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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 18 (2. Juniheft 1910)
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Häfker, Hermann: Meine Herren Gastwirte!
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Beaulieu, Héloise von: Goethekultur und Goethemode: ein Gespräch
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0439
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hoch zu preisen, aber keineswegs überall zu haben sind. Zuviel ver-
langt? Nein, hier berührt sich das „neue" Gasthaus mit allerältesten.
Wer's bezweifelt, möge sich erkundigen, was alles man nicht nur
in einer guten Alpenschutzhütte, sondern zum Beispiel auch in einer
guten Riesengebirgsbaude bekommen kann. Und noch mehr, leider,
konnte. Damals zum Beispiel, als noch der alte Hübner-Berthold
auf der tzübner-Baude waltete, als welcher ein Wanderer-Vater war.
Dafür lief auch immer wieder über seine Baude, wer eigentlich ganz
wo anders hin wollte.

Kurz: ein Gasthaus, das solche Vorzüge hat oder doch einen
wesentlichen Teil von ihnen, kann sich von aller Rabatt- und Privi-
legienreiterei freihalten. Denn es kann sicher sein, wenn es nur
das, was es tut, gut tut, so wird's bald eine Berühmtheit weit her-
um, und die sichere Raststätte aller „Neuen Reisenden".

Hermann HLfker

GoethekulLur und Goethemode

Ein Gespräch

^^i e Idealistin: Nnd das ist mir eins der sichersten Zeichen,
>^^daß unsre Kultur im Steigen begriffen und die Dekadenz über-
wunden ist: daß die Goetheverehrung weite und immer weitere
Kreise ergreift. Wer las denn vor zwanzig bis dreißig Iahren
Goethe? Außer den Literarhistorikern uur eine erlesene Minder-
zahl. Heute zählen die „Gespräche mit Eckermann" zu den meist-
verbreiteten und -gelesenen Büchern.

Der Skeptiker: Ia, — neben „Götz Krafft", dem „Hohen
Liede" und andern.

Die Idealistin: Man kann sich nicht immer und ausschließ-
lich im geistigen Höhenklima bewegen. Sie können nicht verlangen,
daß nur Goethe gelesen werde!

Der Skeptiker: Da sei Gott vor! Ich verlange es nicht nur
nicht, sondern ich möchte sogar, daß weniger Goethe gelesen und
zitiert würde.

Die Idealistin: Nnd das sagt ein Goetheverehrer! Oder
sind Sie's vielleicht nicht mehr?

Der Skeptiker: Ich bin's noch — obwohl ich mich beinahe
schäme, es zu sagen. Denn man befindet sich mit diesem Geständnis
in zu großer und schlechter Gesellschaft. Weil ich Goetheverehrer
bin, darum macht mir wehmütiges Bedauern, was Sie mit eitel
Freude erfüllt: daß man jungen Mädchen zur Konfirmation statt
eines christlichen Vergißmeinnichts „Goethes Briefe an Frau von
Stein" schenkt; daß man im Wohnzimmer jeder „gebildeten" Frau
zwischen Modejournalen eine der populären Ausgaben vou Goethes
Gedichten findet und unter jedem Kochrezept einen Spruch in Prosa.
Die, denen jeder Ausspruch Goethes sankrosaükt ist, respektieren nur
den einen nicht, der doch in dem „meistgelesenen" Buche steht:
„Meine Sachen können nicht populär werden. Wer daran denkt
und dafür strebt, ist in einem Irrtum. Sie sind uicht für die Masse
geschrieben, sondern nur für einzelne Menschen, die etwas Ahnliches
wollen und suchen und die in ähnlichen Richtungen begriffen sind.«

2. Iuniheft MO 259
 
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