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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.5951#0232

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Vermischtes

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Fall noch in den Anfängen, aber schon sind die ersten
Entscheidungen gefallen, und sie mahnen zu ernstester
Betrachtung. Vor allem zeigt sich bereits wieder das alte
Leid: die private Bautätigkeit tut ihre Schuldigkeit, die
offizielle versagt völlig. Die neu entstehenden Gebäude
der Bismarckstraße nehmen Charakter und Geschmack an.
Gleich nach dem »Knie« grüßt zur Linken das Charlotten-
burger Schillertheater von Littmann und Heilmann, das
zwar nicht eigentlich berlinisch, sondern ausgesprochen
münchnerisch dreinschaut, das aber das Problem einer
volkstümlich-festlichen Architektur so geschickt löst, daß es
als eine hohe Zierde der Straße gelten darf. Daneben er-
heben sich Albert Geßners Mietshäuser, die zum ersten-
mal die komplizierte Aufgabe moderner Riesenwohnstätten
für viele hundert Menschen mit den verschiedenartigsten
Lebensgewohnheiten und-Bedürfnissen wirklich lösen. Und
weiter fort steigen ununterbrochen aus wüstem Gelände,
zwischen leeren Baustellen, älteren Ornamentklebefassaden
und kahlen Brandmauern, die der Durchbruch der Bis-
marckstraße freigelegt hat, andere Wohnhäuser auf, bei
denen die modernen Prinzipien der Einfachheit im
einzelnen, der schlichten Zusammenfassung der Bau-
massen, des ruhigen und diskreten Schmuckes nach
Geßners bahnbrechendem Vorgang zur Anwendung ge-
bracht sind. Das sieht sich ganz hübsch an. Selbst
ein kleines Wirtshaus, das nun schon jenseits der
letzten bisher eröffneten Untergrundbahnstation: der Halte-
stelle am neuen »Reichskanzlerplatz«, am Beginn des
heute noch unbehelligten Waldbestandes liegt, fügt sich
diesem geschmackvollen Stil glücklich an. Die Zugänge
zu der Untergrundbahn selbst, die in gemessenen Zwischen-
räumen die breite Mittelallee unterbrechen-, haben durch
Alfred Grenander die gleiche sachlich-wohltuende und
schmucke Ausgestaltung erfahren wie in der Stadt. Aber
nun kommt die »offizielle« Architektur, und was sie bisher,
im Tiefbau wie im Hochbau geleistet hat, ist mehr als be-
denklich. Die Überführungen der Straße in der Havel-
gegend sind völlig mißlungen und jeder monumentalen
Wirkung bar. Die neue Brücke über den Land wehrkanal aber,
die, noch vor dem Knie, beim Eintritt in Charlottenburg sich
findet, ist wie ein Hohn auf alleWünsche und Beschwörungen
der Kunstfreunde, im Städtebau endlich mit den Mittelmäßig-
keiten aufzuräumen. Über einen trägen, schmalen, künstlichen
Wasserlauf ist eine Brücke geführt, die an Breite, Wucht,
Massivität und Pomphaftigkeit der architektonischen Geste
so aussieht, als ströme unter ihr die Themse oder min-
destens die Isar. Riesige Pylonen im konventionellsten
Sandsteinstil tragen elektrische Bogenlampen, ein schema-
tisches Propyläentor ohne jede Feinheit der Gliederung
soll dem, der Charlottenburg betritt, »festlichen Gruß ent-
bieten«, und vor seinen Pilastern nach der Berliner Seite hin
sind zwei Statuen des ersten preußischen Königs Friedrich I.
und seiner Gemahlin Königin Sophie Charlotte aufgestellt,
die das Tollste sind, was die wildgewordene norddeutsche
Denkmalskunst unserer Zeit sich je geleistet hat: kolossale
Bronzefiguren, aber wie vergrößerte Porzellanmenschlein
gearbeitet, die, starr und steif, in korrekten historischen
Kostümen stecken, von ungeheuren Bronzehermelinmänteln
umwallt, welche in genialem Faltenwurf über die Steinsockel

