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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,3.1910

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Heft 17 (1. Juniheft 1910)
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Rundschau
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.9021#0412
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Lebende Worte

neuen Gebieten zeigen. Einige hat
er uns jetzt schon gezeigt.

„Zum Nachdenken" hatten wir
jene Geschichtchen-Erlebnisse abge-
druckt, weil sehr viel bei ihnen nach-
zudenken ist, genau wie wir unsre
Gaben an Kunst zum Genießen, das
ist: zum Nacherleben bieten. Zur
Bereicherung unsres Gedankenge-
halts, unsres Schatzes von Lebens-
gefühl, unsres Weltbildes. Vielleicht
wird fast jeder von uns sie anders
deuten, aber jedem, der ihnen wirk-
lich nachgeht, werden sie etwas zu
sagen haben, wie stark nachgelebtes
Leben stets. Fast alle unsre Bei-
träge, insonderheit aus den „neuen
Gebieten", bieten wir mit solcher
Absicht. Sie sind lange nicht alle
„Meinung der Redaktion", sie sind
oft ganz andrer Meinung als mei-
ner eignen. Ich werde, habe ich
eine feste Meinung zur Sache, ge-
legentlich auch mit deren Bekenntnis
nicht zögern. Aber sehr oft habe
ich solch eigne Meinung nicht,
oder ich halte mich deshalb nicht für

berechtigt, sie im Kommentar
mitzuteilen, weil ich nicht weiß, ob
sie nicht nur aus den individuellen
Bedingungen meines Ichs entstan-
den und also für andre gleichgültig
ist. Ich erinnere an meinen kleinen
Aufsatz neulich „Andersdeu-
kende hören!" (Kw. XXIII, 2).
Nur wenn wir uns darin üben, An-
dersdenkendc zu hören, Andcrsfüh-
lende nachzufühlen, Anderswol-
lende zu verstehn, nur dann werden
wir frei. Und so werden wir stark
werden. A

Erziehungskunst

xN. in Prinzip der Erziehungskunst,
'»»'das besonders solche Männer,
die Pläne zur Erziehung machen,
vor Augen haben sollen, ist: Kin-
der sollen nicht dem gegenwärtigen,
sondern dem zukünftig möglich bes-
sern Zustande des menschlichen Ge-
schlechtes, das ist der Idce der
Menschheit und deren ganzer Be-
ftimmung angemessen erzogen
werden. Immanuel Kant

Unsre Bilder und Noten

^^u den lebenden deutschen Malern, deren Werke fast ohne Ausnahme
gesättigt sind mit religiösem Gefühl, obgleich sie kaum je kirchliche
^-^„Stoffe" gestalten, gehört der Oldenburger Bernhard Winter,
ein Mann, der nicht gleichmäßig und nicht „leichtflüssig" schafft, mit
seinen besten Werken aber eine Höhe erreicht, die an ihrer besonderen
Stelle kaum einer unter seinen Kunstgenossen erreicht hat. Wir er°
innern an sein Bild von der Bauernhochzeit, das der Kunstwart nicht
nur abgebildet, sondern auch als Vorzugsdruck als Photogravüre heraus-
gegeben hat. Ern Bild, das jetzt der Bremer Kunsthalle gehört, wo
man's bloß falsch anzusehn braucht (nämlich rein auf das Malerische
hin), um nicht viel dran zu finden, und bloß richtig (uämlich auf die
wundervolle Eharakteristik des Volks hin, das hier vor einem auflebt),
um es als Meisterwerk zu schätzen. Zu dcm Hochzeitsbild als Gegenstück
hier eins vom Tode. Muß man die niederdeutschen Vauern aus dcr
Nähe kennen, um all das Leben hier nicht als Steifheit zu empfinden,
sondern als das, was es ist?

350

Kunstwart XXIII, (7
 
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