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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Woermann, Karl: Ludwig Justis "Giorgione"
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https://doi.org/10.11588/diglit.5951#0266

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Ludwig Justis »Giorgione«

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der spätere Oiorgione bisher vielfach verkannt wurde,
namentlich von Crowe und Cavalcaselle und von Morelli,
die nur den quattrocentistischen jungen Oiorgione aner-
kannt haben, gehört zu den Hauptsätzen, die Justi verficht.
Doch weist er an anderer Stelle mit Recht darauf hin, daß
die von Morelli anerkannten Bilder des Meisters sich doch
über dessen ganze Schaffenszeit verteilen. Natürlich handelt
es sich bei der Beweisführung Justis um die Heranziehung
einer ganzen Anzahl von Bildern, die die neuere Kunst-
geschichte bis auf Herbert Cooks »Giorgione« dem Meister
abgesprochen hatte, während sie hier, der Entwicklungs-
folge zwanglos und großenteils überzeugend eingereiht,
nicht nur einander stützen, sondern auch das Gesamtbild
seines Schaffens vervollständigen und klären wollen. Die
Bilderbestimmungen nehmen daher auch in Justis Buch
den Hauptraum ein und die richtige Feststellung des Ge-
samtwerks Giorgiones steht im Mittelpunkte aller seiner
Untersuchungen.

Von den Hunderten von Bildern, die noch in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts Giorgiones Namen trugen —
sein kurzes Leben hätte sicher nicht ausgereicht, sie alle
zu malen — gingen aus der Forschung Cavalcaselles und
Morellis, die weit öfter am gleichen Strange zogen, als
Morellis Angriffe gegen Cavalcaselle vermuten ließen, nur
äußerst wenige als anerkannte Werke des Meisters hervor.
Crowe und Cavalcaselle nannten, von den zerstörten Fresken
in Venedig abgesehen, nur 11 Bilder als zweifellose Ar-
beiten Giorgiones. Morelli strich noch 6 von diesen Bil-
dern, fügte aber 14 andere hinzu, erkannte also 19 Bilder
des Meisters an. Von diesen 19 strich Berenson (Venetian
Painters, 3. Aufl., 1897, S. 100) wieder 4, fügte aber 2 hin-
zu, so daß 17 echte Bilder Giorgiones übrig blieben. Am
weitesten in der Aberkennung ging später Wilh. Schmidt
(im Repertorium 1908, S. 115), der eigentlich nur 7 Bilder
als eigenhändige Werke des großen Venezianers gelten
läßt, und unter ihnen obendrein eines, das Wiener Akadeniie-
bild, das von den übrigen Kennern überhaupt nicht ge-
nannt wird. Von jenen 19 Morellischen Bildern Giorgiones
aber will Gronau in seinen neuen trefflichen »Studien zu
Giorgione« (Repertorium 1908, S. 403 ff.) 2 nur als Kopien,
1 überhaupt nicht gelten lassen, fügt jedoch 2 als Kopien
nach verlorenen Originalen, 2 andere als ganz oder teil-
weise eigenhändig hinzu, nennt also im ganzen 18 eigen-
händige Bilder des Meisters. Ich darf wohl hinzufügen,
daß auch ich mich in Woltmanns und meiner »Geschichte
der Malerei« vor 25 Jahren recht zurückhaltend verhielt.
Als unbedingt echt ließ ich 12 Bilder Giorgiones gelten,
von denen eines inzwischen als Schöpfung seines Schülers
Morto da Feltre erkannt worden; aber ich bestritt auch
keineswegs die Echtheit von 4 anderen Bildern, die zwar
nicht von Morelli, jedoch von Crowe und Cavalcaselle an-
erkannt wurden und von Cook und Justi alle Giorgione
zurückgegeben worden sind. Man sieht, daß die For-
scher, die unter dem Einflüsse von Morelli und von
Crowe und Cavalcaselle standen, 16—19 Bilder Gior-
giones gelten ließen. Einen völligen Umsturz dieser An-
schauungen, verbunden mit einem völlig neuen Aufbau des
Lebenswerkes des Meisters, brachte dann Herbert Cooks
1904 erschienener Band über Giorgione. Cook erkannte
nicht nur fast alle Bilder als echt an, die einerseits Morelli,
anderseits Cavalcaselle ihm gelassen, und die die alten
italienischen Schriftquellen, wie Michiel (Anonimo Morel-
liano), Vasari und Ridolfi ihm zugeschrieben hatten, son-
dern fügte namentlich aus englischen Sammlungen noch
eine ganze Reihe von Bildern hinzu, die bisher noch nie-
mals Giorgione zugeschrieben worden waren. Cooks Ver-
zeichnis seiner Werke enthält 45 Bilder, die er unbedingt,
22 fernere Bilder, die er frageweise als eigenhändige Werke

Giorgiones anerkennt oder doch als Kopien nach ver-
lorenen Originalen auf ihn zurückführt, im ganzen also
67 Nummern!

