil Michel, die Kunstschriftsteller Arsene Alexandre,
Gustav Geffroy, Armand Dayot, der Verfasser des
modernen französischen Peintre-Graveur Henry Beraldi
und andere bekannte Kunstverständige werden sich dieser
Führung und Erläuterung unterziehen, also daß diese
Abende ebensoviel Genuß wie Belehrung bieten werden.

Das Ereignis des Kunstmarktes war die Versteigerung
der Sammlung des Zuckersieders Henry Say. Man
muß bei dieser Gelegenheit wieder und wieder darauf
hinweisen, wie groß in allen Klassen des französischen
Volkes die Freude an schönen Dingen und an Kunst-
werken ist. Weder in Deutschland und England,

noch viel weniger in den Vereinigten Staaten kann
man etwas Ähnliches konstatieren, obgleich in diesen
Ländern heutzutage große Vermögen leichter, schneller
und häufiger zusammengebracht werden als in Frank-
reich. Hie und da gibt es ja auch einmal einen
deutschen, englischen oder amerikanischen Fabrikanten
oder Großkaufmann, der einen Teil seines jährlichen
Gewinnes für Kunstwerke ausgibt, aber die Regel ist
doch, daß so ein Mann sich auf die zur »standes-
gemäßen« Ausschmückung der Wohnung nötigen
Bildnisse und Gemälde beschränkt. Besten Falles
protegiert die Gattin Kunst und Künstler, und der
Gatte begnügt sich damit, mehr oder weniger leise
knurrend die gewünschten Gelder herzugeben. Nur
äußerst selten sammelt ein solcher Mann mit wirklicher
Liebe und wahrem Verständnis. In Frankreich dagegen
ist es beinahe die Regel, daß der reiche Mann sich
auch auf Kunst versteht, aber wirklich und tatsächlich
darauf versteht, also daß er nach seinem eignen Urteil
und Geschmack eine schöne Sammlung erwerben
kann. Und es sind nicht nur die reichen Leute, die das
fertigbringen. Vor zwölf Jahren wohnte ich in Rouen
in einem bescheidenen Gasthause, dessen sämtliche
Wände mit impressionistischen Bildern behängt waren.
An die zweihundert Gemälde von Claude Monet,
Pissarro, Sisley usw. füllten und schmückten das
Haus. Der Gastwirt legte seine Ersparnisse nicht in
Staats- oder Industriepapieren, sondern in Gemälden
an. Wo gibt es einen solchen Gastwirt in Deutsch-
land, England oder Amerika? Vor vier oder fünf
Jahren kam die Sammlung eines Apothekers unter den
Hammer. Auch dieser Mann hatte einige hundert
impressionistische Bilder erworben zu einer Zeit, wo
Claude Monet froh war, seine Bilder für hundert
Franken zu verkaufen.

Die großen Kaufhausbesitzer Chauchard undjaluzot
haben beide riesige und höchst wertvolle Kunstsamm-
lungen aufgehäuft. Als der Zuckersieder Cronier
bankrott machte, erzielten seine Bilder mehr als eine
Million, und der vor einigen Monaten verstorbene
Nudelmüller Groux hinterließ eine Gemäldesammlung,
die auf zehn bis zwanzig Millionen Wert geschätzt
wird. Jetzt hat man die Sammlung des Zuckersieders
Say versteigert, und sie hat 1300000 Franken ge-
bracht. Wo sind die deutschen Zuckersieder und
Nudelmüller, die Millionen in Bilder stecken? Ich
glaube, es ist wirklich wahr, was man uns immer
erzählt: die Franzosen sind kultivierter als wir. Bei
uns ist. für den reichen Mann die Kunst nur ein
überflüssiges Anhängsel, das man sich anschafft, wie
man seinem Kutscher eine Livree bauen läßt. Wie
diese Livree zeigen die Bilder und Skulpturen in der
Wohnung an, daß man es hier mit feinen und reichen
Leuten zu tun hat. In Frankreich aber ist die Kunst
wirklich ein Bedürfnis, und der reiche Franzose schafft
Kunstwerke an, weil er ihrer wirklich bedarf, und vor
allem, weil er ihre Schönheit wirklich versteht, weil
er aus ihrem Besitze nicht nur die Befriedigung seiner
Eitelkeit, sondern weit höhere und schönere Genüsse
gewinnt, von denen sein deutscher Klassengenosse
nur in den seltensten Fällen eine Ahnung hat.
 
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