herunterfallen!! Die Namen des Architekten wie des Bild-
hauers, die hier also gehaust, seien freundlich verschwiegen.
Natürlich mußten durch die Erhöhung des Auffahrtsterrains
die hübschen alten Oktroihäuschen fallen, die früher, weit
charaktervoller, schöner und passender die Grenze von Berlin
und Charlottenburg kennzeichneten. Dabei ist die Straße
selbst unnütz zerschnitten, so daß trotz der Breite der
Brücke der Verkehr sich hier nicht ohne Zwang abwickeln
kann. Auch sonst ist übrigens die Anlage der Straßen-
wege selbst verfehlt. Statt breite Bürgersteige zu beiden
Seiten einen breiten Fahrdamm einrahmen zu lassen, hat
man die schöne Straße wieder nach schlechtem altem Ber-
liner Beispiel in viele Streifen zerschnitten: Seitenfahr-
dämme, Reilweg, Blumenbeetanlage, eingefaßter Schienen-
weg für die elektrische Bahn usw. So hat man eine groß-
zügige Verkehrsentfaltung doch wieder unterbunden. —
Wandert man aber über den Reichskanzlerplatz hinaus,
die Dünenhügel des beginnenden Grunewalds hinauf und
hinunter und biegt man rechts ab, so gelangt man zu einer
Anlage, die Berlin als einen großen Gewinn einstellen darf:
zu der neuen Grunewald-Rennbahn, die Geh. Baurat
Otto March hier aus dem Boden gezaubert hat. Das ist
mehr als ein Tummelplatz der Renngläubigen, Pferdekenner
und Wettexperten, es ist die geniale Schöpfung eines
Architekten und Organisators großen Stils. Logik und
Zweckmäßigkeit verbinden sich mit Schönheit und Heiter-
keit; das Sachliche ist aus seinen hier recht komplizierten
Bedingungen ohne Umschweif und Umweg zum Anmutigen
geworden. Alle gesunden neuen Gedanken, die unsere
Baukunst und unser Kunsthandwerk befruchtet haben, finden
dabei ihren Niederschlag: bei den Tribünengebäuden, die
sich auf einem Hügelrücken hinziehen, bei den kleineren
Baulichkeiten, die der Verwaltung, der Wage, der Gärtnerei
dienen, bei dem stattlich-behaglichen Restaurant, das der
Münchener Maler Paul Adolph Schmidt launig ausgemalt
hat, bei der gärtnerischen Anordnung des »Geläufs«, des
»dritten Platzes«, der inmitten der Bahn liegt, und zu
dem der Zugang durch Tunnelgänge unter dem grünen
Rasen her führt, bei der reizvollen Gruppierung der
Stallgebäude, welche von jenseits der Bahn, wie die
Häuser eines Dörfchens zu einer Stadt, zu Tribünen und
Restaurant heruntergrüßen, bei dem kaiserlichen Pavillon,
der am Ende der Bahn in Form eines Empire-Park-
tempelchens errichtet ist, und von dem aus man das Ganze
überblicken kann. Alles schließt sich zu einem ausgezeich-
neten Organismus von Einheit und Anmut zusammen.
Und vom Dach der Tribünen übersieht man ein grünendes
Parkrevier von froher Lebenslust.

Bei Agnew in Berlin sind wiederum einige recht
gute alte Bilder zu sehen. Dem hack van Ostade gehört
wahrscheinlich eine große, im Helldunkel ungemein nuancen-
reiche Landschaft, die früher Ruisdael zugeschrieben wurde.
Ferner ist ein Hobbema zu nennen, Gehöft mit Bäumen.
(Das Bild befand sich früher in der Sammlung Suermondt
in Aachen.) — Von französischen Bildern des ig. Jahr-
hunderts seien erwähnt eine große Herbstlandschaft (si-
gniert und 1867 datiert), sowie eine kleine Flußlandschaft in
Abendbeleuchtung von Daubigny und mehrere charakte-
ristische Corots. H.

Inhalt: Das Hetjens-Museum in Düsseldorf. Von Walter Cohen. — Der Salon der Societe nationale. Von Karl Eugen Schmidt. — Zur Frage der
Wiederbesetzung der Stelle des zweiten Direktors am Oermanischen Museum in Nürnberg. Von Freiherr von Kress. — Personalien. —
Wettbewerbe: Gemäldegalerie zu Reichenberg in Böhmen; Synagoge in Görlitz; Bebauung der Bennigsenstraße in Hannover; Geschäfts-
haus der Oldenburgischen Spar- und Leihbank; Marktplatz zu Herne i. W. — Denkmalspflege in Hessen. — Virchow-Denkmal in Berlin;
Pichler-Denkmal in Innsbruck; Bechstein-Denkmal in Meiningen. — Ausgrabungen in Pagasai. — Ausstellungen in Straßburg u. Magdeburg;
Ausstellungskommission des Verbandes deutscher Illustratoren. — Sammlung des Kunst- und Altertumsvereins in Koblenz; Das Römisch-
germanische Zentralmuseum in Mainz; Institut für Kultur- und Universalgeschichte in Leipzig; Augsburger Maximilian-Museum. — Stiftung
für die Akademie der Künste in München. — Verein deutscher Ingenieure. — Verkauf der Gemäldesammlung König Leopolds.; wieder-
auffindung der Madonna des Giovanni Bellini; Die große neue Berliner Heerstraße; Bilder bei Agnew in Berlin. _

Herausgeber und verantwortliche Redaktion: E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13
Druck von Ernst Hedrich Nachf. o. m. b. h. Leipzig
 
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