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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 14.1932

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Septemberheft
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Der Nachlaß Lesser Ury: Versteigerung bei Paul Cassirer
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https://doi.org/10.11588/diglit.26709#0021

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Der Nachlaß Lesser Ury

Versteigerung bei Paul Cassirer

Paul Cassirer in Berlin versteigert am 21. Oktober d. J. den
Nachlaß von Lesser Ury. Es kommen 260 Bilder und Pastelle
des Meisters zum Verkauf, die sein Atelier umfaßte, darunter
Werke seines früheren Impressionismus und auch Hauptwerke
aus seiner Londoner Zeit (1926) und aus dem letzten Jahre seines
Schaffens. Adolph Donalh gab die Genehmigung, daß die Rede,
die er am 7. November 1931 bei der Gedenkfeier der Berliner
Secession für ihr Ehrenmitglied Lesser Ury (gest. 18. Oktober
1931) gehalten hatte, im Cassirerschen Katalog veröffentlicht
wird.

Wir entnehmen diesem Vorwort die nachstehenden Ausführun-
gen: „Ury war — und niemals wird jene unmenschliche Feind-
seligkeit, mit der man ihm begegnet ist, hindern können, es
auszusprechen — ein Künstler von Gottes Gnaden.“ Er hatte
sehr wenige glückliche Stunden. Aber jener Vormittag des
7. Novembers 1921, an dem Lovis Corintli die Ehrenurkunde der
Berliner Secession für Ury verlas, in der geschrieben steht, daß
dieser Künstler „immer seine eigenen Wege gegangen ist, un-
berührt und unbeirrt von Tagesströmungen, ein Vorbild für die
Künstlerschaft“, war einer der teuersten Augenblicke in Urys
Leben.

Wie hat sich denn dieses Leben entwickelt? Wie ist seine
Kunst, die ihm angeboren war, gewachsen? Nur kurz seien die
wichtigsten Etappen vermerkt. Sie seien vermerkt, damit die
Jungen unter den Künstlern erfahren, wie Lesser Ury, der nie-
mals eine Führerrolle beansprucht hat, dessen eigenartigem
Werk aber ein besonderer Platz in der Kunstgeschichte gesichert
ist, vorwärtsgekommen war, ohne sich um „Richtung“ oder
„Clique“ zu kümmern, ohne nach links oder rechts zu sehen.
Als Siebzehnjähriger fing er zu malen an. Er hungerte damals
in Düsseldorf. Das ist nicht weiter tragisch. Unzählige .Künstler
haben gehungert und hungern noch. Und tragisch war es auch
nicht, daß er, der blutarme Mensch, von Düsseldorf aus zu Fuß
nach Brüssel gewandert ist. Er suchte sich ans Wandern zu ge-
wöhnen. Brüssel bekam ihm gut. Denn dort sammelte Portaeis,
der Maler, der auch als Lehrer berühmt war, Talente um sich.
Khnopf und Toorop waren bei ihm. Toorop gerade um die Zeit,
da der kleine Deutsche, der achtzehn Jahre alt geworden war,
von Portaeis schon ein eigenes Atelier erhielt. Ury muß doch
etwas gekonnt haben, denn er bekam bei dem Belgier in der
Aktklasse auch noch den ersten Preis. Und also ausgerüstet,
ging er 1880 nach Paris zu Bonnat und dann zu Lefebvre.

Aber schon in Brüssel malte er, was man in jenen Tagen nicht
angenehm empfand, „wie Manet“. Ja, er hatte Manet gesehen;
trotzdem war in seiner Art etwas Selbständiges, etwas von den
großen Franzosen der Zeit völlig Verschiedenes. Ja, er hatte
den französischen Impressionismus kennengelernt, aber er
wurde, obgleich er sich in das Wesen der Richtung, die im
Giunde keine Richtung war, sondern eine Weltanschauung, in-
tensiv vertieft hatte, er selbst. Und als er sich 1882 bis 1884 in
dem kleinen flämischen Dorfe Volluvet ansiedelte, gewann die
Landschaft, die er vor der Natur schuf, in Luft und Licht an
persönlicher Wärme. Kein anderer Deutscher besaß damals —
und es hatten nach 1870/71 schon etliche Maler aus Berlin, Mün-
chen und Düsseldorf die neuen Licht- und Luftprobleme der
Franzosen in Paris studiert — jenen durchaus persönlichen im-
pressionistischen Rhythmus wie Ury. Man braucht bloß jene
deutschen Landschaften der Zeit, die längst schon in den Museen
hängen, mit Urys Arbeiten aus dem Anfang der achtziger Jahre
zu vergleichen, und man erfühlt, daß Ury in jenen Tagen, da
alle deutschen Maler noch Grau gemalt haben, der erste war,
der frei und temperamentvoll die Wege ging, die die Kunst
gehen mußte, um zu neuen Zielen zu kommen.

