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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 14.1932

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November-Dezemberheft
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Tietze, Hans: Deutsche Kunst in Amerika
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Deutsche Kunst in Amerika

Von

Hans Tietze-Wien

Deutsche und deutschgesinnte Betrachter haben
häufig hervor geh oben, wie gering der kulturelle Ein-
fluß des Deutschtums in den Vereinigten Staaten von
Amerika im Verhältnis zu seinem Anteil am ganzen
Volkstum geblieben ist; für ein Fünftel bis ein Drittel
der Bevölkerung wird eine deutsche Abstammung an-
genommen, diesem gewaltigen Prozentsatz entspricht
jedoch keine angemessene Beeinflussung amerikani-
schen Wesens und kein starkes Interesse für deutsche
Leistungen. Die allgemeinen Ursachen für diese Er-
scheinung können hier nur ganz kurz erwähnt wer-
den, soweit sie auch für das Gebiet der Kunst Geltung
haben. Die deutsche Einwanderung, die erst im
19. Jahrhundert mächtig anschwoll, fand auf dem
nordamerikanischen Kontinent ein staatliches Gebilde
vor, dessen soziales und kulturelles Fundament aus-
geprägt angelsächsisch und stark genug war, sich
allen späteren Zusätzen anzugleichen; die Einwanderer
waren zu allermeist — dies gilt von den Deutschen
wie von anderen Gruppen — Angehörige von Schich-
ten, die in Europa gedrückt gewesen waren — wirt-
schaftlich, politisch oder religiös — und die sich der
neuen Heimat, die ihnen Freiheit bot, willig hingaben;
möglichst rasch und tief in sie einzuwachsen, war ihr
stärkstes Verlangen, viele haben in vollem Bewußt-
sein den schmerzlichen Schnitt geführt, der sie und
ihre Nachkommen für alle Zeiten vom alten Mutter-
land abtrennte.

Was nun speziell die Kunst anbelangt, brachten
weder die Bauern und Handwerker, noch auch die
politischen Flüchtlinge des Jahres 1848 ein besonderes
Interesse mit; eine kunstfördernde Tätigkeit war erst
zu erwarten, bis sich in der nächsten oder zweit-
nächsten Generation eine Schicht mit gesichertem
Wohlstand und neuen geistigen Ansprüchen heran-
gebildet hatte. Tatsächlich haben diese Deutschameri-
kaner, namentlich in den großen Städten des Mittel-
westens, wo sie tonangebend waren, deutsche Kunst
gesammelt und ihr auch in den ihre Wirksamkeit
beginnenden Museen einen Platz verschafft; aber diese
Tätigkeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
war wohl breit, aber nicht tief genug, um eine nach-
haltige und bleibende Wirkung auszuüben.

Wir können für diese Zeit — wie dann für die
Gegenwart — zweierlei Arten deutscher Kunst unter-
scheiden : die alte, auf der der historische Ruhm dieser
Schule beruht, und die neue, von der ihre unmittel-
bare Wirkung ausgeht. Die zweite Gattung, die zeit-
genössischen Erzeugnisse und ihre unmittelbaren Vor-
läufer, also was man unter den Begriff von Gegen-
wartskunst einordnen darf, war in den Kreisen dieser
reich gewordenen Kleinbürger und Geschäftsleute
naturgemäß die beliebtere; sie erwarben Werke von
Autoren, deren Namen ihnen die öffentliche Meinung

der deutschen Heimat als die wesentlichen zutrug,
und zwar mit besonderer Vorliebe solche Werke, deren
pathetischer oder munterer Inhalt und deren gefällige
Form ihrem einfachen und unverbildeten Geschmack
entgegenkam. Das heißt, sie sammelten so — vielleicht
noch etwas naiver und ungeschulter —, wie ähnliche
Kreise in Deutschland sammelten, ehe um die Jahr-
hundertwende die große Überprüfung deutscher
Kunst des 19. Jahrhunderts einsetzte. Von dem neu
erwachten Interesse für die Nazarener und Romanti-
ker, für die Bahnbrecher eines farbenfreudigen Natu-
ralismus in Hamburg, Heidelberg oder Wien, von der
erwachenden Hochschätzung für Laibl, Böcklin oder
Thoma hat Deutsch-Amerika kaum mehr Kenntnis
genommen, sondern sich auf die offiziellen Lieblinge
beschränkt, die seither so an Anwert verloren haben.
Die reichlich vorhandenen Erzeugnisse, vornehmlich
der Düsseldorfer und Münchener Schule, haben mit
den entsprechenden Werken anderer europäischer
Schulen das Schicksal geteilt, in die Depots zu wan-
dern oder im Massenaufgebot unmodern gewordener
Sammlungen unterzugehen; unerschrockene Wiß-
begier kann an der einen oder der anderen Stelle in
Milwaukee, Cincinnati, Brooklyn oder Washington
noch genug von solchen Bildern finden, die jedoch
nicht geeignet sind, eine angemessene Vorstellung von
der Kraft und Schönheit deutscher Kunst zu erwecken.

Was sich aus jenen Kinderjahren privaten oder
öffentlichen Kunstsammelns von Werken alter deut-
scher Kunst in Amerika vorfindet, läßt sich in der
Darstellung mit dem erst im Vierteljahrhundert des
Aufschwungs dieser Sammlungen Erworbenen ver-
binden; die erste Kategorie steht zur zweiten im Ver-
hältnis bescheidener Vorbereitung, beide zusammen
ergeben ein Gesamtbild, das die deutsche Kunst nicht
ebenbürtig neben andere Schulen der Vergangenheit
treten läßt. Es hängt dies einerseits damit zusammen,
daß der so konventionelle „große“ Kunstmarkt deut-
schen Erzeugnissen die Ehren internationaler Bedeu-
tung nur ausnahmsweise zuerkennt, andererseits da-
mit, daß der Wetteifer deutscher Sammlungen und die
Fürsorge deutscher Denkmalpflege die überragenden
bodenständigen Werke fast ausnahmslos im Lande fest-
zuhalten vermochte. Deutsche Werke ersten Ranges
sind — von Graphik abgesehen — auf dem Welt-
markt seltener als italienische oder französische, hol-
ländische oder spanische, und es wäre auch unbe-
schränkten Geldmitteln schwierig, sich jene Meister-
werke zu verschaffen, selbst wenn nicht noch das
amerikanische Vorurteil dazu käme, das deutschen
Werken diesen auszeichnenden Titel nur widerstre-
bend zuerkennt. Hier biegen sich Wirkung und Gegen-
wirkung offensichtlich zum Circulus vitiosus: der
Kunsthandel erzieht seine Kunden naturgemäß zur

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