Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1910)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Unsere Fürsten und wir
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0015
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
>Iahrg.23 Erstes Aprilhest lSW Hest I3>

Ansre Fürsten und wir

x^homas Manns Buch „Königliche Hoheit« hat unter andern
eine unerwartete gehabt, die ich begrüsze. Ein deut-
^^scher Fürst aus regierendem Hause, der die vou Mann geschil-
derten Kreise aus eiguem Erleben und eignem Verkehr auf das Ge-
naueste kennt, hat sich an mich gewendet, um sich im Kunstwart über
Manns Auffassung vom Fürstentum auszusprechen. Wir sind ge-
wöhnt daran, daß die Höchsten in der irdischen Rangordnung nur
durch Hofräte, offiziöse Iournalisten oder günstigstenfalls Minister
ihre Meinung kundtun, wo das nicht autoritativ, soudern gewärtig
der Gegenrede geschehen müßte. Macht schon das Durchbrechen dieser
Regel das Vorgehen des Fürsten erfreulich, so wird es das doppelt
durch die Tatsache, daß hier eine auch menschlich verehrungswürdige
Persönlichkeit spricht. Ich habe zugesagt, nicht zu verraten, welche,
weil der Fürst, erkannt vor seinen Standesgenossen und dem deutschen
Volk, nicht so unbefangen sprechen könnte. Dem, was er sagt, folge
zunächst eine Antwort von Thomas Mann.

V

<^st der Grundzug unsrer Zeit nicht ein großes, ernstes Suchsn nach
OWahrheit? — Aber der objektiv forschende Blick wird durch Selbst-
sicherheit beeinträchtigt. Unsre Zeit ist dessen so unsäglich sicher,
was sie sehen wird, daß sie manchmal nicht allzu genau hinblickt.

Sieht es wirklich bei dem armen Arbeitervolk so aus, wie uusre
Zeit behauptet?

Selbst Maeterlinck, der die Blumen und die Bienen so gewissenhaft
behorcht, malt ein schwarzes Bild von den Bauern der Normandie.
Er macht zwar efnen Freund verantwortlich für das schwarze Bild,
aber er glaubt doch wohl selbst daran.

Wie sie nun in der Normandie sein mögen, auf unsre Nordküsten
paßt das schwarze Bild unsrer Zeit nicht. Seine Dunkelheit kommt
von einem Rückschlag, nachdem man sich jahrhundertelang mit him-
melblauer Lieblichkeit über das wühlende Llend an der Wurzel der
Menschheit zu täuschen gesucht hat.

Aber es ist noch ein andrer Stand, der von der objektiven Be-
trachtung ausgeschlossen ist. Ihm geht es noch schlechter als den
Bauern und Arbeitern, denn er hat noch unverändert bei vielen
seine alte Etikette behalten. Das mag wohl einmal auf ihn gepaßt
haben, aber von unsern schreibenden Künstlern scheint noch keiner
bemerkt zu haben, daß es jetzt nicht mehr paßt. Ein Schriftsteller,
der, wie Thomas Mann, vielfach hoch eingeschätzt wird, hätte sonst
ein Buch wie „Königliche Hoheit" nicht schreiben können. Nnd das
Schlimme daran ist, daß das große Pnblikum an das falsche Bild
glauben wird. Denn wir Deutschen haben ja leider Goethes Lehren
aus Wilhelm Meisters Brief an Werner immer noch nicht beherzigt.
Noch immer sind, ganz anders als in England, die Stände streng
voneinander getrennt, sie betrachten sich mit Mißtrauen und er-

I" s. Aprilheft GlO l >
 
Annotationen