Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1910)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Den Germanen im Norden
DOI Artikel:
Nidden, Ezard: Björnstjerne Björnson
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0268
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
innersten Beweger das Beste von uns. Den Drang nach dem Aus--
wachsen der Persönlichkeit, der doch nie zum Aufgehen im selbst--
gefälligen Ichlingtum sührt. Den Drang nach Freiheit, der in eine
Herde nicht mag, auch wenn sie „Freiheitl" schreit. Den Drang zur
Natur, mit der verwachsen zu bleiben wir um kein Geschenk der
Zivilisation ausgeben wollen. Den Drang zum Geistigen, den auch
keiner von euch glühender gestaltet hat, als unsres Goethe Fauft. And
den Drang zur Verlebendigung des Gedankens durch die Tat, das
auch Faustens und Goethes Letztes und Höchstes war. Wie es jetzt
wieder Björnsons des nicht bloß Literaten, des nicht bloß Astheten,
wie es Björnsons des Wirkenden Höchstes gewesen ift.

Die Germanenkultur in Deutschland, der Schweiz und Ssterreich,
in den Niederlanden und bei euch im Norden mag sich politisch und
religiös, wirtschaftlich und sozial in tausend Widersprüchen auseinan--
dersetzen, wer sehen kann, wird doch in jedem einzelnen echten Stück
von ihr das Gemeinsame erkennen, wie in jedem echten Bild germani-
scher Malerei. Ich glaube: das nicht Sich-Vollenden, das nicht sich
voll Lnden im Werke, das ist's — das Hinausstreben mit der Wirkung
über den Genuß in Aug uird Ohr zur Willenbewegung hin, eben
zur Tat. Was aus den germanischen Völkern vor andern die wirken--
den Völker gemacht hat, äußert sich in unserm Geistesleben so. Seit
Iahrhunderten sind wir in der Kultur vor andern die schöpferischen
Völker gewesen. Ie reicher wir einander in geistigem Frieden, in
geistigem Kampfe befruchten, je edler werden die Ernten der Welt
sein. A

BjörnsLjerne Björnson

^^er Tod Björnsons weckt weithin in Europa Widerhall. Für
^A^Norwegen bedeutet er etwas wie eine Landestrauer, denn Björn--
son war in seinem Vaterland ein ungekrönter König, ein Führer
und Vorbild für viele, für alle Gegenstand der Aufmerksamkeit.
Man sagt: er verftand sich zu inszenieren. Aber es heißt böswillig
am Wesen vorbeisehen, wenn man immer nur auf den Gestus hin-
weist. Vor allem hatte er etwas zu inszenieren mit sich selbst.
Er fand seines Geistes Verwandte trotz aller Verschiedenheiten und
aller Abstände in einem Iulius II., einem Martin Luther, nicht
in Peter Aretin oder Iohannes Faustus. Man inszeniert uicht
einen Kleinen oder Halbgroßen mit dauerndem Erfolg, am wenig-
sten unter dem kritischen norwegischen Volk, wo die rasche Entwick-
lung bald das Streben an den Früchten zu bewerten erlaubte. Aller-
dings war Björnson der Mann der großen Bewegung, des weithin-
tragenden Pathos. Achtzigmal hat er den Vortrag über Monogamie
und Polygamie für die voreheliche Keuschheit der Männer, die viel-
besprochene „Handschuhmoral" gehalten. Aber 25000 Zeitungsartikel
soll er geschrieben haben. Volksredner war er und Politiker, — uud
zwar Führer, nicht Schreihals. Als solcher unbekümmert um Kleinig-
keiten. Und darum oft im Irrtum, zuweilen selbst dem Lächerlichen
verfallen. Weit gekannt wurde er auch als Theaterdirektor, obwohl
er es nicht lange war. Er wußte seinen Ideen, die einem großen
Teil seines Volkes heilig waren wie ihm, Geltung zu schaffen. Zum

218

Kunstwart XXIII, 16
 
Annotationen