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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 14.1932

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November-Dezemberheft
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Schapire, Rosa: Die Sammlung Stoclet in Brüssel
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https://doi.org/10.11588/diglit.26709#0064

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Die Sammlung Stoclet in Brüssel

Von

Rosa Schapire-Hamburg

Die Sammlung Stoclet besichtigen zu dürfen, gehört
zu den größten Kunstgenüssen. In Vitrinen, von allen
Seiten sichtbar, in Schubladen verborgen oder je nach
ihrem Charakter frei stehend, einen ganzen Raum be-
herrschend — stets sind die erlesenen Kunstwerke so
aufgestellt, daß sie fern von jeder musealen Überfülle
sich am wirkungsvollsten präsentieren und ganz zu
ihrem Rechte kommen. Die großen Räume des prunk-
vollen, von Hoffmann erbauten Hauses in der Avenue
Tervueren sind Rahmen für einen kostbaren Inhalt,
der sich nirgends aufdrängt, der Hingabe erfordert,
um sich in seiner Schönheit und Bedeutung zu er-
schließen. Es ist ein Gang durch die verschiedensten
Zeiten und Frühkulturen, soweit in ihnen Ursprüng-
liches und Schöpferisches lebendig war, unter Aus-
schluß alles dessen, was sein Dasein reifer Meister-
schaft ohne persönlichen Impuls verdankt oder nur
von ausgeschriebener Handschrift und virtuosem
Können zeugt. Da Herr und Frau Stoclet keineswegs
nach Vollständigkeit auf irgendeinem Gebiet streben,
auch nicht von der so häufigen krankhaften Sucht des
„Habens“ und „Aufspeicherns“ besessen sind, nur das
erwerben, wozu sie innere Beziehungen haben, haben
sie eine Sammlung geschaffen, die auch nicht ein
gleichgültiges Stück birgt. Wenn ihr Sinn für Qualität
sich sicherlich im Laufe der Jahre durch den Umgang
mit Kunstwerken noch gesteigert hat, so war er doch
von vornherein so ausgebildet, daß es kaum etwas aus
der Sammlung auszumerzen gab, dabei sei mit Rück-
sicht auf die Psychologie des Sammelns angemerkt,
daß japanische Farbholzschnitte, freilich erlesenster
Qualität, vor etwa dreißig Jahren der Ausgangspunkt
der Sammlung waren. Waren Herr und Frau Stoclet
damit damals einer gewissen Zeitströmung gefolgt, so
hat ihre Sammlung seitdem einen ganz persönlichen
Charakter bekommen. Räumliche oder zeitliche
Schranken bestehen nicht, noch weniger dürfte man
von Zufallserwerbungen sprechen, und daß die so
törichte Schranke zwischen sogenannter „großer“
Kunst und „Kunstgewerbe“ nicht besteht, braucht
wohl kaum erwähnt zu werden. Der schöpferische
Impuls, der sich in Frühkulturen jeder Epoche und
unter jedem Himmelsstrich offenbart, ist es, der dazu
geführt hat, chinesische Bronzen, persische Miniaturen,
mexikanische und sumerische Masken, byzantinische
Emails und Mosaiken, sassanidische Elfenbeine, rnero-
wingische Schwerter, karolingische Kästchen, mittel-
alterliche und „Khmer“ Plastik, italienische und fran-
zösische „primitive“ Bilder zu erwerben und so aufzu-
stellen, daß die Klippe der einstigen fürstlichen Rari-
tätenkammer ebenso umschifft ist wie die Gefahr der
überfülle oder die nüchterne museale Aufstellung, die
die großen öffentlichen Sammlungen unserer Zeit be-

droht. Man erkennt das Gesetz, das, so verschieden es
sich auswirkt, für alle große Kunst gilt, „Ars una“,
und empfindet, in welchem Maße Herr und Frau
Stoclet als im besten Sinne Bürger aller Zeiten das
Schöpferische erkennen, in welcher Form immer es
ihnen entgegentritt.

ln der Erkenntnis, daß Besitz verpflichtet, waren sie
auch stets bereit, durch leihweise Überlassung ihrer
Kunstschätze große internationale Ausstellungen zu
bereichern.

Auf der Ausstellung chinesischer Kunst in Berlin
im Jahre 1929 fiel das reich inkrustierte Weihrauch-
becken auf vier hohen Füßen in Vogelform durch die
feierliche Strenge auf, die allen sakralen Gefäßen der
Chou-Dynastie eignet (Berliner Kat. Nr. 5). — Der
große geflügelte, blaugrün patinierte Drache (Ts’in
oder Han, Berl. Kat. Nr. 22) war durch seine straffe
Form besonders eindrucksvoll. Dieser Spannung ent-
sprechen die Spiralen, die in leicht eingeritztem Relief
den Körper überziehen. Dieses Motiv ist, wie schon
vonVisser1) hervorgehoben, bei frühchinesischer Plastik
ungewöhnlich, kommt aber auf dem großartigen
leppieh der Kozloff-Expedition in Leningrad (Akade-
mie der materiellen Kultur) in verwandter Weise
wieder. — Aus der Han-Dynastie waren von kleineren
Stücken in Berlin besonders auf gefallen ein bronzener
kühn geschwungener Leopard als Träger eines vier-
eckigen Gefäßes (Berl. Kat. Nr. 68), ein hockender Bär
(Berliner Kat. Nr. 82), wunderbare Bronze-Fibeln in
Drachenköpfen endigend, mit Vielfraßmasken und
Einlagen aus Jade, Kristall, Silber und Gold (Berl. Kat.
Nr. 97, 1146 und 1149). Dazu kamen jene aufregen-
den Tierkampfszenen im sogenannten skythischen
„Bestienstii“ (Berl. Kat. Nr. 115, 116, 117) (5. oder
2. Jahrh. v. Chr.), mit zum Interessantesten an Sky-
thenkunst gehörend, das man außerhalb Rußlands
findet, und mit diesen verschlungenen, ja ineinander
verbissenen Formen, durch seine Ruhe auf's schärfste
kontrastierend, das Elfenbeinrelief eines Yak, das viel-
leicht in die Tang-Dynastie gehört (Berl. Kat. Nr. 1207,
Nachtrag). Seit der chinesischen Ausstellung in Berlin
ist die Sammlung Stoclet durch eine Reihe sehr wert-
voller Stücke bereichert worden. Erwähnt seien nur
eine herrliche, von Drachen bekrönte Bronzeglocke mit
Vielfraßmasken (Chon), ein Bronzespiegel in der so
seltenen quadratischen Form (Cliou), ein reich inkru-
stierter Bronzelöwe mit Malachitaugen, der durch die
darin gefundenen Münzen aus dem Beginn der Han-
Dynastie genau datierbar ist, und eine Bronzeplatte
aus dem Kaukasus. Schwanz, Beine und Geweih des
hirschartigen Tieres, das die Mitte der Platte be-

6 The Exhibition of Chinese Art. Amsterdam 1925. edited by
H. E. E. Yisser, Haag 1926, Tafel IX und X.

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