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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 14 (2. Aprilheft 1910)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0134
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Allgerneineres

wert, demi nie war ein Mcnsch da, den ich so liebte, und nie, nie
wird jemand in mein Leben treten, zu dem ich so empfinden könnte wie
zn dir. Mir ist ja, als kennte ich dich, so lange ich überhaupt nur denken
kann! — Du weißt es nicht, Elfriede, was dn auf dich nehmen willst!

— Ich weiß alles, und ich nehme es auf mich. — Sie war zu ihm

getreten und sah ihm in die Augen. Da zerlöste sich alles in ihm in

einem Gefühl unsäglicher Dankbarkeit, er sank fast an ihr nieder. — Ich
will es versuchen, Elfricde, und wenn du mir hilfst — mein Gott, wenn
nicht alles tot und wüst ist in mir — o Elfriede, wenn ich noch mit
dir zusammen glücklich würde! —

Du wirst es, soviel du überhaupt glücklich werden kannst! Und ich mit

dir! — Und deine Kunst, was wird aus deiner Kunst? — Die wird mir

doppelt wert werden, denn ich werde mich viel an sie halten müssen.

— Elfriede, ich schäme mich, wenn ich dich so reden höre; bin ich denn
wirklich so fürchterlich, wie ich mir selbst erscheine? — Sie lächelte:
So lange du so fragst, bist du es nicht. — Er legte seine Hände um ihr
Haar und küßte sie. — Du bist stark und kräftig, sagte er, und deine Kinder
werden es auch sein, wenn sie dir nachgeraten. Du wirst mit ihnen jung
bleiben und leben, und ihr alle werdet kräftiger und stärker sein als ich.

— Seine Augen sahen über Elfriede hinweg ins Abendrot; er schwieg,
und wie zu sich selber sagte er nach einer Weile langsam: In einem aber
werde ich sie alle überholen; einen nach dem anderu werde ich hinter mir
lassen, denn ich fühle es: Ich werde ur—uralt.

Rundschau

Der Fremde

(Aus einem Literatenbrief)

angweilig und mittelmäßig, so
sagen Sie, scheint Ihnen der all-
gemeine Anblick der heutigen Lite-
ratur. Wie schrecklich müssen Sie
sich nach diesen Worten die Lage
des Berufskritikers vorstellen, der
in solchem Meer von lauwarmen
und farblosen Erzeugnissen täglich
stundenlang herumplätschert. Aber
ich kann Ihnen nicht recht geben.
Zwar, die Mittelmäßigkeit sei zu°
gestanden, wenn Sie den Maßstab
künstlerischen Könnens allein an--
legen, wie man es wohl tut, wenn
man die über Iahrzehnte hinaus
dauernde Bedeutung eines Buches
untersuchen will. Doch warum
sollten Sie, der Sie von der Lite--
ratur Genuß, Anregung, Erheite-
rung und andererseits Vertiefung
Ihres Denkens und Fühlens er°

warten, warum sollten Sie gerade
diesen Maßstab bevorzugen? Be-
trachten wir doch die Dichtung nicht
engherzig nur als Literatur! Wie
sie in ihrer ganzen Ausdehnung aus
der Fülle des wirklichen und wir<-
kenden Lebens heraus geboren wird,
so sollten wir sie billig wieder in
dieses Leben hineinwirken lassen,
wenn uns nicht Berufspflicht zwingt,
das „Kunstrichtertum" dem Lebcn
vorangehen zu lassen. Und wenn
ich die Mittelmäßigkeit im Künst-
lerischen zugestehe, so tue ich das
nicht im Menschlichen: das Ge-
samtbild der Menschheit, welches
aus Prosa und Dramen und den
wenigen in Frage kommenden Ge-
dichten unsrer Zeit herausschaut, ist
gar nicht mittelmäßig, und fast jede
zweite Woche finde ich darin einen
neuen Kopf, eine neue überraschende
und doch überzeugende Situation,


Kunstwart XXIII, ^
 
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