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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 14.1932

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Septemberheft
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Der Nachlaß Lesser Ury: Versteigerung bei Paul Cassirer
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Die Rembrandt-Zeichnungen der Sammlung Valentiner: Versteigerung bei Mensing & Fils in Amsterdam
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https://doi.org/10.11588/diglit.26709#0022

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Am nächsten Tage sah sich der Kunstkenner nochmals die
Bilder von Ury an, aber mit anderen Augen. Da sah er einen
Künstler, dem, wie er sich 1890 in der Zeitschrift „Die Gegen-
wart“ ausdrückt, „es Ernst ist zu geben, was ihn die Natur
lehrte, einen Mann, dessen Schaffen wohl noch der Klärung be-
darf, dem wir aber danken sollen, daß er versucht zu malen,
was ihn entzückte, und namentlich auch, es trotz aller Schön-
heitslehren so zu malen, wie er es sieht. Er wird Grobheiten
genug dafür einzustecken bekommen, daß er den Idealismus
auf sich genommen hat, nicht nach alten Rezepten idealisieren
zu wollen.“

Dieses Urteil des Cornelius Gurlitt ist ein bedeutsames kunst-
wissenschaftliches Dokument für Urys Entdeckertat. Und hätte
Ury nichts anderes gemalt als nur die Straßen der Großstadt
Berlins, wie sie damals in ihren natürlichen und künstlichen
Lichtern kein zweiter mit solchem Furor entwarf, so wäre kein
Denkmal für ihn zu gering. Aber Ury ist weitergegangen. Er
begnügte sich nicht mit der malerischen Entdeckung Berlins.
Lange vor Leistikow malte er die märkische Landschaft, und
nicht bloß die nüchternen Kiefern, sondern er malte die Sonne,
die-zwischen den Ästen der Kiefer spielt, mit einer Andacht, wie
sie nur ein Dichter haben kann, ein Lyriker, ein Magier, ein
deutscher Romantiker. Selbst aus der schlichten märkischen
Landschaft erwuchsen ihm Farbenträume. Der Morgen, der Mit-
tag, der Abend waren für ihn das Weltgeschehen, das er malend
genoß. Und weil er die Technik schon überwunden hatte, durfte
er es sich auch manchmal erlauben, die Farbe zu übersteigern. Er
durfte es. Ein großer Kolorist, der, wie Ury, Menschen, und,
bei Gott, nicht die schlechtesten unter ihnen, vielmehr die gei-
stigsten gelehrt hat, was Sonnenuntergänge sind, durfte in seiner
Abgesondertheit, die ihm nichts anderes bot als die Farbe, auch
Bilder dichten, wie sie ein Caspar David Friedrich ersehnt hatte.
Wenn geistige Menschen eine ganze helle Frühlingsstimmung
empfanden, so sagten sie: „So malt Ury.“ Und wenn sie Sonnen-
untergänge sahen,' sagten sie: „Das ist Ury.“ Er hat die Men-
schen die Farbe in der Natur sehen gelehrt. Er war ein Meister
der Wirkung in die Ferne.

Ury zog durch Holstein, Thüringen und fast alle deutschen
Lande, malte ihre Seele, und er war es auch, der dem deutschen
Pastell das große Format zu geben vermochte, das es bis zum
Anfang der neunziger Jahre noch nicht gekannt hatte. Er war,
so schrieb Franz Servaes 1893 in seinem Buch „Berliner Kunst-
l'rühling“ das sensibelste Landschaftsnaturell“, das Berlin be-
saß. Als die Gruppe der „XI“, an deren Spitze Liebermann
stand, sich 1892 und 1893 vorstellte, war Ury nicht dabei. Was
sollte er auch dort? Er hatte die Licht- und Luftprobleme der
modernen Malerei schon zehn Jahre vorher gelöst. Aber da er,
abseits von den „XI“, trotzig wie er war, allein ausstellte, fiel
man über ihn her. Er war an alles gewöhnt. „Er hatte“, so sagte
Servaes, „vorgeahnt und öfter geradezu vorgemacht.“

Ich selbst habe die frühen Urys zum erstenmal 190t bei
Schulte gesehen. Sie wirkten auf mich wie Offenbarungen, wie
Äußerungen eines ganz vehementen Maler- und Maltempera-
ments. Ich fühlte: dieser Künstler sieht die Natur in allen ihren
Tonabstufungen, mit allen ihren Lichtern, Schatten und Luft-
partikelchen. Die Menschen aber, die seine Landschaft bevöl-
kern, sind für seine Landschaft nichts als Staffage, denn die
Landschaft an sich ist sein unbegrenztes koloristisches Objekt.
Das künstlerische Erlebnis ist ihm alles gewesen. Wie konntest
du, sagte er sich wohl, diese Farben sehen, dieses entsetzliche
Grün, dieses strahlende Blau? Das Grün war doch grün; du

hast es gelb gemacht. Warum das? Und waren die Wolken
wirklich so rot? Wenn der Mensch in ihm so gefragt haben mag,
durfte der Künstler in ihm wohl so geantwortet haben: als du
dieses Stück maltest, hast du die Natur so, und nur so, gesehen.
Und eben darum, weil du in dieser Stunde die Natur nur so
gesehen hast, wurde sie dir zur Kunst. In Lesser Ury ist das
künstlerische Erlebnis geboren worden aus dem Zusammen-
klang der Seelenstimmung mit dem äußeren Eindruck, den der
Maler empfangen hatte.

