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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — 5.1889

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Heft 11
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Koopmann, W.: Zur Stilfrage
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https://doi.org/10.11588/diglit.3586#0189

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Von W. Koopmcmn.

167

ein cillgemein verbreitetes Verständnis fnr die
bildenden Künste muß gewonnen werden.

Beobochtet man an Sonn- und Feiertagen
die sich drängende Menge, welche den kostbaren,
aber oft unscheinbaren Jnhalt der Schränke in
den Gewerbemuseen vor sich sieht, oder welche
an Meisterwerken von Rubens und Rembrandt
vorübcrwandert, die um Hunderttausende er-
worben wurden, dann fragt man unwillkürlich,
ob all diese Herrlichkeiten den Nutzen stiften,
welcher ein erstes Motiv ihrer Erwerbung war.

Man wird sagen müssen, daß zwischen den
Anschauuugen der geistig und körperlich im Be-
ruf arbeitenden Mehrheit unserer Tage und
den Erzeugnissen höchster Kunstblüte einer ver-
gnugeucn Zeit, selbst für Kunstwerke der Gegen-
wart, die Vermittelung fehlt; ohne dieselbe sind
die Museen ein Luxus, währeud sie ein Volks-
erziehungsmittel sein wollen und sollen.

Diese Vermittelung muß gefunden werden,
wenn wir eine wahrhaft nationale Kunst, einen
neuen, originalen Stil haben wollen. Die Kunst
leistet um so mehr, je mehr von ihr gefordert
wird; gesteigerte Forderungen, welche aufwahrem
Verständnis beruhen, reizen den Ehrgeiz des
Künstlers, der Künstler erlahmt gegenüber der
llrteilslosigkeit; ohne intime Wechselbeziehung
zwischen dem Künstler und seinem Volk ist heu-
tigen Tages keine Kunstblüte auf irgend einem
Gebiet denkbar.

Wenn trotz der Kostspieligkeit des Ünter-
richts und der musikalischen Jnstrumente, trotz
thräuenvoller Kämpfe und allgemeiner Ner-
vosität die Kinder zu praktischer Ausübung dcr
Musik angehalten werden, wird u»d muß cs
erreichbar sein, daß der in den Lchrplan schon
anfgenommene Zeichenunterricht besser gewür-
digt werde. Die Geringschätzung, mit der die
Zeichenstundc von der Schule wie von den
Eltern behandclt wird, vielleicht auch eiue ver-
kuöcherte Methode des Iluterrichts müssen ver-
schivinden uud Auge und Hand des Kindes
konsequent znm richtigen Sehen und richtigen
Zeichnen erzogen werden. Ebenso notwendig
ist es, daß der Knabenhandarbeitsunterricht sich
einbürgere; gelingt es diese vernachlässigten Dis-
ziplinen mit dem Übermaß an musikalischen
Übungen ins Gleichgewicht zu bringen, dann
wird den bildenden Künsten der Boden bereitet,
auf dem sie gedeihen können.

Noch müheloser kann das Kind an kunst-
gerechte Formen gewöhnt werden, wenn der

Schulraum durch Farbe, durch architektonische
Gliederung der breiten Wandflächen, durch ein
einfaches und klares Mustcr im Kinde uuwill-
kürlich den Eindruck des Wohlbehagens hervor-
ruft. Für die übrigen Einrichtungsgegenständc
der Schule kann ohne wesentliche Preiserhöhung
ein einfaches Ziermotiv gefunden werdcn; ein
gutes Bild wird dieAuschauungsweise des Kindes
für das ganze Leben wohlthätig beeinflussen.

Die geschmacklosen Brocken luxuriöser Ge-
wohnheiteu, welche das Volk jetzt zu einem
menschenwürdigen Dasein für erforderlich hält,
und für die es sein Geld ausgiebt, werden dem-
selben widerwärtig erscheinen, wenn es die Be-
friedigung kcnnen gelernt hat, welche der ein-
fachste Gebrauchsgegenstand in kunstgerechter
Form gewährt; es darf mit Sicherheit erwartet
werden, daß jeder in seinen Verhältnissen zu-
friedener sein wird, wenn er befähigt ist, sich
der schöueu Form zu freuen, noch mehr, wenn
er befähigt ist, die schöne Form selber zu schaffeu.

Die Hinderuisse, welche einer kräftigen Ent-
wickelung der bildenden Künste im Wege stehen,
könneu nur überwunden werden, wenn der ein-
zelne urteilsfähig wird, wenn er sich entschließt,
lieber zu irren, als abhängig im Urteil zu sein.

Man beruft sich so gerue aüf die Japaner.
Ein wesentlichster Vorzug ihrer Kunst ist der,
daß mit geringem Aufwand, unter den einsach-
sten Verhältnissen durch japanische Zierkunst das
Lebcn lebenswerter gemacht werden kann, abcr
auch der japanische Arbeiter wird nachlässig,
wenn cr das Urteil seiner heimischen Käufer
nicht mehr zn fürchten braucht.

Ehe wir eineu neuen, originalen Stil er-
warten könuen, muß den bildenden Künsten ein
allgemein verbreitetes Verständnis gewonnen
werden. Der Höhepunkt einer bestimmten Kunst-
richtung, durch den ein bestimmter Stil zum
Ausdruck kommt, hat eine große Summe von
künstlerischen Erfahrungen zur Voraussetzung;
wenn sich dieselben dem einzelnen bewährt
haben, müssen sie geprüft werden, ob sie unter
allen Umständen verwendbar sind, am wenigsten
hat man Ursache, ernstes Streben zu entmutigen,
weil demselben bisher Erfolg vcrsagt war. Es
ist die Ausgabe einer einsichtigen Kritik, jcden
gesunden Keim zu erkennen nnd ihn in Schutz zu
nehmcn. So viel steht sest: wcnn wir für einen
neuen, originalen Stil reif sein werden, dann
wird sich auch der Mann findcn, welcher dem-
selbcn den richtigen Ausdruck giebt.
 
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