Auch Venturi hat Giorgione neue Bilder zugesprochen
und andere abgesprochen, kann hier aber, da er sich, wie
Burckhardt-Bodes »Cicerone«, hauptsächlich nur über die
in Italien gebliebenen Bilder des Meisters äußert, nur
beiläufig erwähnt werden.

So stand die Giorgionefrage, als Justi sein Werk vor-
bereitete. Der Pflicht, wenn er ein neues Verzeichnis der
Werke Giorgiones aufstellen wollte, alle Bilder, die ihm
zugeschrieben wurden oder zugeschrieben werden könnten,
selbst aufzusuchen und aufs neue zu untersuchen, war er
sich von Anfang an bewußt; und er hat offenbar weder
Zeit noch Mühe noch Kosten gescheut, ihr im weitesten
Umfange nachzukommen. Seine frischen, anschaulichen
Beschreibungen und Schilderungen der Gemälde machen,
auch soweit sie nicht nachgeprüft werden konnten, einen
recht überzeugenden Eindruck. Justi ist zwar der An-
sicht, daß Cook denn doch zu viele Bilder mit Giorgiones
Namen in Verbindung gebracht, berichtet auch, daß Cook
selbst seither eine Reihe seiner Taufen zurückgezogen habe;
und dementsprechend streicht er etwa 14 von den Bildern,
die Cook ihm unbedingt zuschrieb, völlig und drückt bei
anderen leichte Zweifel aus. Selbst aber fügt Justi teils als
nicht oder nur leicht zu bezweifelnde Originale, teils als
Kopien, teils als »Ausstrahlungen« so viele neue Werke
hinzu, daß sein Gesamtverzeichnis der unbedingt oder be-
dingt auf Giorgione zurückgeführten Bilder noch erheblich
umfangreicher ist, als das Cooksche. Sein Abbildungsband
enthält zwar auch nur 67 Tafeln; aber sein Ortsverzeichnis
am Schlüsse dieses Bandes umfaßt, selbst nach Abzug der
wenigen hier verzeichneten Bilder, die Justi völlig ausge-
schaltet sehen will, doch noch ungefähr 90 Nummern, die
er zu Giorgione in nähere oder fernere Beziehung setzt.

Indessen werden wir gut tun, uns zunächst nur an die
Gemälde zu halten, die Justi selbst als gesicherte, eigen-
händige Werke bezeichnet. Als solche nennt er in dem
Verzeichnis des ersten Bandes (S. 278, 279), das sie ihrer
Entstehungszeit nach ordnet, von den untergegangenen
Fresken abgesehen, doch nur 32; und auch von diesen
fallen bei genauerem Zusehen noch 7 aus; denn in bezug
auf den »Sturm« der Akademie zu Venedig, den Caval-
caselle und Morelli Giorgione absprachen und selbst Cook
nicht beurteilen zu können erklärte, wird doch zugegeben,
daß drei verschiedene Hände in ihm sichtbar und selbst
die von Giorgione herrührenden Stellen von Bordone über-
malt sind. In bezug auf die »Pietä« in Treviso, die hier
zum ersten Male, seit Crowe und Cavalcaselle sie be-
seitigt, wieder unter Giorgiones Werken erscheint (selbst
Cook erwähnte sie nicht einmal), wird ein annähernd ähn-
licher Zustand festgestellt. Vier andere Bilder, die in diesem
Verzeichnis als unbedingt echt erscheinen, der »David« in
Wien, der »Hirtenknabe« in Hampton Court, der »Bravo«
in Wien und der »Fugger« in München, werden im Text
und selbst neben ihren Abbildungen im zweiten Bande
doch nur mit Vorbehalten auf Giorgione zurückgeführt;
und in bezug auf das erst von Justi nachgewiesene, aber
auch wirklich nachgewiesene Selbstbildnis in Braunschweig
wird es doch als wahrscheinlich hingestellt, daß es nur
eine Kopie nach dem verlorenen Originale sei. Es bleiben
demnach doch nur 25 Bilder übrig, die Justi selbst für un-
bedingt echt und eigenhändig erklärt.

Es ist mißlich, einem verdienten Fachgenossen, der
die Mühe nicht gescheut hat, ehe er an die Ausarbeitung
seines Buches ging, Hunderte von Bildern, die in ganz
Europa verstreut sind, aufzusuchen und zu vergleichen,
vom Schreibtisch aus vorzurechnen, in welchen Fällen man
 
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