Man schrieb das Jahr 1887. Ury kehrte nach Berlin zurück,
wohin er schon als zehnjähriger Junge gezogen war. Carl
Becker, der Historienmaler, an den er eine Empfehlung von Por-
taeis hatte, empfahl ihn an Anton von Werner. Dieser sah sich

die Landschaften, Interieurs und Straßenbilder an, die rein nur
auf Farbe gestellt waren, und sagte schroff: „Ich gebe nichts
auf Farbe.“ Ury aber wanderte weiter. In München lernte er
Fritz von Uhde kennen. Uhde war, aus Äußerungen der Zeit-
genossen zu schließen, von den Landschaften aus Volluvet be-
geistert, er ermunterte den jungen Künstler und gab ihm, als
er wieder nach Berlin zurückkehren wollte, einen sehr herz-
lichen Brief an Liebermann. Und Liebermann tat auch, was er
im Augenblick tun konnte. Er verschaffte dem armen Maler ein
paar hundert Mark. Doch der Mäzen, der sie hergab, wollte das
Bild, das Ury ihm hierfür überreichte, nicht nehmen: es war ihm
zu radikal.

Derlei scheint heute unbegreiflich. Welches Gesicht hatte denn
damals, in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, die Berliner
Malerei? Die sogenannte Moderne war noch lange nicht flügge.
Gewiß lebte Menzel, aber Menzel bedeutete eine künstlerische
Insel. Er kümmerte sich nicht darum, was in der Welt vorging.
Trumpf waren damals in Berlin die Historien- und Kostümbilder
Anton von Werners, Paul Meyerheim spielte den Realisten, Skar-
bina steckte noch im Rokoko, Liebermann kannte zwar Manet,
stand aber noch in den Spuren von Menzel und Israels. Nun trat
da mit einemmal ein junger Mensch auf, der anders malte als
sie alle, einer, der Farbe hatte und Farbe gab, Farbe, die sein
Lebens- und Kunstelement war, Farbe, in der er seine Impres-
sionen vom Lande erlebt hat und die ersten Impressionen aus
der Großstadt Berlin. Doch das Berlin der achtziger Jahre war
zu konservativ, um mit dem Neuerer mitgehen zu können.

Für diese Entdeckung des malerischen Berlins sprechen nicht
allein die Originale von Ury, nicht allein seine Straßenbilder
und Cafehausstücke, die wir kennen, sondern auch die zeit-
genössischen Urteile. Als Ury seine Bilder aus Volluvet und seine
ersten Berliner Straßenbilder im Jahre 1889 beim alten Gurlitt
in der Behrenstraße ausstellte, — er hatte die Ausstellung ge-
meinsam mit Hans Thoma —, schrieb Cornelius Gurlitt, der
heute als Einundachtzigjähriger bei Dresden lebt und vor vier-
zig Jahren schon ein berühmter Kunstschriftsteller und gut orien-
tiert über die Art der Pariser Moderne war, über die Ury-Schau:
„Verrückt, hörte ich neben mir sagen. Sehr richtig, ganz ver-
rückt. Eine Reihe von schwarzen Klecksen auf einer mit dem
Spachtel aufgetragenen Fläche. Diese sieht aus, wie der von der
Palette zusammengekratzte Farbenrest, in welchem das Krem-
serweiß vorwiegt. Und daneben eine Reihe von weißen Klecksen,
auf einem vorwiegend schwarzen Farbenragout. Das sind zwei
Bilder, von denen das eine die Linden, das andere die Leipziger
Straße zu Berlin darstellen soll, Bilder, welche mit ungezogener
Anmaßung fordern, daß man sie fünf Minuten ansehe, in die
man sich hineinleben muß, ehe man sie versteht. Was soll aus
der deutschen Kunst noch werden, wenn solche Schmierereien
in ihrem heiligen Bereiche geduldet werden?!“ Und dann er-
zählt Cornelius Gurlitt, wie er die Ausstellung verließ und ein
wenig durch Berlin wanderte. Es war gerade ein Regenguß nie-
dergegangen, die Straße triefte, aber plötzlich lag sie vor ihm
wie weißglühendes Metall, und die feuchten Flächen der Straße
schienen alles Licht des Himmels aufzufangen und auf das ge-
blendete Auge zurückzuwerfen. „Wagen auf Wagen“ schreibt
Gurlitt, „rollte daher. Die glänzenden Decken der Coupes bil-
deten eine unruhig bewegte Schlangenlinie gegen das Branden-
burger Tor zu, dessen mächtige Masse sich bleigrau gegen den
Himmel abhob. Ebenso färbten feuchte Luft und der sinkende
Tag die Häuserreihen, an der sich nur die milchweißen Bälle
der elektrischen Lampen abzeichneten.“ Großartig scheint Gur-
litt dieses Treiben der Großstadt Berlin. „Und was uns drau-
ßen entzückte“, bekennt er, „das soll der Maler nicht wieder-
geben dürfen, ohne gegen die Gesetze der Schönheit zu sündigen?
Er soll es nicht darstellen dürfen in seinen Härten und Unklar-
heiten, seinen mächtigen Lichtmassen und dem unergründlichen
Durcheinander?“

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