Das künstlerische Erlebnis oder definieren wir es als das Un-
erklärliche, das im Künstler überhaupt vorgeht, war auch der
Urgrund zur Schaffung seiner monumentalen biblischen und
sozialphilosophischen Bilder. Es ist für mich keine Frage, daß
er in den unglücklichsten Stunden seines Lebens Trost in der
Bibel suchte. Die Bibel war ihm das edelste Buch, das mensch-
licher Geist hervorgebracht hatte. Sie war es, die ihn dazu trieb,
die großen Leinwände zu bemalen, sein Tryptichon „Der
Mensch“ zu schaffen, seinen „Moses“ des Hauses Minden, diesen
„Moses, der die Finsternis beschwört“. Und nur ein so genialer,
neidloser Meister, wie es Lovis Corinth war, konnte das be-
greifen, konnte den innersten Gehalt der Uryschen Monumen-
talgemälde erfassen. Wie aber war denn Ury zu dieser Wand-
lung gekommen? Die Bibel, sagte ich schon, trieb ihn dazu. Er
negierte den Satz: „Kunst kommt von Können.“ Das schien ihm
ein alter, abgestandener Ausdruck. Kunst kommt von Können?
So war es, empfand er wohl, früher einmal gewesen. Nun aber
sagte er sich damals: Heute ist dort, wo Freiheiten sein sollten,
eine arge Verknöcherung. Kunst, dachte er sich damals vor fast
vierzig Jahren, soll auch seelisch-soziale Zustände zeichnen!
Denn auch der Maler muß mitarbeiten an der Erhöhung des
Menschentums.

Als Ury seine ersten Landschaften malte, glaubte er, der
Künstler könnte mit dem bloßen Naturalismus, mit dem Ab-
schreiben der Natur das Höchste in der Kunst erreichen. Natür-
lich ist dies der Weg, um das Höchste zu erreichen. Man bleibt
aber mittendrin stecken, wenn man sich in Schlagworte ver-
bohrt. Kunst ist ja Seele, Kunst heißt nicht nur äußere Erschei-
nungen wiedergeben, denn die eigentliche Kunst fängt erst an,
wo das Handwerk schon überwunden ist. Und indem Ury so
fühlte, verbiß er sich, ein Sonderling, wie er war, gekränkt, zer-
mürbt, zerquält wie er war, in seine Monumentalmalerei. Und er
war auch hier Sucher und Finder zugleich. Als er 1901 seinen
drei Meter hohen „Jeremias“, diesen Meisterwurf, der in der
modernen Malerei kaum ein Gegenstück hat, zum erstenmal aus-
stellte, schrieb Max Dessoir: „Der Maler Ury gehört gegenwärtig
zu den wenigen, die ins Große zu bilden als innerstes Bedürfnis
empfinden. Er ist damit, wenn ich richtig sehe, seiner Zeit eben-
so voraus, wie er es 1883 war, als er die kühnsten Freilichtbilder
schuf.“



Im Anschluß an den Nachlaß Urys versteigert Paul Cassirer
die bekannte Sammlung des verstorbenen Geheimrat Hermann
Frenkel, des letzten Sammlers aus dem großen Kreise des un-
vergessenen Wilhelm von Bode. Frenkel sammelte in der Haupt-
sache Holländer des 17. Jahrhunderts und Franzosen der Habi-
zon-Schule. Außerdem wird bei Cassirer die Sammlung Dr. S.
mit ihren Meisterwerken von Manet und Monet, Cezanne und
van Gogh ausgeboten. Aus der Wiener Sammlung Reininghaus
kommen bedeutende Bilder des schweizerischen Meisters Ferfi-
nand Ilodler zur Auktion.

Die Rembrandt-Zeichnungen der Sammlung Valentiner

Versteigerung bei Mensing & Fils in Amsterdam

Am 25. Oktober beginnt bei Mensing & Fils in Amsterdam
(Frederik Maller & Cie.) eine Reihe von Auktionen, an deren
Spitze der Verkauf der Rembrandt-Zeichnungen aus dem Besitz
von Dr. W. R. Valentiner steht. Geheimrat Dr. Max ./. Fried-

länder, der Direktor der Staatlichen Gemäldegalerie Berlin,
schrieb für den Katalog das Vorwort, dem wir nachstehende
Ausführungen entnehmen:

„Sammler, die gleichzeitig Kunstkenner waren, haben ihre Pas-
 
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