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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — 5.1889

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Heft 11
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Koopmann, W.: Zur Stilfrage
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https://doi.org/10.11588/diglit.3586#0188

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Zur Stilfrage.

bisher erzielten Fortschritten des Kunstgewerbes
Fühlung zu behalten; sie ist unselbständig im
Urteil, schwach gegenüber der Aufdringlichkeit
geringer Ware mit bestechender Anßenseite.

Es ist die Schattenseite nnserer erleichterten
Verkehrsverhältnisse, daß die Erzeugnisse einer
marktschreierischen Schwindelindustrie ebenso
leicht Verbreitung finden, wie solide Arbeit.
Die geringe Ware ist zunächst billig, dann schent
der Verfertiger kein Mittel, um zu täuschen.
Das Reklamewesen der großstädtischen Zeitungen
findet in der Provinz gelehrige Nachahmer und
diskreditirt den gesunden Gewerbefleiß. Wer
mit der Leichtgläubigkeit der Leute rechnet,
tänscht sich nie, und täglich machen die Händler
die Erfahrnng, daß jede Reklame hilft.

Der selige Barnum hatte noch den Grund-
satz, daß man nur dann die Lärmtrommel rühren
dürfe, wenn man wirklich etwas Tüchtiges leisten,
anbieten konne. Dieser Grundsatz ist aber längst
aufgegeben; nichts ist sv schlecht, daß es nicht
durch Anzeigen und dnrch wohlwollende Be-
sprechungen in den Zeitungcn den Lcnten mnnd-
gerecht gemacht würde. So wird der gute Einflnß
der Gewerbeschulen nnd Museen auf das gründ-
lichste wieder gcfährdet. Aber auch vhne solche
Hemmnisse wird man erst allmählich auf ein allge-
mein verbreitetesVerständnis fürguteZierformen
rechnen dürfen. Jn der Musik si nd w ir selbständiger
im Urteil, weil musikalischerUnterricht schon lange
als selbstverständlich bei der Kindererziehung
angesehen wird. Die gnte Aufführung einer
klassischen Symphonie vermag eine vieltausend-
köpfige Znhörerschar zu befricdigen, selbst zu
begeistern, ohne daß ctwas Gemachtes in den
Beifallsänßernngen läge.

Gegenübcr den bildenden Künsten in ihren
kleinen wie in ihren großen Formen herrscht
ein allen gemeinsamer Mangel an Sachkenntnis,
von dem selbst die nicht ausgcschlossen sind, wclche
in dcr Tageslitteratur das Wort führen.

Vor einigen Jahren wurden die Kunst-
berichte der großen Berliner Zeitnngen, welche
in Veranlassung einer Kunstansstellung ge-
schrieben waren, in ihren wichtigstcn Urteils-
sprüchen knrz zusammengestellt, um zn beweisen,
daß die Ansichten einander diametral gcgeniiber
ständen und daß solche Kritik lediglich verwirren
und irre leiten müsse.

Wcnn der Kritik Sachkenntnis fehlt, sucht
sie ilire Stütze in Fachkreisen; sie verkündet
deshalb die Ansichl der produzirenden Fabrik-

besitzer, der tonangebenden Künstler, welche
dritten gegenüber nie vorurteilsfrei sein werden.
Eine weitere Folge ist die, daß die Kritik bei
der Beurteilnng von Kunstwerken sich innerhalb
einzelner Künstlerkreise bewegt; wer dcm Kreisc
angehört, ist sicher, daß er nicht übersehcn wird;
wer nicht znm Kreise gehört, ist nur vorhanden,
sofern er mehr oder niinder geistreichen Ein-
fällen die Gelegenheit bietet, an die Öffentlich-
keit zu gelangen. Die seltenen Ausnahmen von
der Negel verliercn sich in der Flut der täglichen
Berichte. So lange Kunstfreunde in ihrem Urteil
von der Zeitungskritik abhängig sind, wird es
dem talentvollen Streben schwieriger gemacht
als je, vorwärts zu kommen, namentlich, toenn
es mit dem Gefühl der eigenen Tiichtigkeit Ab-
neignng gegen das Lärmmachen verbindct. Dcr
geniale Erfinder steht über der Kritik, schon weil
dos wahrhaft Gnte geschäftlich zu verwerten ist
und in barc Münze umgesetzt werdcn kann.

Die materielle Unterstützung, deren die
Künste zu ihrem Gedeihen nicht entraten können,
gcwührten ihnen in früheren Jahrhundcrten der
Glanz der Fürstenhöfe nnd die Frömmigkeit
des unbeweibten Klerns; ansnahmsweise hat anch
srüher schon dcr Bürgerstand die Kunst nachhaltig
gefördert, wie die trotz ungebundener Lcbensweise
feinsinnigen Bewohner Althollands und dic
Wvllenweber und Strumpfwirker von Flvrenz
zur Zeit der Frührenaissance.

So große Dinge dnrch dcn Kunstsinn ein-
zelner Fürstcn und Bischöfe geschaffen sind, wenn
Kunstpstege vom Willen einer cinzelnen noch sv
mächtigen Person abhängig ist, wird sie lcicht
ein Spielball der Stimmungen und dcr Ränke.
Michelangelo wnrdc gezwungen, das Jnlins-
Denkmal liegen zu lasscn und die sixtinische
Decke zu malen, weil seine Neider hofften, daß
er als Maler den Ruhm wieder einbüßen wiirde,
der ihn als Bildhauer über alle seine Zeitgenossen
erhob. Der Mangel an allgemeiner Bildung im
Volk, welcher den Fürstcnhöfen und Klöstern
einst in allen Fragen der höhercn Kultur eine
herrschende Stellnng gab, verschwindct jetzt nach
und nach; mit allen Mitteln wird der Unter-
richt für alle Klassen der Bevölkerung gehoben.
Dadurch wird eine breite Grundlage gcwonnc»,
auf der alle Künste gedeihen können, für die
jeder eine geringere oder größere Begabung
von der Natur empfangcn hat. Die musikali-
schcn Bestrebungen unserer Zeit geben durch ein
Übermaß zu berechtigten Bedenken Veranlassung;
 
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